Heute geht die 65. Nobelpreisträgerkonferenz in Lindau am Bodensee und ich habe hier eine sehr interessante Woche verbracht. Natürlich aus wissenschaftlicher Sicht – aber auch die Gegend hier ist wunderschön! Den ersten Tag, an dem noch kein wissenschaftliches Programm stattgefunden hat, habe ich damit verbracht, mir die Landschaft ein wenig genauer anzusehen. Ich bin von Lindau aus den Bodensee entlang hinüber nach Österreich gelaufen und dort auf Pfänder hinauf, den 1064 Meter hohen Hausberg der vorarlbergerischen Landeshauptstadt Bregenz. Diesen Ausflug kann ich nur empfehlen; von dort oben hat man einen fantastischen Blick über den Bodensee:
Aber auch über die Gipfel der hohen Berge in der Umgebung:
Lindau selbst war natürlich so kitschig schön wie immer (und so überlaufen mit Touristen und Konferenzteilnehmern wie immer):
Wie gesagt: Am ersten Tag gab es noch nicht viel Wissenschaft zu erledigen. Erstmal mussten alle ankommen, heimisch werden und am Abend gab es für alle ein nettes Abendessen am Ufer des Bodensees um sich besser kennen zu lernen. Der Sonnenuntergang war genau so kitschig wie Lindau selbst:
Am Montag ging es dann aber mit der Wissenschaft los! Die Nobelpreisträger hielten ihre Vorträge in der Inselhalle von Lindau und es gab viel zu hören. Eric Betzig, einer der Nobelpreisträger für Chemie des Jahres 2014 hielt einen sehr inspirierenden Vortrag und erzählte, wie er sich zuerst aus der Wissenschaft komplett zurück zog, noch einmal ganz von vorne anfing zu lernen und gerade wegen dieser Auszeit in der Lage war, Probleme anzugehen und zu lösen die er als Teil der akademischen Welt vermutlich nicht angehen hätte können. Eine seiner Folien hat mir besonders gut gefallen:
Hier zeigt Betzig, wie sich die Erwartungen an neue wissenschaftliche Entdeckungen und Technologien im Laufe der Zeit verändern. Zuerst sind alle höchst begeistert und die Aufregung ist groß. So groß, dass viele sogar den Pfad der legitimen Spekulation verlassen und komplett in eine Fantasie abdriften, in der der neuen Technologie das Potential zugesprochen wird, alle Probleme dieser Welt zu lösen. Die Erwartung pendelt sich dann aber meist auf einem niedrigeren Niveau ein, nur um dann von der Realität im Laufe der Zeit untertroffen (ist das ein Wort?) zu werden. Betzig fand dafür einen höchst passenden Vergleich:
“Neue Technologie ist wie ein Baby. Zuerst denkt man, es wird später einmal Präsident werden oder Krebs heilen. Aber später ist man dann schon froh, wenn es nicht im Gefängnis landet.”
Auch der nächste Vortrag war großartig. Er wurde von Saul Perlmutter gehalten; einem der Entdecker der “Dunklen Energie” und Nobelpreisträger des Jahres 2011.
Er sprach natürlich über seine Arbeit, aber vor allem darüber, was wir aus den Ergebnissen dieser Forschung gelernt haben. Ich habe den Vortrag ausführlich in einem Artikel für das Konferenzblog beschrieben.
Am Dienstag wollte ich dann hören, was Physik-Nobelpreisträger Carlo Rubbia über die Zukunft der Astro-Teilchenphysik und neue Technologien für Teilchenbeschleuniger zu erzählen hat. Dabei bin ich gescheitert, weil Rubbias Vortrag schlicht und einfach unzuhörbar (ist wenigstens das ein Wort?) war.
Über schlechte Vorträge bei Konferenzen im allgemeinen und in Lindau im speziellen habe ich dann auch einen eigenen Artikel geschrieben. Über Rubbias Vortrag – soweit ich ihn dann doch noch verstehen konnte – ebenfalls; der wird aber im Konferenzblog erscheinen und ich weise nochmal extra darauf hin, wenn es so weit ist.
Der 30. Juni 2015 war außerdem der “Asteroid Day” was ich zum Anlass genommen habe einen ausführlichen Artikel über Asteroiden zu schreiben und mein spezielles Asteroiden-Tshirt anzuziehen:
Bei der Konferenz spielten Asteroiden leider keine Rolle – für diese “normale” Astronomie gibt es ja leider keine Nobelpreise; die gibt es so gut wie immer nur für kosmologische Themen.
Am Abend des 30. Juni gab es dann wieder die Möglichkeit, Konferenzteilnehmer und Nobelpreisträger in lockerer Runde kennen zu lernen. Im Toskanapark von Lindau fand das traditionelle “Grill & Chill” statt; mit Bier, Wein und Essen direkt am Bodensee.
Ebenso traditionell waren aber auch die langen Schlangen vor der Essensausgabe – die aber immerhin die Möglichkeit boten, lange Gespräche mit anderen Konferenzteilnehmern zu führen:
Ein persönlicher Höhepunkt für mich war der Vortrag von Robert Wilson am Mittwoch. Wilson, der 1964 gemeinsam mit Arno Penzias die kosmische Hintergrundstrahlung entdeckt und damit die damals noch umstrittene Urknalltheorie bestätigte war für mich immer so sehr eine historische Figur, das ich ehrlich gesagt gar nicht damit gerechnet hatte, dass er noch am Leben ist. Aber das ist er und in Lindau hat er einen Vortrag gehalten:
Wilson dabei zuzuhören, wie er von seinen Beobachtungen, ihren Auswirkungen und der Entwicklung der Urknalltheorie erzählt ist ein wenig so, als würde man Galileo Galilei dabei zuhören, wie er vom Wechsel von Geo- zu Heliozentrismus erzählt. Oder als würde einem Isaac Newton die Geschichte der Gravitation erklären. Sein Vortrag war großartig, spannend und auch darüber habe ich im Blog der Konferenz geschrieben und hoffe, dass der Artikel dort demnächst veröffentlicht wird.
Untertags war es in Lindau viel zu heiß, um irgendwas zu unternehmen (und es gab ja sowieso jede Menge Wissenschaft zu erleben). Und einen Sonnebrand wollte ich auch nicht bekommen. Aber am Abend war es wunderbar kühl und angenehm und ich bin mit dem Fahrrad nach Bregenz geradelt:
Und hab dort mal nachgesehen, wie das Bier aus Vorarlberg schmeckt.
Der Donnerstag war noch heißer als der Mittwoch. Besonders dann, wenn man sich, so wie ich, in das “Internet Cafe” setzt um zu arbeiten. Das besteht aus einem großen Plastikzelt das in der prallen Sonne am Ufer des Sees steht:
Aber dort funktionierte zumindest das WLAN…
Ein bisschen kühler war es in der klimatisierten Inselhalle, wo ich mir dann den Vortrag von Sir Harold Kroto angehört habe. Der Chemie-Nobelpreisträger sprach überraschenderweise über ein astronomisches Thema, nämlich die Suche nach diffusen interstellaren Banden. Und nein, das sind keine schwer zu fassenden Weltraumpiraten. Es handelt sich um ein Phänomen, das schon seit fast 100 Jahren bekannt, aber immer noch nicht völlig verstanden ist. Es geht dabei um seltsame Spektrallinien, die höchstwahrscheinlich von komplexen Molekülen in der interstellaren Materie hervorgerufen werden. Aber um welche Moleküle es sich dabei genau handelt, ist immer noch unklar. Obwohl die astrochemische Forschung, für die Kroto auch mit seinem Preis ausgezeichnet wurde, starke Hinweise liefert, wo die Quelle der diffusen Banden tatsächlich liegt. Auch diesen Vortrag habe ich im Konferenzblog ausführlich beschrieben und werde auch hier wieder darauf hinweisen, wenn er dort veröffentlicht wird.
Äußerst amüsant war der folgende Vortrag von Oliver Smithies, Nobelpreisträger für Medizin/Physiologie des Jahres 2007. Smithies sprach nicht so sehr über seine Forschungsarbeit (obwohl die auch vorkam), sondern hauptsächlich über sein Leben als Wissenschaftler. Eine Anekdote hat mir besonders gut gefallen. Im Rahmen seiner Doktorarbeit entwickelte Smithies eine spezielle wissenschaftliche Methode. Gut gelaunt wies er darauf hin, dass diese Arbeit kein einziges Mal zitiert worden war. Dass niemand diese Methode verwendet hat. Nicht einmal er selbst…
Eine komplett sinnlose Arbeit also? Ganz im Gegenteil meint Smithies: Er habe dabei gelernt, vernünftige wissenschaftliche Arbeit zu leisten und vor allem etwas getan, das ihm Spaß machte. Und das sei das wichtigste, wenn man ein guter Wissenschaftler werden wolle:
“Man darf keine Kopie seines Betreuers werden!”
rät er den jungen Forschern im Publikum und ich kann mich dieser Aussagen nur voll und ganz anschließen. Auf den Unis, an denen ich gearbeitet habe, habe ich viel zu viele Doktoranden und auch fertige Doktoren beobachtet, die nichts anderes gemacht haben, als “Auftragsforschung” für ihre Betreuer und Chefs. Dabei ist es in der Wissenschaft so enorm wichtig, selbst zu denken und selbst kreativ zu sein! Und dazu braucht es eben auch den Spaß an der Forschung! Smithies rät allen, die keinen Spaß und keine Faszination für ihr Arbeitsthema empfinden zu ihrem Betreuer zu gehen und ihn um einen Wechsel des Themas zu bitten. Oder konsequent den Betreuer zu wechseln, sollte der nicht darauf eingehen…
Der heutige Abschlusstag des Treffens hat sich seit ihren Ursprüngen im Jahr 1951 nicht verändert: Die Nobelpreisträger und Konferenzteilnehmer fahren mit dem Schiff zur Insel Mainau um dort ein letztes Mal gemeinsam über Wissenschaft zu diskutieren oder einfach nur so ungezwungen zu plaudern und einen netten Tag zu verbringen. Diesen Ausflug habe ich mir aber gespart – auf dem Schiff ist nicht für alle Platz (und schon gar nicht für Vertreter der Medien, wie mich) und auf eine lange Autobusfahrt von Lindau nach Konstanz hatte ich bei dem Wetter keine Lust. Ich habe den Tag genutzt, um in der (relativen) Kühle meines Hotelzimmers noch ein bisschen zu arbeiten, einen weiteren Artikel für das Konferenzblog zu schreiben und mir ein letztes Mal die wunderbare Gegend anzusehen.
Morgen geht es dann wieder zurück nach Jena. Zum Abschluss habe ich aber noch ein kurzes Fundstück aus der lokalen Lindauer Zeitung, das wunderbar demonstriert, dass das Internet hierzulande tatsächlich immer noch “Neuland” zu sein scheint:
Ich “sogenannter Blogger” verabschiede mich also aus Lindau und werde mich dann demnächst wieder von Jena aus “im Internet auslassen” 😉
P.S. Übrigens: So gut wie alle öffentlichen Vorträge der Konferenz in Lindau kann man sich auch nachträglich auf der Homepage online ansehen
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