Ich bin ja gerade bei der Tagung der Nobelpreisträger in Lindau am Bodensee. Es ist, wie erwartet, sehr interessant hier und vermutlich werden meine Berichte auch irgendwann im Konferenzblog erscheinen. Hier bei mir möchte ich in der Zwischenzeit aber ein paar persönliche Eindrücke sammeln.
Bei der jährlich stattfindenden Nobelpreisträger-Tagung geht es ja vor allem um den intensiven Austausch zwischen den Laureaten und den jungen Wissenschaftlern aus aller Welt. Jeden Tag gibt es hier kleine Diskussionsgruppen, in denen sich der wissenschaftliche Nachwuchs ganz ungehemmt mit den Preisträgern austauschen kann. Ich nehme an, dass das für die Forscher durchaus hilfreich ist und ihnen im Verlauf ihrer späteren Karriere etwas bringt. Aus eigener Erfahrung weiß ich es allerdings nicht, weil ich an der Tagung ja immer nur als Pressevertreter teilgenommen habe und daher auch immer nur die offiziellen Vorträge besuchen konnte. Die laufen im Prinzip so ab wie auf jeder anderen Konferenz auch; nur sind die Vortragenden hier eben alle Nobelpreisträger.
Und so sehr die großen Forscher auch angesichts ihrer wissenschaftlichen Leistungen ein Vorbild für den Nachwuchs sind – wenn es um die Art und Weise geht, wie hier Vorträge gehalten werden, dann sind die Nobelpreisträger auch nicht besser als der ganze Rest…
Wenn jemand aus der Leserschaft schon mal eine (naturwissenschaftliche) Konferenz besucht hat, der weiß, wie das abläuft und was ich kritisiere. Es gibt so viel, was man bei einem Vortrag falsch machen kann und typischerweise wird im Laufe einer Konferenz auch alles falsch gemacht. Hier ein paar Klassiker:
- Vortragsrecycling: Warum einen Vortrag extra für die Konferenz erstellen? Man kann ja auch einfach den Vortrag verwenden, den man bei der letzten Tagung gehalten hat. Der hat damals 60 Minuten gedauert und jetzt hat man nur 20 Minuten Zeit? Kein Problem, dann spricht man halt einfach schneller…
- Die Textwüste: Wer braucht schon Bilder, wenn man auch Text schreiben kann! Außerdem muss man sich dann selbst nichts merken, sondern kann einfach das vorlesen, was auf den Folien steht. Also packt man am besten so viel Text wie nur irgendwie möglich in die Präsentation. In kleiner Schrift. Muss ja im Publikum eh niemand lesen können, weil der Vortragende ja alles vorliest.
- Komplette Konfusion: Scheißegal, wenn das Publikum nicht ausschließlich aus Experten für das eigene Fachgebiet besteht! Die sollen sich gefälligst entsprechend vorbereiten! Und wenn sie die ganzen Fachausdrücke, komplizierten Formeln und komplexen Grafiken nicht verstehen, ist es deren eigene Schuld!
- Das abrupte Ende: Am besten man geht den Vortrag erst mal ruuuhig an. Zuerst erklärt man mal, was man in den nächsten 20 Minuten vor hat zu erklären, bevor man es dann tatsächlich erklärt. Oder auch nicht. Denn man muss ja auch noch alle Mitarbeiter erwähnen. Und alle Grundlagen von Grund auf ganz gründlich ausarbeiten. Und wenn dann nur noch eine Minute Vortragszeit übrig ist, kann man sich ja immer noch im Höllentempo durch die Folien mit den Resultaten klicken – das hat außerdem den Vorteil, das keiner so wirklich mit bekommt was man nun eigentlich getan und herausgefunden hat und niemand die Ergebnisse kritisieren kann.
Und so weiter. Von Vortragenden die zu leise, zu monoton, mit unverständlichen Akzenten oder (meistens im Fall junger Studenten) komplett eingeschüchtert und konfus sprechen, will ich gar nicht erst anfangen… Es gibt sogar ein Bad Presentation Bingo das man bei einer Konferenz meistens recht schnell voll bekommen sollte.
Natürlich gibt es auch Vortragende, die wirklich gut sind und denen man gerne zu hört. Bei denen man am Ende tatsächlich etwas gelernt und etwas verstanden hat. Aber das trifft eben nicht auf alle zu und den Nobelpreisträgern geht es nicht anders. Man bekommt hier die gleichen schlechten Vorträge zu hören, wie auf allen anderen Konferenzen. Natürlich nur schlecht, was die äußere Form angeht! Die Inhalte sind selbstverständlich ein ganz anderes Thema. In der Hinsicht könnte eine Konferenz kaum besser und hochkarätiger sein als die in Lindau! Anderswo hat man Glück, wenn zwischen all den vielen Vorträgen zu eher technischen und spezialisierten Themen ein oder zwei wirklich relevante und “große” Themen präsentiert werden. In Lindau handelt jeder Vortrag von bedeutsamer Forschung – immerhin geht es um Wissenschaft, die mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden ist.
Wenn sie nur ebenso ausgezeichnet präsentiert werden würde… Aber die Laureaten haben ihren Nobelpreis eben für die Forschung bekommen und nicht für ihre Vortragstechnik. Sie mögen zwar, zumindest unter Wissenschaftlern, eine gewisse Prominenz genießen, aber wenn sie ihre Vorträge halten, dann zeigt sich, das sie auch nur ganz normale Menschen sind.
Gestern habe ich mir zum Beispiel angehört, was Carlo Rubbia, Preisträger für Physik aus dem Jahr 1984, über “Astro-Teilchenphysik und die Zukunft der Beschleunigertechnik” zu erzählen hatte. Wie gesagt, ich habs mir angehört – aber so gut wie nichts verstanden. Die Präsentation bestand aus Folien, die ausschließlich mit Text gefüllt waren und so schnell aufeinander folgten, das man kaum eine Chance hatte, sie zu lesen oder gar zu verstehen. Und wenn sie nicht voller Text waren, dann waren sie voll mit Formeln, die man wohl nur verstehen konnte, wenn man schon so viel Ahnung vom Thema hat, das man sich den Vortrag eigentlich gar nicht mehr anhören müsste. Und die Tatsache, dass die Konferenz in Lindau in diesem Jahr interdisziplinär ist und im Publikum nicht nur Physiker sondern auch Chemiker und Mediziner saßen, hat nicht unbedingt dazu beigetragen, das allgemeine Interesse an Rubbias Ausführungen hoch zu halten. Der Großteil der (noch) Anwesenden fand das eigene Smartphone interessanter als den Vortrag auf der Bühne.
Nicht zum ersten Mal habe ich mich gefragt, ob es sich wirklich lohnt, für solche Vorträge ganze Konferenzen zu veranstalten. Man sitzt den ganzen Tag in irgendwelchen Vortragssälen herum um sich Präsentationen anzuhören, bei denen man nicht sicher ist, ob man sie nicht versteht weil der Vortrag so schlecht war oder weil man zu dumm dafür ist… Und ich bin auch nicht der einzige, der sich so etwas fragt. Der Sinn von wissenschaftlichen Konferenzen wird immer wieder mal in Frage gestellt. Lest zum Beispiel diesen erhellenden Beitrag eines Doktoranden.
Natürlich hab ich in Lindau auch sehr gute Vorträge gehört. Den von Saul Perlmutter über die dunkle Energie fand ich enorm unterhaltsam und informativ. Und selbst als ich zufällig in einen Vortrag von Harald zur Hausen über Darm- und Brustkrebs geraten bin, war ich überrascht, wie interessant und verständlich er ein Thema präsentiert hat, über das ich mich normalerweise nie freiwillig informieren wollen würde.
Aber im Prinzip könnte man sich die Vorträge auf den Konferenzen auch sparen. Die wissenschaftlichen Ergebnisse, die dort präsentiert werden, stehen auch in den entsprechenden Fachartikeln und sind dort meistens auch noch ausführlicher und verständlicher dargelegt als es in einer kurzen Konferenzpräsentation möglich ist. Das, was eine Konferenz wertvoll macht, sind nicht die Vorträge, sondern die Möglichkeit, mit Kollegen in einer anderen Atmosphäre und losgelöst vom üblichen Arbeitsalltag zu diskutieren. Wenn man die Wissenschaftler einfach eine Woche lang gemeinsam irgendwo an einem netten Ort Urlaub machen lassen würde, wäre das vermutlich sogar effektiver was die wissenschaftliche Arbeit angeht als wenn sie den Großteil ihrer Zeit damit verbringen müssen, sich (schlechte) Vorträge anzuhören…
Ich werde mir in Lindau natürlich trotzdem noch anhören, was es dort in den nächsten Tagen vorgetragen wird. Wenn ich Pech habe, erwische ich wieder eine Präsentationskatastrophe wie bei Rubbia; aber das muss ja nicht immer so sein. Interessante Themen wird es auf jeden Fall geben! Aber ich vermute weiterhin, dass der eigentliche Wert von Konferenzen wie der in Lindau nicht in den Vorträgen, sondern den intensiven Diskussionen danach liegt. Und wenn die Nachwuchsforscher zuvor gesehen haben, das der Nobelpreisträger auch nur ein ganz normaler Mensch ist und nicht besser vortragen kann als jeder andere Wissenschaftler, diskutiert es sich später gleich viel lockerer.
Hmm. Vielleicht machen die Nobelpreisträger das mit den schlechten Vorträgen ja auch genau deswegen absichtlich!
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