Und wenn er einsetzt, dann schrumpft der Abstand zwischen den inneren Sternen. In unserem Beispiel verringert sich dadurch ihre Umlaufperiode von 100 Tagen auf 5 Tage. Das hat natürlich auch Auswirkungen auf die Stabilitätsgrenze für den Kozai-Effekt. Zuerst lag die – laut Theorie – bei 6 AE. Jetzt würde sie bei 2,5 AE liegen. Ich kann nur wiederholen: Himmelsmechanik kann verteufelt kompliziert werden! Andauernd ändert sich die Umlaufbahnen der Himmelskörper und immer wenn sie sich ändern, ändert sich auch die Art und Weise, mit der sie sich gegenseitig beeinflussen. Was wiederum dazu führt, dass sich die Umlaufbahnen verändern. Was zu veränderten gegenseitigen Störungen führt. Was zu veränderten Umlaufbahnen führt. Was zu… ich denke, ihr versteht, worum es geht! Dieses mathematische Problem ist ja nicht umsonst exakt unlösbar. Dieses ständige Hin und Her ist genau der Grund, warum es unlösbar ist (nicht, weil man noch nicht rausgefunden hat wie es geht – es ist prinzipiell unlösbar). Aber die Näherungen der Störungsrechnungen bieten zumindest einen kleinen Einblick auf das, was da alles abgeht und die numerischen Simulationen helfen dabei, die Gültigkeit der Theorie einzuschätzen.
Wie sich der KCTF-Mechanismus in Abhängigkeit von Stern- und Planetenparameter auswirkt und welche Auswirkungen das auf die Stabilität von Sternen und Planeten hat, haben Martin und seine Kollegen daher in numerischen Simulationen untersucht:
Zusammengefasst gesagt: Wenn der Abstand zwischen den inneren Sternen dank des KCTF-Mechanismus schrumpft, führt das dazu, dass die Bahn des Planeten tendenziell immer instabiler wird. Vom ursprünglichen Stabilitätsbereich zwischen 2 und 7,8 AE Abstand zu den inneren Sternen hat nur der allerinnerste Bereich (das innerste Sechstel) überlebt. Würden sich die beiden Sterne noch weiter annähern und ihre Umlaufzeit auf unter 5 Tage sinken, dann würde dieser letzte Rest des Stabilitätsbereich vermutlich komplett verschwinden. In so einem System könnten dann überhaupt keine Planeten mehr existieren (oder entstehen).
Apropos Entstehung: Der nächste Abschnitt geht auf ein paar Details der Planetenentstehung ein, die für diese Arbeit relevant sind:
“Our analysis so far has been limited to n-body orbital dynamics. However planets are believed to form in discs and only under certain favourable conditions. These necessary conditions further restrict the possible range of disc radii that can allow planet formation in a stellar triple system.”
Planeten entstehen ja aus großen Staub- und Gasscheiben, die einen Stern umgeben. Bei einem Einzelstern hängen die Ausmaße dieser Scheibe und damit die möglichen Regionen innerhalb der Scheibe die die nötigen Bedingungen für die Planetenentstehung bieten im Prinzip von der Masse der Gaswolke ab, aus denen der Stern entstanden ist. Je mehr Masse dort, desto mehr Masse kann auch die Scheibe haben. In Doppel- oder Mehrfachsternsystemen ist das aber anders, denn hier wird die Größe der Scheibe durch die gravitativen Störungen der anderen Sterne beschränkt.
Das wäre eigentlich wieder ein Thema für einen eigenen Artikel (bzw. ein eigenes Buch). Martin und seine Kollegen verweisen daher auch nur auf die einschlägige Literatur und fassen die dort gewonnenen Ergebnisse zusammen:
“The favoured theory is that planets are formed farther out in the disc in a more placid environment, before migrating inwards and halting near the inner truncation radius of the disc.
Da die Bedingungen in der Scheibe um einen Doppelsternsystem nahe der inneren Stabilitätsgrenze für die Planetenentstehung eher schlecht sind, geht man also davon aus, dass sie weiter draußen entstehen. Und dann durch planetare Migration weiter an den Doppelstern heran rücken. Was diese Migration ist und wie sie funktioniert habe ich hier ausführlich erklärt. Vereinfacht gesagt läuft es darauf hinaus, dass die entstehenden Planeten mit dem ganzen anderen Krempel in der Scheibe gravitativ wechselwirken und deswegen näher an den Stern rücken. So lange, bis das Ende der Scheibe erreicht ist. Und das ist auch offensichtlich der Grund, warum man Circumbinary Planeten vorrangig in der Nähe der Stabilitätsgrenze findet! Das war ja eine der Auffälligkeiten in den ursprünglichen Beobachtungsdaten, die zu Beginn des Artikels erwähnt worden sind.
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