Diese drei Stunden waren dann tatsächlich nicht mehr schön. Ich hatte überraschenderweise immer noch so gut wie keine Schmerzen. Abgesehen von meinem etwas lädierten rechten Knöchel und Fußsohlen, die ein wenig brannten war alles in Ordnung. Aber ich hatte absolut überhaupt gar keine Lust mehr. Ich hatte nicht die geringste Motivation. Ich war auf eine Art müde, auf die ich selten zuvor müde war. Es war keine Müdigkeit, bei der man ständig gähnen muss und die Augen nicht mehr offen halten kann. Ich war auf eine seltsam abstrakte Art körperlich und vor allem geistig komplett ausgelaugt. Es war durchaus interessant, diesen Zustand zu erleben – so etwas hatte ich auf diese Weise vorher noch nicht erlebt. Aber es hat sich nicht unbedingt toll angefühlt…
Aber es half ja nix. Ich wollte immer noch ins Ziel kommen und wenn ich mich nicht von einem Hubschrauber vom Berg fliegen lassen wollte, blieb mir auch gar nichts anderes übrig, als zu Fuß dorthin zu gehen. Also bin ich gegangen und gegangen und gegangen – und irgendwann war dann tatsächlich das Ende in Sicht! Kurz nach halb zwei Uhr nachmittags; nach einer gesamten Wanderzeit von 20 Stunden und 27 Minuten hatte ich wirklich die kompletten 100 Kilometer hinter mich gebracht!
Und: Kaum im Ziel angekommen, war ich zwar immer noch müde, aber zumindest die extreme geistige Erschöpfung war jetzt verschwunden! Ich hab mir meine kostenlose Bratwurst besorgt, (endlich!) ein Bier getrunken und mich kurz auf der Wiese des Sportplatzes ausgeruht. 100 Kilometer an einem Stück habe ich noch nie zurück gelegt. Es war eine sehr interessante Erfahrung. Ich hatte viel weniger körperliche Schmerzen, als ich erwartet hatte. Meine Füße waren blasenfrei, ich hatte keine Schmerzen in den Gelenken und auch sonst nichts von dem, was ich nach 100 Kilometern Wanderung erwartet hätte. Insofern war die ganze Sache viel einfacher, als ich es mir vorgestellt hatte. Aber dass es am Ende tatsächlich so schwer werden würde, sich noch für die letzten 20 Kilometer zu motivieren und dass man auch geistig so enorm müde werden kann, wie ich es geworden bin, war neu für mich. In der Hinsicht war die Wanderung deutlich schwerer, als ich vorab gedacht hatte.
Ich weiß nicht, ob ich so etwas noch einmal machen würde. Aber wie das oft so ist: Direkt im Ziel dachte ich mir eigentlich, dass ich mir sowas nie wieder antun würde. Aber heute könnte ich mir zumindest vorstellen, wieder über eine neue Teilnahme nachzudenken. Mal sehen…
Ich war auf jeden Fall zufrieden. Ich hab die 100 Kilometer geschafft. Ich habe dafür 20 Stunden und 27 Minuten gebraucht und war über dem 24 Stunden Limit. Von den 1066 Startern sind 690 bis ins Ziel gekommen und ich war einer davon. Und ich bin in der ganzen Zeit nicht nur 100 Kilometer rund um Jena gewandert, sondern auch insgesamt mehr als 59 Millionen Kilometer durch das Universum! Die Plattentektonik hat dazu nur 0,03 Millimeter beigetragen. Dank der Drehung der Erde haben 21.513 Kilometer zurück gelegt. Auf ihrem Weg um die Sonne habe ich sie während der Horizontale 2.162.179 Kilometer lang begleitet. Mit der Sonne gemeinsam bin ich 16.196.400 Millionen um das Zentrum der Milchstraße gereist. Und dann hat sich natürlich auch unsere Milchstraße selbst durch das Universum bewegt! Bei diesen Größenordnungen ist es natürlich schwierig, einen Bezugspunkt zu finden, gegenüber dem man eine Geschwindigkeit angeben kann. Aber wählt man dafür die kosmische Hintergrundstrahlung, also das, was in unserem Kosmos einem unveränderlichen Hintergrund am nächsten kommt, dann sind es 552 Kilometer pro Sekunde mit der sich unsere Milchstraße mitsamt Sonne und Erde bewegt und in den 20,5 Stunden meiner Wanderung sind dabei unvorstellbare 40,6 Millionen Kilometer zusammen gekommen!
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