Vor ein paar Tagen habe ich über die chaotische Rotation der Pluto-Monde Nix und Hydra berichtet. Diese beiden kleinen Himmelskörper drehen sich nicht gleichmäßig um ihre Achse, sondern mal schneller und mal langsamer und sie taumeln auch noch unvorhersagbar um ihre Achse. Das ist ungewöhnlich, denn normalerweise verhalten sich Monde ganz anders. Es lohnt sich also, in der Serie “Fragen zur Astronomie” einmal genauer darüber nachzudenken. Also: Wie rotieren die Monde in unserem Sonnensystem?
Zuallererst muss man eine Tatsache klar stellen, die oft falsch verstanden wird: Der Mond der Erde dreht sich um seine Achse! Das tut er tatsächlich, obwohl erstaunlich viele Menschen der Ansicht sieht, es wäre nicht so: Denn immerhin sehen wir von der Erde aus ja immer nur eine Seite! Aber wenn man ein wenig genauer darüber nachdenkt, dann sieht man leicht, dass das nur dann der Fall sein kann, wenn sich der Mond dreht. Und zwar auf ganz besondere Art und Weise: Er muss sich genau so schnell um seine eigene Achse drehen, wie er für eine Umrundung der Erde braucht. Nur dann ist es möglich, dass er uns immer die gleiche Seite zuweist.
Dieses Verhalten wird “gebundene Rotation” genannt und durch die Gezeitenkräfte verursacht. Ich habe das hier sehr ausführlich erklärt. Kurz gesagt geht es darum, dass natürlich nicht nur der Mond eine Gezeitenkraft auf die Erde ausübt (und dabei Ebbe und Flut in den Ozeanen auslöst), sondern auch die Erde Gezeiten auf dem Mond auslöst. Dort gibt es zwar keine Ozeane, aber ohne Folgen ist das trotzdem nicht geblieben. Denn die Gezeitenkräfte beeinflussen auch die Rotation eines Himmelskörpers. Der genaue Mechanismus ist ein wenig kompliziert, aber vereinfacht gesagt funktioniert es so: Die Gezeitenkraft führt zu einer leichten Verformung des Himmelskörpers und diese Abweichung der perfekten Symmetrie führt dazu, dass die Gravitationskraft die Rotation des Himmelskörpers bremst. Der Mond hat im Laufe der Jahrmilliarden so die Drehung der Erde um ihre Achse gebremst und tut das weiterhin. Jedes Jahr dreht sich die Erde knapp 17 Mikrosekunden langsamer im Jahr zuvor!
Die größere Erde hat mit ihrer größeren Gezeitenkraft den kleineren Mond im Laufe der Zeit viel stärker abgebremst. So stark, dass seine Eigenrotation nun genau so lange dauert wie ein Umlauf um die Erde herum. Dieser Prozess findet aber nicht nur bei uns statt, sondern auch überall sonst im Sonnensystem. Gezeitenkräfte wirken auch zwischen den anderen Planeten und ihren Monden und auch dort hat sich fast überall eine gebundenen Rotation eingestellt. Die beiden Monde des Mars haben ihre Rotation auf ihre Umlaufzeit abgestimmt; genau so wie die meisten Monde der Gasplaneten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun. Man geht davon aus, dass alle Monde ein entsprechendes Verhalten zeigen. Zumindest alle sogenannten “regulären Monde”. Damit sind Monde gemeint, die sich vergleichsweise nahe an ihrem Planeten befinden und deren Bahn einigermaßen kreisförmig und nicht maßgeblich gegenüber der Äquatorebene des Planeten geneigt ist. Außerdem sind es Monde, die den Planeten in der gleichen Richtung umlaufen, in der er sich selbst um seine Achse dreht. Das alles sind Anzeichen dafür, dass diese Monde gemeinsam mit dem Planeten entstanden sind – im Gegensatz zu den irregulären Monden, bei denen es sich um kleine, später eingefangene Asteroiden handelt und die die großen Gasplaneten meistens in sehr großer Entfernung umkreisen.
Ob sich wirklich alle Monde in einer gebundenen Rotation befinden, weiß man allerdings nicht genau, da nicht bei allen ausreichende Beobachtungsdaten vorliegen (immerhin kennt man derzeit insgesamt 181 Monde!). Aber zumindest kennt man einige definitive Ausnahmen. Die beiden eingangs erwähnten Monde des Pluto gehören dazu. Genau so wie der Saturnmond Hyperion, der ebenfalls eine chaotische Rotation zeigt. Sowohl bei Hyperion als auch bei den Pluto-Monden sind die gravitativen Störungen anderer Himmelskörper für dieses Verhalten verantwortlich. Bei Nix und Hydra liegt es am (vergleichsweise) großen Pluto-Mond Charon, bei Hyperion ist es er Einfluss von Titan, der keine stabile Rotation zulässt. Der nur 266 Kilometer große Hyperion ist ein direkter Nachbar des Titan, der mit 5150 Kilometer Durchmesser immerhin der zweitgrößte Mond des gesamten Sonnensystems ist.
Eine gebundene Rotation führt übrigens nicht dazu, dass es auf solchen Monden keinen Tag-Nacht-Rhythmus gibt. Im englischen Sprachraum wird die Rückseite, d.h. die von der Erde aus nicht sichtbare Hälfte unseres Mondes als “dark side of the moon” bezeichnet. Dort ist es aber genau so dunkel bzw. hell wie auf der anderen Seite. Denn Planet und Mond bewegen sich ja immer noch um die Sonne rund herum und darum wird auch jede Seite des Mondes irgendwann von der Sonne beschienen. Nur auf den (bisher bekannten) drei Monden mit chaotischer Rotation ist der Rhythmus von Tag und Nacht nicht vorhersagbar. Anders läge der Fall, wenn die gebundene Rotation zwischen einem Planet und seinem Stern auftritt. Denn natürlich gibt es Gezeitenkräfte nicht nur zwischen Monden und Planeten, sondern immer dann, wenn sich zwei Himmelskörper mit ihrer Gravitationskraft gegenseitig beeinflussen. Auch die Sonne trägt ihren Anteil zu Ebbe und Flut auf der Erde bei (und dieser Anteil macht ungefähr ein Drittel aus!). Hier ist die Kraft aber zu gering, um die Rotation der Erde auf den für eine (um die Sonne) gebundene Rotation zu bremsen. Dazu müsste unser Planet der Sonne viel näher sein. Wir wissen aber, dass solche Planeten bei anderen Sternen existieren. Dort gibt es Planeten, die ihrem Stern so nahe sind, dass ihre Rotation mittlerweile an ihn gebunden ist. Ein Jahr dauert auf so einem Planeten genau so lange wie ein Tag. Auf einer Hälfte herrscht ständig Tag; auf der anderen ewige Nacht…
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