Im Fernsehen macht sich Pro7 gerade Gedanken über Bienen. Jede Menge Sendungen beschäftigen sich mit dem Thema und vor allem dem Bienensterben bzw. der Colony Collapse Disorder, wie das Problem offiziell heißt. Dazu läuft heute eine Spezialsendung, die im Vorfeld stark beworben wurde. Und zwar wieder einmal mit dem, was angeblich Albert Einstein zu diesem Thema gesagt haben soll.
“Wenn die Biene einmal von der Erde verschwindet, hat der Mensch nur noch vier Jahre zu leben.”
Ja, klingt dramatisch. Und macht sich natürlich auch gut als dramatischer Aufmacher für einen Fernsehtrailer:
Albert Einstein ist das Genie schlechthin; die Verkörperung von Wissen und Intelligenz und wenn der etwas sagt, dann muss es doch stimmen! Oder nicht? Gerade wegen des genialen Image findet man Einstein-Zitate zu so gut wie jedem Thema. Jeder möchte seine Meinung mit einer Aussage des großen Wissenschaftlers belegen. Einstein wird zum Beispiel als Unterstützung für (oder gegen) religiösen Glauben angeführt oder auch gerne mal von Astrologen, die behaupten das der große Physiker diesen Aberglauben ganz toll und wichtig fand. Das Problem an der Sache: Sehr oft sind diese Zitate komplett aus dem Zusammenhang gerissen oder einfach komplett erfunden (so wie im Fall der Astrologie).
Das ist auch bei der dramatischen Aussagen über das Sterben der Bienen der Fall. Es gibt keine Quelle, die tatsächlich belegt, das Einstein sich auf diese Weise über Bienen geäußert oder gar den konkreten Zeitrahmen von vier Jahren angegeben hat.
Die Geschichte dieses Zitats ist ziemlich verworren und knifflig. Sie lässt sich auf jeden Fall auf eine Geschichte in einer irischen Fachzeitschrift für Bienenzüchter zurück führen. Im Jahr 1966 veröffentlichte “The Irish Beekeeper: An Beachaire” (Volume 20, Number 4, Section: News From Abroad by Mrs. G. V. Poulton, Which Queens Are The Best?) diese Version des Zitats:
“Professor Einstein, the learned scientist, once calculated that if all bees disappeared off the earth, four years later all humans would also have disappeared.”
Das ist natürlich ziemlich absurd, denn hier wird behauptet, Einstein hätte berechnet, dass die Menschheit vier Jahre nach dem Aussterben der Bienen ebenfalls aussterben würde. Man stellt sich zwar gerne vor, dass Wissenschaftler alles und jedes berechnen können – aber in diesem Fall ist es unmöglich, so eine Rechnung anzustellen und dann noch dazu zu so einem exakten und konkreten Ergebnis wie den vier Jahren zu kommen.
Der irische Artikel selbst beruft sich die Zeitschrift “Abeilles et Fleurs” die von der französischen Imkereivereinigung (UNAF) herausgegeben wird. Dort tauchte dieses Zitat im Jahr 1965 auf und die UNAF nutzt es auch weiterhin. Die moderne Verbreitung des Zitats scheint auf Broschüren aus dem Jahr 1994 zurück zu gehen, die von der UNAF damals verteilt wurden. Wo das Zitat ursprünglich her kam, ist allerdings schwer heraus zu finden.
Dieser sehr ausführliche Artikel verfolgt Aussagen über das Bienensterben zurück bis zu Charles Darwin der sich in seinem berühmten Werk “Über die Entstehung der Arten” auch über ökologische Zusammenhänge Gedanken machte und dabei auch erwähnte, das ein Verschwinden der Bienen schlimme Folgen haben könnte (Entstehung der Arten, Kapitel 3, 1860):
“Daher zweifle ich wenig daran, dass, wenn die ganze Sippe der Hummeln in England sehr selten oder ganz vertilgt würde, auch Jelängerjelieber und rother Klee selten werden oder ganz verschwinden müssten.”
(“Jelängerjelieber” ist übrigens anscheinend ein veraltetes Wort für “Stiefmütterchen”)
Und auch danach haben verschiedene Autoren auf die komplexen Zusammenhänge in der Natur hingewiesen. Unter ihnen war übrigens tatsächlich auch Albert Einstein. 1951 beantwortete er einen Brief von Schulkindern, die ihn fragten, was mit dem Leben auf der Erde passieren würde, wenn die Sonne nicht mehr leuchtet. Einstein antwortete:
“Without sunlight there is: no wheat, no bread, no grass, no cattle, no meat, no milk, and everything would be frozen. No LIFE.”
Entsprechende Kausalketten zu dieser komplexen Ökologie findet man immer wieder, in der Vergangenheit genau so wie in der Gegenwart. Erst letztes Jahr habe ich das hervorragende Buch “Eine kurze Geschichte der Hummel” von Dave Goulson rezensiert und darin geschrieben:
“Ganz besonders hat Goulson sich aber in letzter Zeit mit Arterhaltung und Biodiversität beschäftigt. Denn viele Hummelarten sterben aus beziehungsweise sind schon ausgestorben. Sie reagieren sehr empfindlich auf Veränderungen im gesamten Ökosystem und es ist oft absurd, wie vertrackt die Zusammenhänge sind. Wie viele Hummeln es gibt, hängt zum Beispiel unter anderem von der Zahl der Mäuse ab, die die Nester der Hummeln zerstören können. Die Zahl der Mäuse hängt aber von der Zahl der Katzen ab und davon gibt es in der Nähe menschlicher Ansiedlungen viel mehr weswegen dort auch mehr Hummeln zu finden sind. Andererseits nutzen die Nagetiere den Hummeln aber auch, weil sie in deren verlassenen Nestern ihre eigenen Nester bauen können. Wie die optimale Zahl von Nagetieren für die Hummeln aussieht, ist aber noch nicht bekannt.”
Vermutlich hat also in den 1960er Jahren irgendwer eine der vielen Aussagen über die komplizierten Zusammenhänge in der Natur mit Einstein in Verbindung gebracht. Ob das absichtlich geschehen ist oder ein Versehen, lässt sich heute nicht mehr herausfinden, genau so wenig wie den eigentlichen Urheber. Da die erste Quelle für das Bienenzitat von Einstein die Publikation des französischen Imkerverbandes ist (wo es auch heute noch verbreitet wird – in Frankreich findet man es sogar auf der Homepage des Landwirtschaftsministeriums, WebCite) scheint es naheliegend, das es damals verwendet/erfunden wurde, um der eigenen Sorge über die Bienen mehr Gewicht zu verleihen. Und das angebliche Zitat ist dramatisch und eindringlich genug, um sich im Laufe der Jahrzehnte immer weiter zu verbreiten.
Aber egal ob Einstein das nun tatsächlich gesagt hat oder nicht: Ist das Bienensterben nicht wirklich eine Gefahr für die Menschen? Wenn die Bienen verschwinden und die Pflanzen nicht mehr bestäubt werden, dann ist unsere Nahrungskette und damit unsere Existenz doch ohne Zweifel gefährlich. Oder? Nicht ganz… Selbstverständlich ist es auf keinen Fall gut, wenn die Bienen aussterben würden! Colony Collapse Disorder ist ein massives ökologisches und auch wirtschaftliches Problem und wir sollten alles daran setzen, eine Lösung dafür zu finden. Aber in einer Welt ohne Bienen würden wir deswegen noch lange nicht aussterben. Bienen sind nicht die einzigen Lebewesen, die für die Bestäubung der Pflanzen zuständig sind!
Sehr viele Pflanzen kommen auch ganz ohne Tiere aus und werden zum Beispiel vom Wind bestäubt. Dazu gehören die für uns Menschen wichtigen Nutzpflanzen wie Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Hirse, Mais und Reis. Seltener, aber trotzdem vorhanden ist die Bestäubung durch Wasser bei Wasserpflanzen. Andere Pflanzen werden durch Vögel bestäubt oder durch Käfer (dazu gehören die wirtschaftlich relevanten Dattel- und Ölpalmen). Es gibt Pflanzen, die sich mit Hilfe von Fliegen fortpflanzen, sehr viele Pflanzen vertrauen auf Schmetterlinge und Fledermäuse treten als Bestäuber auf. Bienen sind wichtige Bestäuber aber sie müssen diesen Job bei weitem nicht alleine erledigen. Und würden sie verschwinden, würde deswegen nicht sofort unsere komplette Welt untergehen!
Der Schutz der Bienen und der Einsatz gegen das Bienensterben sind enorm wichtige Themen. Sie sind eigentlich wichtig genug, das man nicht noch extra falsche Einstein-Zitate ins Feld führen müsste, um die Aufmerksamkeit der Menschen zu erringen. Aber ich vermute, dass man bei Pro7 sowieso nicht so kompliziert gedacht hat, sondern schlicht und einfach überhaupt nicht gedacht und das überall im Internet herumfliegende Zitat gedanken- und kritiklos übernommen hat…
Ich würde der Redaktion (und allen anderen an Einstein-Zitaten interessierten Leuten) die Anschaffung des Buches “The Ultimate Quotable Einstein”* von Alice Calaprice empfehlen. Dort kann man auch nachlesen, dass das Bienen-Zitat nicht von ihm statt (um das herauszufinden hätte aber auch ein simpler Blick in die Wikipedia gereicht). Und wer mehr über die wissenschaftliche Erforschung der Bienen erfahren möchte, der soll sich die Bücher von Dave Goulson besorgen. Oder sich hier das kostenlose Buch “Die Erforschung der Bienenwelt” bestellen, das auf den Ergebnissen des Projekts HOBOS (HOneyBee Online Studies), des Würzburger Bienenforscher Jürgen Tautz basiert.
Kommentare (109)