Seit letzter Woche läuft der große Teilchenbeschleuniger LHC nach einer langen Renovierungsphase wieder mit voller Kraft und produziert endlich wieder neue wissenschaftliche Daten. Die Energien die bei den Teilchenkollisionen im Beschleuniger erzeugt werden, erreichen nun einen Wert von 13 TeV (Tera-Elektronenvolt); sind also fast doppelt so hoch wie in der letzten Phase vor der Renovierung im Jahr 2013. So viel Energie wie am LHC kann derzeit in keinem anderen Beschleuniger der Welt erzeugt werden und die Wissenschaftler sind daher auch nicht umsonst optimistisch, in den nächsten Jahren große neue Entdeckungen zu machen. Die Entdeckung des lange gesuchten Higgs-Teilchens war ja nicht die einzige Aufgabe des LHC. Der Beschleuniger war zwar tatsächlich extra so konstruiert, dass man damit das Higgs entweder finden oder eindeutig seine Nicht-Existenz nachweisen konnte und es war von Anfang an klar, dass man ein Ergebnis bekommen wird, wenn es um das Higgs-Teilchen geht. Aber die Physikerinnen und Physiker wollen natürlich auch noch mehr wissen und entdecken: Man will zum Beispiel die Frage nach der Natur der dunklen Materie klären und die Teilchen entdecken, aus denen sie besteht. Aber natürlich hofft man auch, etwas völlig neues zu entdecken mit dem bisher niemand rechnet. Genau deswegen macht man ja diese Art der Grundlagenforschung. Und dann ist da noch die eine Frage, die immer wieder gestellt wird, wenn es um moderne Teilchenphysik geht: Kann der LHC einen Nachweis für die Gültigkeit der Stringtheorie liefern?
Der Stringtheorie wird ja gerne mal unterstellt, sie sei nur reine Fantasie – eben weil sie nicht experimentell überprüfbar ist. Das stimmt natürlich nicht. Die Stringtheorie ist nicht prinzipiell unüberprüfbar – es ist eben nur nicht wirklich einfach das zu tun. Eine unüberprüfbare Hypothese sieht anders aus. Würde ich zum Beispiel behaupten, dass ich meine Wohnung mit dem Feuer eines großen Drachens heize, der in meinem Keller sitzt aber jedesmal verschwindet, wenn man die Tür öffnet und nachsehen will, dann ist diese Behauptung nicht überprüfbar. Die Stringtheorie macht dagegen jede Menge Aussagen, die man im Prinzip direkt überprüfen könnte, wenn man die entsprechenden Instrumente dafür hätte. Die haben wir aber nicht – noch nicht zumindest. Aber das heißt nicht, dass die Lage völlig hoffnungslos.
Die Physikerin Sabine Hossenfelder hat genau zu diesem Thema kürzlich einen sehr interessanten Artikel geschrieben, dessen wichtigste Aussagen ich hier noch einmal kurz zusammenfassen möchte. Sie stellt darin zuerst einmal fest, dass es ganz darauf ankommt, was man unter “Stringtheorie” versteht. Als in den 1980er Jahren die Grundlagen dafür entwickelt worden sind, war man noch gar nicht an der großen Vereinheitlichung von Quantenmechanik und Relativitätstheorie interessiert, mit der die Strings heute zu tun haben. Damals wollte man nur einen Weg finden, die starke Kernkraft zu beschreiben, die für den Zusammenhalt der Quarks im Inneren der Atome verantwortlich ist. Dafür entwickelte man eine mathematische Formulierung, bei der die Teilchen als eindimensionale “Linien” – die Strings – behandelt werden. Diese Methode wird heute noch verwendet um die Vorgänge bei Teilchenkollisionen in Beschleunigern zu beschreiben und vorherzusagen und funktioniert recht gut.
Erst danach wurde aus dem mathematischen Modell ein Versuch, die Realität zu beschreiben und die Hypothese, dass die Teilchen wirklich alle aus eindimensionalen Strings bestehen. Im weiteren Verlauf zeigte sich, dass so eine Theorie das Potential hat, eine Quantentheorie der Gravitation zu liefern. Also genau das, nachdem die Wissenschaftler seit Jahrzehnten auf der Suche sind. Die Stringtheorie könnte die “Theorie von Allem” oder “Weltformel” sein, mit der sich alle physikalischen Phänomene in einer einheitlichen Form beschreiben lassen. Wenn sie denn richtig ist – und genau das ist die große Frage.
Will man die Existenz der Strings direkt nachweisen, bräuchte man dafür einen Beschleuniger, der knapp 100 Billionen mal mehr Energie erzeugt als der LHC. Das liegt also weit außerhalb unserer technischen Reichweite (die Geräte müssten dann so groß wie ganze Galaxien sein). Aber manche Vorhersagen der Stringtheorie würden sich auch schon bei niedrigeren und im LHC erreichbaren Energien nachweisen lassen, wie Hossenfelder erklärt.
Die Stringtheorie sagt zum Beispiel die Existenz von Extradimensionen vorher. Sollte es wirklich mehr als drei Raumdimensionen geben, dann würde sich die Gravitation auf sehr kleinen Maßstäben betrachtet ganz anders verhalten (ich habe hier mehr dazu geschrieben). Sie wäre stärker und das könnte zum Beispiel dazu führen, dass bei den Kollisionen winzige schwarze Löcher entstehen (und keine Sorge: Das ist nicht gefährlich!). Solche Phänomene könnte der LHC im Prinzip nachweisen. Es gibt nur zwei Probleme. Nummer Eins: Die Existenz von Extradimensionen setzt nicht zwingend die Gültigkeit der Stringtheorie voraus. Es könnte sie auch ganz unabhängig davon geben. Nummer Zwei: Bis jetzt hat man am LHC absolut keine Anzeichen für die Existenz von Extradimensionen gefunden.
Das gleiche gilt für die Supersymmetrie. Diese Erweiterung des klassischen Standardmodells der Teilchenphysik spielt eine wichtige Rolle in der modernen Physik. Die Supersymmetrie würde viele der offenen Probleme lösen, gilt als sehr elegant und würde sich wunderbar in die Stringhtheorie einfügen. Sie sagt voraus, dass jedes der bekannten Teilchen noch ein bisher unentdecktes supersymmetrischen Partnerteilchen hat (und ich werde irgendwann demnächst mal einen ausführlichen Artikel darüber schreiben). Und viele Physiker waren fest davon überzeugt, dass am LHC die entsprechenden Teilchen ziemlich schnell entdeckt werden. Wurden sie aber leider nicht – und selbst wenn das noch passiert, dann wäre auch das kein endgültiger Beleg für die Stringtheorie. Denn die Stringtheorie setzt zwar die Existenz der Supersymmetrie voraus. Die Supersymmetrie kann es aber auch ohne Stringtheorie geben.
Trotzdem: Wenn Extradimensionen und/oder Supersymmetrie am LHC doch noch entdeckt werden sollten, dann wäre das ein sehr starkes Indiz dafür, dass an der Stringtheorie doch etwas dran ist und es sich lohnt, dieses Thema weiter zu verfolgen. Andererseits ist das ganze auch nicht so wichtig, wie Hossenfelder am Ende ihres Artikels erklärt. Stringtheorie wird mittlerweile wieder vermehrt als rein mathematisches Modell zur Beschreibung von Teilchen-Interaktionen verwendet; zum Beispiel wenn es um das sogenannte Quark-Gluon-Plasma geht, ein Zustand den Materie bei extrem hohen Temperaturen (so wie sie kurz nach dem Urknall geherrscht haben) einnimmt. Und in diesem Fall lässt sich die Stringtheorie durchaus am LHC testen, denn genau solche Zustände werden dort reproduziert.
Hossenfelder beendet ihren Artikel mit dem Wunsch:
“Maybe (…) physicists are eventually settling into a stable relationship with string theory, one in which reality replaces dreams. The LHC, then, will test how seriously they take their new commitment.”
Aber egal, ob uns der LHC nun etwas Neues über die Gültigkeit der Stringtheorie sagen wird oder nicht, eines ist sicher: Die Experimente die dort in den nächsten Jahren durchgeführt werden, WERDEN uns etwas Neues über das Universum verraten! Und wer weiß – vielleicht ist das am Ende noch viel beeindruckender als die Stringtheorie…
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