Aber auch das eingeschränkte Dreikörperproblem erwies sich als schwer zu lösen. Immerhin aber gelang es hier, bestimmte Spezialfälle zu identifizieren, über die sich dann doch etwas aussagen ließ. Dazu gehören die berühmten Lagrange-Punkt (die vom französischen Mathematiker Joseph Louis-Lagrange im 18. Jahrhundert gefunden wurden). Im eingeschränkten Dreikörperproblem gibt es fünf ganz spezielle Punkte, an denen sich alle wirkenden Kräfte der beiden großen Körper exakt aufheben. Der dritte kleine Körper kann sich dort für lange Zeit auf stabilen und vorhersagbaren Bahnen bewegen. Das eingeschränkte Dreikörperproblem ist zwar immer noch ein vereinfachtes Modell, aber immerhin gut genug, um auch in der Realität Anwendung zu finden. Denn betrachtet man zum Beispiel die Lagrange-Punkte der Planeten in unserem Sonnensystem, dann findet man in ihrer Nähe tatsächlich viele kleine Himmelskörper: Die “Trojaner”-Asteroiden, über die ich hier und hier mehr geschrieben habe (sogar unsere Erde hat ihren eigenen Trojaner).
Die Lagrange-Punkte sind stationäre Lösungen für das Dreikörperproblem. Ein Objekt, das sich exakt in einem Lagrange-Punkt befindet, wird auch für alle Zeiten genau dort bleiben (Aber natürlich bewegt sich der Lagrange-Punkt immer noch um die Sonne herum, da seine Position ja von der Position des sich ebenfalls bewegenden Planeten abhängt. Das “stationär” bezieht sich auf die Lösung, also die Bahn des Himmelskörpers, die sich nicht verändert, nicht auf seine Position). Das ist noch weit von einer allgemeinen Lösung entfernt, aber es war zumindest ein Anfang. 1911 fand der amerikanische Astronom William Duncan MacMillan dann einen weiteren Spezialfall, der heute meistens unter dem Namen des russischen Mathematikers Kirill Alexandrowitsch Sitnikow bekannt ist,der es in den 1960er Jahren weiter bearbeitet hat. Das Sitnikov-Problem basiert ebenfalls auf dem eingeschränkten Dreikörperproblem: Zwei (annähernd gleich) große Himmelskörper umkreisen einander unter ihrem gegenseitigen gravitativen Einfluss. Der kleine, dritte Himmelskörper befindet sich genau im Massenschwerpunkt der beiden großen und wenn das der Fall ist, dann – so fanden MacMillan und Sitnikov heraus – führt er nur eine eindimensionale Bewegung aus. Das soll heißen: Der dritte Himmelskörper bewegt sich ausschließlich entlang einer Linie, die durch den Massenschwerpunkt führt und senkrecht auf die Ebene steht, in der sich die beiden großen Objekte bewegen. Hier ist ein Video, dass zeigt wie das aussehen kann:
Auch für das Sitnikov-Problem existiert keine allgemeine exakte Lösung, die die Bewegung der Himmelskörper für alle Zeiten vorhersagen kann. Aber MacMillan und Sitnikov konnten zumindest für einige spezielle Konfigurationen periodische Lösungen identifizieren. Für andere Fälle ist die Bewegung des dritten Körpers aber extrem unvorhersagbar und chaotisch, wie ich hier ausführlich erklärt habe.
Und was das allgemeine Dreikörperproblem anging, war man auch noch nicht wirklich weitergekommen. Ganz im Gegenteil: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts zeigte der französische Mathematiker Henri Poincaré, dass es unmöglich ist, das Dreikörperproblem zu lösen. Genauer gesagt konnte er nachweisen, dass man niemals eine einfache mathematische Gleichung finden kann, mit der sich Position und Geschwindigkeit dreier beliebiger Himmelskörper für alle Zeiten vorhersagen lassen. Eigentlich war Poincaré zuerst überzeugt, er hätte das Dreikörperproblem gelöst und stellte erst später fest, dass er sich geirrt hatte. Dafür aber legte er mit seiner korrigierten Version gleich auch den Grundstein für die moderne Chaostheorie! (Ich habe die Geschichte von Poincarés Entdeckung ausführlicher in meinem aktuellen Buch “Asteroid Now: Warum die Zukunft der Menschheit in den Sternen liegt”* beschrieben)
Es gibt (unter anderem) zwei wichtige Gründe, die das Dreikörperproblem so schwer zu lösen machen. Über einen davon habe ich in meiner Artikelserie über Störungsrechnung (Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4) geschrieben: Wenn die Umlaufzeiten zweier Himmelskörper in einem ganzzahligen Verhältnis zueinander stehen, können sich die gravitativen Wirkungen im Laufe der Zeit aufschaukeln und so eine Resonanz (siehe hier für Details) macht die Bewegung unvorhersagbar und die mathematische Behandlung so gut wie unmöglich. Der zweite wichtige Punkt sind Kollisionen: Wenn zwei Himmelskörper miteinander zusammenstoßen, dann befinden sie sich zur gleichen Zeit am gleichen Ort und der Abstand zwischen ihnen wird dabei Null. Der Abstand bestimmt aber, wie groß die gravitative Wirkung ist und spielt eine fundamentale Rolle in den Formeln die zur Berechnung der Bewegung nötig sind. Je kleiner der Abstand, desto größer die Gravitationskraft. Und wenn der Abstand verschwindet, dann wird die Gravitationskraft unendlich groß!
Kommentare (48)