Kaum zurück von meiner letzten Reise geht es auch schon wieder weiter. Diesmal nach Oberösterreich, wo ich heute Abend in Wels und morgen Abend in Bad Zell Vorträge halten werde. Es ist also wieder an der Zeit mir Gedanken über lokale Spezialitäten und ihre Verbindung zur Astronomie zu machen (siehe dazu auch meine Artikel über Leberkäse aus Linz, Zwiebelkuchen aus der Rhön, Knochenwurst aus dem Sauerland, Labskaus in Norddeutschland und Rauchbier in Bamberg). In Oberösterreich habe ich die im berühmten Mühlviertler Most gefunden! Der aus Äpfeln und Birnen gewonnene leicht alkoholische Obstwein schmeckt nicht nur sehr gut, sondern hält auch eine ganz besondere Verbindung zur Sonne bereit.
Eine Verbindung zwischen Äpfeln und der Sonne? Kommt jetzt wieder die Geschichte mit der Energie die im Inneren der Sonne erzeugt wird und ohne die die Pflanzen auf der Erde nicht existieren können? Nein, keine Sorge – diese Geschichte habe ich ja schon oft genug erzählt. Beim Mühlviertler Most geht es um etwas völlig anderes! Und zwar um das, was das Land Oberösterreich ganz offiziell hier auf dieser Seite verkündet:
“Was ein echter Mühlviertler ist, das gibt schon der Duft des Mostes wieder. Kühle entströmt ihm, resch und herb, aber immer auch ein Hauch von Frühling.”
Der Duft des Mostes; der Duft nach frischen Äpfeln ist ein Geruch, den jeder von uns sofort identifizieren kann. Aber warum eigentlich? Wie funktioniert das mit dem Riechen und warum riechen unterschiedliche Dinge unterschiedlich? Überraschenderweise ist die Funktionsweise des Geruchssinns immer noch nicht vollständig verstanden. Die aktuell favorisierte Theorie besagt – ganz vereinfacht – das es mit der Form der Moleküle zu tun hat, die in unsere Nase gelangen. Moleküle, beispielsweise aus dem Mühlviertler Most, haben eine bestimmte Größe und eine bestimmte Form die sich von Größe und Form anderer Moleküle unterscheiden. Rezeptoren in der Nase reagieren auf diese verschiedenen Parameter auf unterschiedliche Art und Weise und darum riecht der Most genau wie Most und nicht wie irgendetwas anderes.
Es gibt aber auch eine andere alternative Theorie die einen viel faszinierenderen Mechanismus vorschlägt. Es geht dabei um die Art und Weise wie Moleküle vibrieren können. Auch das ist bei verschiedenen Molekülen unterschiedlich und um an die Rezeptoren der Nase gebunden zu werden, muss die Vibration auf eine bestimmte und passende Art und Weise statt finden. Vor allem muss die Vibrationsenergie des Moleküls genau zum Unterschied zweier Energieniveaus im Rezeptor passen. Dabei spielt ein Vorgang eine wichtige Rolle: der sogenannte Tunneleffekt.
Dieses Phänomen taucht in der Quantenmechanik auf: Teilchen können Barrieren überwinden, auch wenn sie eigentlich nicht die nötige Energie dazu besitzen. Wieder ganz vereinfacht gesagt: Will sich zum Beispiel ein Elektron von A nach B bewegen, dann kann es das normalerweise nur, wenn es genug Energie hat um auch alle “Hindernisse” zu überwinden, auf die es unterwegs trifft. Das müssen nicht unbedingt physische Barrieren sein; ein Teilchen braucht auch Energie, wenn es beispielsweise ein elektromagnetisches Feld durchqueren will. Der Tunneleffekt ermöglicht es einem Teilchen aber, unter gewissen Umständen so eine Barriere zu überwinden, auch wenn die Energie nicht ausreicht. Denn in der Quantenmechanik ist ein Teilchen eben kein konkretes Teilchen sondern kann genau so gut als Welle beschrieben werden. Eine solche Welle ist aber ausgedehnt und hat keinen einzigen, fixen Ort mehr. Das Elektron ist quasi überall ein bisschen, und damit auch ein bisschen hinter der Barriere. Bei einer Messung kann man es mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit also auch dort finden, wo es eigentlich gar nicht sein dürfte. Das klingt alles ziemlich mysteriös, ist aber ein Phänomen das in Experimenten und bei Beobachtungen immer wieder nachgewiesen werden kann.
Bei der alternativen Theorie des Geruchs geht es nun darum, dass ein Elektron im Rezeptor mittels des Tunneleffekts von einem Energieniveau zum anderen wechselt. Damit das klappt muss es eine bestimmte Energie haben und das Elektron kann das erreichen in dem es zuvor ein wenig Energie an ein anderes Molekül abgibt. Ein Molekül, das genau den richtigen Vibratationszustand hat, um diese überschüssige Energie des Elektrons aufnehmen zu können. Es läuft also so ab: Ein Molekül, dessen chemische Bindungen genau die richtigen Vibrationsfrequenzen haben trifft in der Nase auf einen Rezeptor. Eines seiner Elektronen kann ein bisschen seiner Energie an das Molekül abgeben und ist dadurch fähig, über den Tunneleffekt auf ein anderes Energieniveau zu wechseln. Dadurch regt es die Neuronen an, die am Ende ein Signal ins Gehirn schicken, das wir als “Geruch” interpretieren. Wir riechen also, indem wir die Vibrationen chemischer Bindungen in Molekülen registrieren.
Eine faszinierende Theorie, für die einiges spricht: Zum Beispiel sollte unser Geruchssinn prinzipiell in der Lage sein, Isotope verschiedener Elemente zu unterscheiden. Experimente zeigen, dass das in bestimmten Fällen auch tatsächlich so ist. Mit der Vibrationstheorie des Geruchs lassen sich auch einige andere Dinge erklären, die mit der klassischen Theorie der Molekülformen nicht erklären lassen. Es gibt allerdings auch Experimente, die nicht zur Vibrationstheorie passen und es ist offensichtlich, dass hier noch viel Arbeit zu erledigen ist, bevor wir wirklich wissen, warum Dinge so riechen, wie sie riechen.
Die Idee, dass der Tunneleffekt der Quantenmechanik für so etwas alltägliches wie den Geruchssinn verantwortlich ist, ist aber ohne Zweifel sehr attraktiv. Vor allem, weil wir wissen, dass genau dieser Effekt anderswo definitiv eine wichtige Rolle spielt. Er ist zum Beispiel der Grund dafür, warum die Sonne leuchtet! Im Inneren unseres Sterns kollidieren Wasserstoffeatome miteinander um zu Helium zu verschmelzen. Bei dieser Kernfusion wird Energie frei, die ins All hinaus strahlt und (unter anderem) auf die Erde trifft und dort das Leben ermöglicht. Normalerweise würden die Wasserstoffatome bei Kollisionen ja voneinander abprallen. Sie haben die gleiche elektrische Ladung und würden sich gegenseitig abstoßen, genau so wie zwei Magnete. Aber weil es im Inneren der Sonne enorm heiß ist (über 10 Millionen Grad), bewegen sie sich so schnell, dass sie miteinander verschmelzen. Zumindest einige von ihnen, denn nicht alle sind schnell genug. Je höher die Temperatur, desto höher ist auch die Durchschnittsgeschwindigkeit. Das heißt, dass sich immer einige Atome viel schneller als der Durchschnitt bewegen und einige viel langsamer. Die schnellsten Atome sind schnell genug um verschmelzen können. Und wenn man das ganze entsprechend berechnet, dann zeigt sich, dass es in der Sonne eigentlich zu kühl ist, um ausreichend Atome ausreichen schnell zu machen. Zu wenige von ihnen würden verschmelzen, um sie so hell leuchten zu lassen, wie sie es tut.
Berücksichtigt man aber den Tunneleffekt, dann ändert sich das Bild! Der Tunneleffekt ermöglicht es auch manchen der langsamen Atome, die elektromagnetische Abstoßung zu überwinden und trotz der geringen Geschwindigkeit zu verschmelzen. Insgesamt finden so genug Fusionen statt, um die Sonne mit der nötigen Energie strahlen zu lassen.
Die gleichen seltsamen quantenmechanischen Effekte, die unsere Sonne leuchten lassen, sind also vielleicht auch dafür verantwortlich, dass unsere Nase den Geruch der Welt wahrnehmen kann! Im Mühlviertler Most steckt also nicht nur die Energie der Sonne selbst, sondern auch der Mechanismus mit dem sie in der Lage ist, diese Energie zu erzeugen…
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