Bei meinem Weg hilft mir das allerdings nicht weiter. Die 67 Kilometer die noch vor mir liegen, muss ich mit eigenen Füßen zurück legen. Jetzt geht es durch den Jenaer Forst. Es ist immer noch finster, aber zumindest haben sich die Leute nun weit genug über die Strecke verteilt, dass ich nicht mehr ständig zwischen anderen eingekeilt bin. Erstaunlicherweise spüre ich auch kaum irgendwelche Schmerzen. Meinen Füßen geht es wunderbar; meine Beine sind nicht lahm; meine Knie und die anderen Gelenke machen keinen Mucks und auch die Müdigkeit hält sich in Grenzen. Ich hatte zwar nicht mit Blasen gerechnet (ich kriege glücklicherweise so gut wie nie Blasen) und da ich am Freitag noch einmal extra lange geschlafen haben habe ich auch noch keinen Müdigkeitsanfall erwartet. Aber auf Schmerzen in Knien und Knöcheln hatte ich mich eigentlich schon eingestellt. Aber wenn sie jetzt ausbleiben: Um so besser!
Nach dem Forst geht es wieder zurück nach unten ins Tal und dort, in Ammerbach, wird es endlich wieder hell! Darauf hatte ich mich von Anfang an schon gefreut. Wenn erst mal die Nacht hinter mir liegt, dann würde ich auch den Rest noch schaffen – und die Hälfte der Strecke hatte ich zu dem Zeitpunkt auch schon hinter mir. Aber pünktlich zum Sonnenaufgang kam auch der Regen… Nach mehr als 50 Kilometer Wanderung und einer Nacht ohne Schlaf wünscht man sich natürlich keinen kalten und regnerischen Morgen und da der Weg nun auch noch über den baumfreien Cospoth verlief kam auch noch fieser Wind dazu. Außerdem tat mir jetzt doch der rechte Knöchel weh, denn ich bin im letzten dunklen Waldstück auf einer nassen Baumwurzel ausgerutscht. Aber die Schmerzen waren erträglich und fühlten sich nicht so an, als würden sie dauerhaft bleiben. Und die nächste Verpflegungsstelle war auch nicht mehr fern!
Ich war also immer noch motiviert – im Gegensatz zu einigen Mitwanderern. Die Strecke führte nun ein Stück entlang einer öffentlichen Straße und dort sah ich viele in wartende Autos einsteigen. Der Regen hat dann bei einigen wohl doch zu einem spontanen Motivationsverlust geführt… Aber abgesehen davon dass ich sowieso niemanden hatte, der mich abholen hätte können, hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch keine Lust, aufzuhören. Vor allem, weil es jetzt endlich Frühstück gab! Am Eingang des schönen Leutratals wartete nach 65 Kilometern die dritte Verpflegungsstelle. Es war jetzt kurz vor 7 Uhr morgens und ich fast 13 Stunden lang unterwegs. Die Organisatoren der Horizontale wissen, wie es den Wanderern zu diesem Zeitpunkt geht und haben sich deswegen für diesen Punkt einen besonderen Höhepunkt ausgedacht: Neben Bergen von Broten mit Marmelade und Nutella; Käsesemmeln und Fettbemmen; Obst und Schokolade gab es hier frische Waffeln und heißen Kaffee!
Angesichts dieses perfekten Frühstücks erscheinen die restlichen 35 Kilometer nicht mehr weit. Und auch meine Reise durch das Universum hat mich in der Zwischenzeit schon ein großes Stück vorwärts gebracht. Die Plattentektonik ist mit mittlerweile 0,02 Millimetern zwar immer noch nicht sehr weit gekommen. Aber die Erdrotation hat mich in den 12 Stunden und 52 Minuten die ich unterwegs bin, immerhin ganze 13.536 Kilometer weit bewegt! Und natürlich hat sich während der ganzen Zeit auch die Erde selbst durch das Sonnensystem bewegt. Unser Planet saust mit einer durchschnittlichen Geschwindigkeit von 29,37 Kilometern pro Sekunde durch das All und das macht immerhin 1.360.393 Kilometer aus, die ich so ganz unbemerkt zurück gelegt habe! Natürlich ist die Erde nicht immer gleich schnell. Wenn sie auf ihrer Bahn näher an die Sonne kommt, ist sie ein bisschen schneller und weiter entfernt von unserem Stern bewegt sie sich langsamer (das besagt das zweite Keplersche Gesetz). Und da sie ihren sonnenfernsten Punkt in diesem Jahr am 6. Juli erreichen wird, bewegt sie sich zur Zeit langsamer als im Durchschnitt. Aber um auch noch das in meine Rechnungen miteinzubeziehen, fehlt mir dann doch die Motivation…
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