Seit dem 11. März 2013 schreibe ich hier in meinem Blog nur noch über Forschungsergebnisse, wenn der diesen Ergebnisse zugrunde liegende Fachartikel frei verfügbar ist. Also für alle zugänglich ist, ohne dass man dafür bezahlen muss oder irgendeinen speziellen Zugang benötigt. Das hat natürlich im Laufe der Zeit dazu geführt, dass ich über sehr viele interessante Geschichten nicht geschrieben habe. Ganz besonders ärgerlich ist es immer dann, wenn man von den PR-Abteilungen einer Forschungseinrichtung per Pressemitteilung auf ein spannendes neues Ergebnis aufmerksam gemacht wird und man dann aber feststellen muss, dass die Forschungsarbeit von der die Pressemitteilung handelt, nicht frei zugänglich ist. Das ist nicht nur ärgerlich. Es schadet meiner Meinung nach auch einem vernünftigen Wissenschaftsjournalismus.
Eine Pressemitteilung informiert ja nicht zwingend völlig objektiv über ein Forschungsthema. Das kann der Fall sein, aber es ist nicht überraschend, wenn es nicht so ist. Verständlicherweise möchte die Forschungseinrichtung die die Mitteilung verschickt ihre eigenen Forscher und deren Arbeit möglichst positiv präsentieren. Daran ist auch gar nichts verwerflich; das ist die Aufgabe einer PR-Abteilung und Pressemitteilungen sind ein Zweck das zu erreichen.
Aber eigentlich sollte es auch einer PR-Abteilung daran gelegen sein, das Wissenschaft in den Medien seriös und vor allem objektiv dargestellt wird. Jede überzogene Darstellung, egal ob zu negativ oder zu positiv, fällt irgendwann auf die Wissenschaft selbst zurück. Der PR-Abteilung einer Forschungseinrichtung sollte auch nicht nur an den Medien gelegen sein, sondern an den Konsumenten dieser Medien! Aus Sicht der PR ist es sicherlich ein Erfolg, wenn möglichst viele Medien über den Inhalt einer Pressemitteilung berichten. Je mehr, desto besser! Aus Sicht des Konsumenten aber zählt die Vielfalt und die Menge an Information. Wenn nun aber überall einfach nur der Inhalt der Pressemitteilung reproduziert wird, kann es keine Vielfalt geben und auch keine Information die über das hinaus geht, was die PR-Abteilung in die Aussendung hinein geschrieben hat.
Womit wir bei dem Punkt wären, um den es mir geht: Die freie Verfügbarkeit der Quellen. Aus meiner Sicht ist eine Pressmitteilung wertlos, wenn ich nicht auch die wissenschaftliche Facharbeit lesen kann, über deren Ergebnisse sie mich informieren will. Das heißt nicht, dass ich Pressemitteilungen und die Arbeit der PR-Abteilungen generell für unnötig halte. Ganz im Gegenteil! Sie stellen für mich einen wichtigen Teil meiner Informationsquelle dar. Es wird so viel geforscht, das man als einzelner Mensch kaum den Überblick behalten kann. Besonders wenn um es Themen geht, die nicht mein eigenes Spezialgebiet betreffen bin ich dankbar, wenn mich Universitäten und Forschungseinrichtungen über deren aktuelle Forschung informieren. Viele meine Themen hier im Blog finde ich über diesen Weg.
Noch viel mehr aber verwerfe ich auch, weil ich nach der Lektüre der Pressemitteilung festgestellt habe, dass die Forschungsarbeit nicht frei verfügbar ist. Den worüber soll ich schreiben, wenn mir diese Quelle nicht zur Verfügung steht? Soll ich einfach nur den Inhalt der Pressemitteilung kopieren? Könnte ich machen und viele Medien machen das auch genau so. Aber für mich macht es keinen Sinn, wenn in meinem Blog genau das gleiche zu lesen ist wie überall sonst auch (und eigentlich sollte das für die anderen Medien ebenfalls so sein). Vor allem aber will ich mir zuerst selbst ein Bild machen können, bevor ich über etwas schreibe. Ich vertraue zwar prinzipiell darauf, dass die Inhalte der Forschungsarbeit von der PR-Abteilung vernünftig und korrekt zusammengefasst sind (immerhin spreche ich hier jetzt nur von wissenschaftlichen Einrichtungen und nicht von politischen Parteien und anderen ähnlichen Gruppierungen die viel eher daran interessiert sind, die Medienberichterstattung in ihrem ideologischen Sinne zu gestalten). Ich kenne auch viele Leute die in der Wissenschafts-PR arbeiten und weiß, das sie gute Arbeit machen. Aber trotzdem will ich selbst nachsehen können, was in der Forschungsarbeit steht.
Zum Beispiel, weil ich manche Punkte trotz aller Erklärungen in der Pressemitteilung nicht verstehe und nochmal genau nachsehen will, worum es sich handelt. Oder weil ich eine Geschichte über die Forschungsarbeit schreiben will, für die ich mehr Details benötige, als in der Pressemitteilung zu finden sind. Oder weil ich eben die ganze Arbeit sehen will und nicht nur die Resultate, die sich die PR-Abteilung als berichtenswert heraus gesucht hat. Oft findet man so Geschichten und Forschungsergebnisse, die bei genauerer Betrachtung noch viel interessanter sind als das, was in der Pressemitteilung steht.
Die freie Verfügbarkeit der Quelle ist aber auch für die Leser meiner Artikel wichtig. Ich möchte nicht nur darauf verweisen können, wo ich meine Informationen her habe. Ich möchte auch, dass jeder die Möglichkeit hat, selbst nachzusehen, ob das was ich geschrieben habe, auch tatsächlich richtig ist. Bei Interesse soll auch jeder selbst weiter und tiefer recherchieren können. Und dazu muss eben nicht nur ich Zugriff auf die Quelle haben, sondern eben auch meine Leser.
Und genau das ist eben leider oft nicht der Fall. Oft ist der einer Pressemitteilung zugrunde liegende Fachartikel nicht frei verfügbar sondern bei den wissenschaftlichen Verlagen nur gegen eine (meist absurd hohe) Gebühr zu erhalten. Wenn das so ist, dann werde ich nicht über die Geschichte berichten, auch wenn sie noch so interessant ist. Natürlich gäbe es Möglichkeiten, trotzdem irgendwie an die Fachartikel zu kommen. Ich könnte die Forscher direkt anschreiben und darum bitten. Auch meine ehemaligen Kollegen an den Universitäten haben oft durch ihre Institutionen Zugriff auf die Arbeiten und könnten sie mir besorgen. Aber das ist keine Lösung für die Probleme, die ich eben alle beschrieben habe. Es geht nicht darum, ob ich den Artikel lesen kann oder nicht. Es geht ums Prinzip!
Ganz pauschal und ein wenig polemisch formuliert: Eine PR-Abteilung die eine Pressemitteilung verschickt deren Quellen nicht frei verfügbar sind sagt eigentlich nichts anderes als: “Unsere Wissenschaftler haben tolle Forschung gemacht und wir hätten es gerne, wenn du darüber berichtest. Aber verwende für deine Berichterstattung doch bitte nur die Informationen die wir dir geben und sonst nichts!” Dass das einem vernünftigen und vielfältigen Wissenschaftsjournalismus nicht zuträglich ist, sollte offensichtlich sein.
Mir ist auch klar, dass das Problem nicht gezwungenermaßen von den PR-Abteilungen verursacht wird. Die Entscheidung, ob eine Arbeit frei verfügbar ist oder nicht, liegt bei den Wissenschaftlern selbst. Wenn sie ihre Arbeiten in Zeitschriften veröffentlichen, die keinen freien Zugang ermöglichen und auch darauf verzichten, ihre Artikel anderweitig (zum Beispiel über Preprint-Server wie arXiv) verfügbar zu machen, kann die PR-Abteilung auch nichts daran ändern. Aber sie könnte (sollte) dann eigentlich auch darauf verzichten, eine Pressemitteilung zu verschicken! Und wenn die Wissenschaftler sich dann beschweren, dass ihre Ergebnisse nicht in der Öffentlichkeit auftauchen, kann man ihnen ja erklären, warum das so ist.
Natürlich ist das ganze Problem sehr komplex. Es geht um Open Access und darüber habe ich schon anderswo lange Artikel geschrieben und erklärt, wieso die Fixierung der Wissenschaft auf “wichtige” Journalen mit “gutem” Impact Faktor wenig zielführend ist und man lieber dafür sorgen sollte, dass die Arbeiten frei verfügbar sind. Dieser Artikel hier und mein Boykott nicht frei zugänglicher Forschung wird die Welt ebenfalls nicht ändern.
Es wäre aber eigentlich nicht schwer; zumindest wenn es nur darum geht, Pressemitteilungen mit freien Quellen auszustatten. Es braucht dazu keine große Politik; es braucht keine zusätzliche Finanzierung oder sonst irgendeinen großen Aufwand. Es braucht eigentlich nur eine zusätzliche Richtlinie in der PR-Abteilung: Eine Pressemitteilung kann nur dann verfasst werden, wenn die Wissenschaftler ihre Arbeit zuvor bei einem Preprint-Server hochgeladen haben. Das kostet kein Geld, kaum Arbeit und selbst die “wichtigen” Journale wie Nature und Science erlauben das mittlerweile.
Ich ärgere mich jedes Mal, wenn ich wieder irgendwo eine tolle Geschichte entdecke und dann feststelle, dass die Quelle nicht frei verfügbar ist. Und auch die PR-Abteilungen sollten sich darüber ärgern. Sie werden es vermutlich verschmerzen, wenn mein Blog ihre Mitteilung ignoriert und nicht darüber berichtet. Aber sie sollten an einem vernünftigen Wissenschaftsjournalismus interessiert sein und an Menschen, die diesen Journalismus gerne und mit Interesse konsumieren und sich über vielfältige und informative Artikel freuen.
Und was das allgemeine Problem des Open Access angeht: Gerade die PR-Abteilungen der Forschungseinrichtungen sollten auch hier daran interessiert sein, dass möglichst viele ihrer Forscher möglichst viele ihrer Ergebnisse frei verfügbar machen! Denn es gibt ja tatsächlich auch noch Wissenschaftsjournalisten, die sich nicht einfach nur auf Pressemitteilungen verlassen, sondern selbst recherchieren und auf die Suche nach neuen Geschichten gehen. Und frei verfügbarer Forschung findet sich leichter und man kann schneller und unkomplizierter darüber recherchieren. Eine PR-Abteilung kann nicht über jedes aus ihrer Forschungseinrichtung stammende Ergebnis berichten. Wenn aber dafür gesorgt wird, dass möglichst viele diese Ergebnisse frei verfügbar sind, dann erhöht man die Chancen, dass auch ohne Pressemitteilung darüber geschrieben wird.
Also: Macht die Forschung frei! Oder hört zumindest auf, Pressemitteilungen zu verschicken, wenn deren Quellen nicht frei sind!
P.S. Ich habe über dieses Thema schon einmal berichtet und zwar hier. Damals aber unter einem leicht anderen Gesichtspunkt und thematisch nicht so präzise auf das Thema der Pressemitteilungen zugeschnitten. Da ich mir vorgenommen habe, PR-Abteilungen in Zukunft öfter mal direkt auf dieses Problem hinzuweisen, wollte ich die Sache noch einmal unter diesem Aspekt aufschreiben.
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