Es ist nicht ganz klar, wieso Röntgen gerade dem Vortrag in Stockholm so eine große Abneigung entgegen gebracht hat. Immerhin hielt er regelmäßig Vorlesungen an seiner Universität und hat auch davor schon den einen oder anderen Vortrag in öffentlichen Rahmen gehalten. Vielleicht wollte er aber auch nur dem Konflikt mit dem Physiker Philipp Lenard entgehen. Bei der Entdeckung seiner Strahlen benutzte Röntgen von Lenard gefertigte Instrumente und der sah diesen Beitrag in Röntgens Publikation nicht ausreichend gewürdigt. Bei einem öffentlichen Vortrag über die Entdeckung hätte Röntgen darauf vermutlich eingehen müssen und dem Streit neue Nahrung geliefert.

Welche Gründe Röntgens Entscheidung auch immer zugrunde lagen: Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können das Unbehagen vor öffentlichen Auftritten vermutlich nachvollziehen. Die Forschungsarbeit scheint introvertierte Menschen besonders stark anzuziehen und die Präsentation der Ergebnisse vor einem großen Publikum stellt viele vor Schwierigkeiten. Dabei ist die Öffentlichkeitsarbeit ein unverzichtbarer Bestandteil der Wissenschaft: Wenn die Ergebnisse der Forschung einen nachhaltigen Wert haben sollen, müssen sie den Kollegen und vor allem dem wissenschaftlichen Nachwuchs vermittelt werden.

Wenn sich die Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger jedes Jahr in Lindau versammeln, dann tun sie dabei genau das. Sie sprechen vor hunderten Nachwuchswissenschaftlern aus aller Welt über ihre Arbeit und diese Vorträge dienen nicht nur der Information sondern auch der Inspiration. Große Entdeckungen wie die von Wilhelm Conrad Röntgen sind natürlich auch für sich alleine bedeutend. Aber ihr volles Potential können sie erst dann entfalten, wenn sie in der Öffentlichkeit diskutiert und präsentiert werden. Nur dann besteht die Möglichkeit, die der Wissenschaft innewohnende Faszination auch der nächsten Generation der Forscherinnen und Forscher zu vermitteln.

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Kommentare (11)

  1. #1 Alderamin
    13. Juli 2015

    @Florian

    Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können das Unbehagen vor öffentlichen Auftritten vermutlich nachvollziehen.

    Ich kann mich noch sehr gut an die Präsentation meines ersten Papers erinnern. Das war auf einer ESA-Konferenz mit ca. 300 Zuhörern, und es wurde sogar simultan übersetzt. Um nicht als völliges Nervenbündel auf der Bühne zu stehen, nahm ich vorher eine Valium, das beruhigte ungemein. Ich lieferte dann auch einen, wie ich meine, ganz passablen Vortrag ab und konnte alle Fragen zufrieden stellend beantworten.

    Als ich dann aber wieder auf meinem Platz saß und die Anspannung weg war, hatte ich GROSSE Probleme, wach zu bleiben, weil die Tablette so reinhaute. Ich hätte mir Hölzchen unter die Lider stecken können und musste fortwährend gähnen. Fortan verzichtete ich auf derartiges Doping und kam dann auch irgendwann so klar. Mit der Routine sinkt die Nervosität.

    Mit großem Respekt erinnere ich mich an die Dolmetscher, die die Vorträge auf Französisch, Flämisch (das fand in Lüttich statt) und in andere Sprachen übersetzten. Manch Vortragender hatte ein so grausiges English (und offenbar sein Valium vergessen), dass ich davon überhaupt nichts verstand, aber dem auf Französisch übersetzten Vortrag doch einigermaßen folgen konnte. RESPEKT!

  2. #2 McPomm
    13. Juli 2015

    Meine größte Angst bei meinen ersten Vorträgen auf Konferenzen war nicht der Vortrag an sich, sondern die Befürchtung, hinterher mit bohrenden Fragen auseinander genommen zu werden. Die anderen kamen einem viel erfahrener und fundierter vor und man sich selbst als einem mit einem “blöden” Thema. Glücklicherweise hat mich mein betreuender Professor immer gestärkt. Und die anderen Wissenschaftler sind natürlich wohlwollender als man denkt.

    Und was die Vortragsweise angeht. Da waren bei meinem ersten Vortrag Chinesen vor mir dran gewesen. Und bei deren grässlichem Englisch habe ich mir gesagt, dass meins sicher nicht so schlimm ist und mich beruhigt.

  3. #3 mathias
    13. Juli 2015

    “Vielleicht wollte er aber auch nur dem Konflikt mit dem Physiker Philipp Lenard entgehen”

    War vielleicht besser so, was man von Lenard so liest…

  4. #4 Karla Kolumna
    13. Juli 2015

    Die Forschungsarbeit scheint introvertierte Menschen besonders stark anzuziehen und die Präsentation der Ergebnisse vor einem großen Publikum stellt viele vor Schwierigkeiten. Dabei ist die Öffentlichkeitsarbeit ein unverzichtbarer Bestandteil der Wissenschaft: Wenn die Ergebnisse der Forschung einen nachhaltigen Wert haben sollen, müssen sie den Kollegen und vor allem dem wissenschaftlichen Nachwuchs vermittelt werden.

    Das erstaunt mich auch immer wieder. Gerade als Student bekommt man ja mit wie wenig sich die meisten (vor allem angehenden) Wissenschaftler in ihr Kämmerlein verziehen können: Praktika, Übungen, Vorlesungen, Sprechstunden, Konferenzen, Vorträge, Postersession etc. pp.
    Und doch hat ein Großteil derjenigen die es schlussendlich zur Professur geschafft haben sicherlich ein großes Fachwissen aber auch eine ebenso große Lücke im Präsentieren.
    Was natürlich im Lehrgeschäft ebenso wenig nützlich ist wie bei Konferenzen.

    Mit der Routine sinkt die Nervosität.

    Erfreulicherweise darf ich das an mir, zwar fernab der Wissenschaft, erleben. Führte am Anfang noch jeder unerwartete oder erwartete Kundenanruf zu Schweißausbrüchen und Wortfindungsstörungen, bringen mich jetzt nur noch die vollkommen unerwarteten ins Haspeln.

    Meine größte Angst bei meinen ersten Vorträgen auf Konferenzen war nicht der Vortrag an sich, sondern die Befürchtung, hinterher mit bohrenden Fragen auseinander genommen zu werden.

    Etwas was meinem Chef sehr wichtig ist, ist wenn man etwas nicht weiß den Fragen souverän zu begegnen und sein Unwissen zuzugeben und (eher im persönlichen Gespräch möglich) den Fragenden zu “vertrösten” und die Antwort nachzureichen. Wenn man das dann auch wirklich zeitnah erledigt, wird es gar nicht als Mangel angesehen die Antwort nicht direkt zu wissen.

  5. #5 Alderamin
    13. Juli 2015

    @McPomm

    Meine größte Angst bei meinen ersten Vorträgen auf Konferenzen war nicht der Vortrag an sich, sondern die Befürchtung, hinterher mit bohrenden Fragen auseinander genommen zu werden.

    Wo Du’s sagst, das war auch meine größte Sorge. Den Vortrag selbst kann man ja üben. Vor dem ersten Konferenzvortrag weiß man aber nicht, was einen an Fragen erwartet, und bei Vorträgen vor Institutskollegen und dem Professor wird man ja auch manchmal fachgerecht zerlegt, wie schlimm würde da erst die Konferenz sein… am Ende ganz harmlos, hört ja eh kaum einer richtig zu 😉

  6. #6 PippiLotta
    13. Juli 2015

    @ Alderamin
    am Ende ganz harmlos, hört ja eh kaum einer richtig zu 😉

    Das war meine große Hoffnung bei dem einzigen Konferenzbeitrag meiner kurzen Wissenschaftskarriere. Dort durfte ich (glücklicherweise nur) ein Poster vorstellen. Soweit so gut. Das Thema war eine fremde sehr technische Doktorarbeit, die ich als Ingenieurin auf einer Medizinerkonferenz vorstellen sollte.
    Dämlich, aber mein Chef wollte uns versammelt auf der Konferenz sehen und als Frischling ohne eigene Ergebnisse muss man halt recyclen was man vorgegeben bekommt und hoffen dass keiner Fragen stellt.

  7. #7 Uli
    13. Juli 2015

    Ich hatte das Glück, daß mein Prof oft weg war und wir Assis für ihn die Vorlesung halten durften. Das übt ungemein!!

    Als ich das gegenüber ein paar Chemikern erwähnt habe, sind die fast in Ohnmacht gefallen. Bei denen hielt der Prof – und NUR der Prof – die Vorlesungen. Wenn der nicht da war, fiel die VL halt aus.

    Ein Ansatz mit Nachteilen für die Assis. Nichts stählt einen so für’s Leben wie eine Einführungsvorlesung, in der mehr als 250 Studenten auf 144 Tutoriumsplätze abgebildet werden müssen!! 😉

  8. #8 TheBug
    14. Juli 2015

    Für meinen ersten öffentlichen Vortrag auf einer Konferenz hatte ich gar keine Chance Lampenfieber zu haben. Niemand hatte mir verraten, dass mein Vortrag vom Seminarraum mit vielleicht 30 Plätzen in den mehr als halb vollen Hörsaal mit 800 Plätzen verlegt worden war, das fand ich dann erst raus als ich im Gebäude umgelenkt wurde…

  9. #9 Ben
    14. Juli 2015

    Ich war wahnsinnig nervös bei meinem Vortrag zu einem Bildverarbeitungsverfahren. Völlig unbegründet… ich war im Raum wohl derjenige mit der meisten Erfahrung, auch wenn ich mich da selbst völlig anders eingeschätzt hatte. Sämtliche Fragen konnte ich schnell und umfassend beantworten und am Ende waren alle zufrieden und ich froh, dass es vorbei war.

  10. #10 Florian Freistetter
    14. Juli 2015

    @Ben: “ich war im Raum wohl derjenige mit der meisten Erfahrung, “

    Was man nie vergessen sollte. Denn i.A. hält man einen Vortrag, weil man sich mit dem Vortragstheme WIRKLICH gut auskennt. Angst vor Fragen kann bei Prüfungen haben, aber nicht bei Vorträgen…

  11. #11 TheBug
    14. Juli 2015

    @FF: Es ist zumindest zu hoffen, dass der Vortragende mehr Ahnung vom Thema hat als wenigstens der Durchschnitt des Publikums 🙂
    Ist aber z.B. in der Politik oft nicht gegeben…