Dieser Artikel entstand im Rahmen meiner Arbeit für das Lindau Nobel Laureate Meeting 2015. Ich habe für das Konferenzblog einige Artikel geschrieben die ich nun hier auch in meinem Blog veröffentliche. Dieser Artikel wird in den nächsten Tagen daher auch dort erscheinen.
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Als Wilhelm Conrad Röntgen im Jahr 1901 als Erster mit dem Nobelpreis für Physik ausgezeichnet wurde war das eine nachvollziehbare Entscheidung. Seine Entdeckung der heute nach ihm benannten Strahlung hat ohne Zweifel der “Menscheit größten Nutzen erbracht”, so wie Alfred Nobel es in seinem Testament gefordert hatte und Röntgen müsste sich mit seiner Leistung vor den Preisträgern der Gegenwart nicht verstecken. Aber auch wenn er nicht schon im Jahr 1923 gestorben wäre, hätte man ihn vermutlich nie auf einem Lindau Nobel Laureate Meeting angetroffen. Im Gegensatz zu den 65 Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträgern, die sich in diesem Jahr am Bodensee versammelt haben um der Welt und dem wissenschaftlichen Nachwuchs von ihrer Arbeit zu erzählen, war Röntgen kein großer Freund öffentlicher Auftritte.

Röntgens Nobelpreisurkunde (Bild: Sofia Gisberg, Manfred Neureiter, gemeinfrei)

Röntgens Nobelpreisurkunde (Bild: Sofia Gisberg, Manfred Neureiter, gemeinfrei)

Röntgen fiel in der Zeit vor seiner großen Entdeckung im Jahr 1895 kaum groß auf. Er publizierte vergleichsweise wenig, besuchte kaum wissenschaftliche Konferenzen und war bei den von ihm gehaltenen Vorlesungen immer sachlich und korrekt aber kaum inspirierend. Er war ein introvertierter Mensch und blieb das auch, als die Entdeckung der Röntgenstrahlen ihn schlagartig weltweit berühmt machten. Natürlich erhielt er aus aller Welt Einladungen zu Vorträgen um über seine Arbeit zu sprechen. Die meisten davon schlug er aus und nicht einmal die Verleihung des Physik-Nobelpreises konnte seine Abneigung gegen öffentliche Auftritte überwinden.

In den Statuten der Nobelstiftung wird in Paragraph 9 gefordert:

“Es ist die Pflicht eines Preisträgers, wann immer möglich, einen Vortrag über denjenigen Gegenstand zu halten, der in der mit dem Preis ausgezeichneten Arbeit behandelt wurde.”

Dieser Vortrag sollte spätestens sechs Monate nach dem Tag der Preisverleihung in Stockholm gehalten werden und Röntgen versicherte auch, alles tun zu wollen, um diesen Anforderungen gerecht zu werden. Sein Vortrag sollte am 21. Mai 1902 stattfinden – aber schon im April erkundigte sich Röntgen, ob sich der Auftritt nicht vielleicht doch auf Juli oder August verschieben ließe (mit der Begründung, dass er nicht extra bei der Universität um Urlaub ansuchen wollte). Das stellte die Vertreter der Nobelstiftung vor ein Problem, denn im Juli und im August sind in Schweden Ferien an den Universitäten und die sechsmonatige Frist die laut Statuten einzuhalten war, wäre sowieso schon am 10. Juni 1902 abgelaufen. Also blieb ihnen nichts anderes übrig, als Röntgen zu erlauben, dass er seinen Preisvortrag auch im Herbst halten könne.

Der war nun für 12. Oktober geplant und je näher dieser Tag rückte, desto unwohler fühlte sich Röntgen. In einem Brief an den schwedischen Wissenschaftler und Vertreter der Nobelstiftung Svanthe Arrhenius schrieb Röntgen:

“Ich wollte nur, die Sache wäre schon hinter mir; es ist der erste öffentliche Vortrag, den ich zu halten habe, und ich habe, was man darf, Lampenfieber!”

Am Tag vor der Abfahrt nach Schweden erhielt Röntgen noch einen Brief aus Stockholm, in dem die letzten Details der Reise bestätigt wurde. Darin fand sich auch der – laut Statuten der Nobelstiftung nicht ganz korrekte – Hinweis, dass der Vortrag nicht verpflichtend sei. Diesen Ausweg nahm Röntgen sofort an, verschob die Abreise und schickte ein Telegramm mit der Frage, ob man es ihm übel nehmen würde, wenn er nicht käme. Die Antwort kam schnell und Röntgen wurde informiert, dass es wohl doch besser wäre, zu kommen. Aber Röntgen entschloss sich, die Reise endgültig abzusagen. Die goldene Nobel-Medaille, die ihm eigentlich nach dem Vortrag überreicht hätte werden sollen, wurde ihm aus Schweden mit der Post zugeschickt und im Jahrbuch “Les Prix Nobel en 1901” in dem alle Vorträge der Laureaten publiziert wurden, fand sich unter Röntgens Eintrag nur eine leere Seite mit dem Hinweis, das er keinen Vortrag gehalte habe.

Es ist nicht ganz klar, wieso Röntgen gerade dem Vortrag in Stockholm so eine große Abneigung entgegen gebracht hat. Immerhin hielt er regelmäßig Vorlesungen an seiner Universität und hat auch davor schon den einen oder anderen Vortrag in öffentlichen Rahmen gehalten. Vielleicht wollte er aber auch nur dem Konflikt mit dem Physiker Philipp Lenard entgehen. Bei der Entdeckung seiner Strahlen benutzte Röntgen von Lenard gefertigte Instrumente und der sah diesen Beitrag in Röntgens Publikation nicht ausreichend gewürdigt. Bei einem öffentlichen Vortrag über die Entdeckung hätte Röntgen darauf vermutlich eingehen müssen und dem Streit neue Nahrung geliefert.

Welche Gründe Röntgens Entscheidung auch immer zugrunde lagen: Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können das Unbehagen vor öffentlichen Auftritten vermutlich nachvollziehen. Die Forschungsarbeit scheint introvertierte Menschen besonders stark anzuziehen und die Präsentation der Ergebnisse vor einem großen Publikum stellt viele vor Schwierigkeiten. Dabei ist die Öffentlichkeitsarbeit ein unverzichtbarer Bestandteil der Wissenschaft: Wenn die Ergebnisse der Forschung einen nachhaltigen Wert haben sollen, müssen sie den Kollegen und vor allem dem wissenschaftlichen Nachwuchs vermittelt werden.

Wenn sich die Nobelpreisträgerinnen und Nobelpreisträger jedes Jahr in Lindau versammeln, dann tun sie dabei genau das. Sie sprechen vor hunderten Nachwuchswissenschaftlern aus aller Welt über ihre Arbeit und diese Vorträge dienen nicht nur der Information sondern auch der Inspiration. Große Entdeckungen wie die von Wilhelm Conrad Röntgen sind natürlich auch für sich alleine bedeutend. Aber ihr volles Potential können sie erst dann entfalten, wenn sie in der Öffentlichkeit diskutiert und präsentiert werden. Nur dann besteht die Möglichkeit, die der Wissenschaft innewohnende Faszination auch der nächsten Generation der Forscherinnen und Forscher zu vermitteln.

Kommentare (11)

  1. #1 Alderamin
    13. Juli 2015

    @Florian

    Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler können das Unbehagen vor öffentlichen Auftritten vermutlich nachvollziehen.

    Ich kann mich noch sehr gut an die Präsentation meines ersten Papers erinnern. Das war auf einer ESA-Konferenz mit ca. 300 Zuhörern, und es wurde sogar simultan übersetzt. Um nicht als völliges Nervenbündel auf der Bühne zu stehen, nahm ich vorher eine Valium, das beruhigte ungemein. Ich lieferte dann auch einen, wie ich meine, ganz passablen Vortrag ab und konnte alle Fragen zufrieden stellend beantworten.

    Als ich dann aber wieder auf meinem Platz saß und die Anspannung weg war, hatte ich GROSSE Probleme, wach zu bleiben, weil die Tablette so reinhaute. Ich hätte mir Hölzchen unter die Lider stecken können und musste fortwährend gähnen. Fortan verzichtete ich auf derartiges Doping und kam dann auch irgendwann so klar. Mit der Routine sinkt die Nervosität.

    Mit großem Respekt erinnere ich mich an die Dolmetscher, die die Vorträge auf Französisch, Flämisch (das fand in Lüttich statt) und in andere Sprachen übersetzten. Manch Vortragender hatte ein so grausiges English (und offenbar sein Valium vergessen), dass ich davon überhaupt nichts verstand, aber dem auf Französisch übersetzten Vortrag doch einigermaßen folgen konnte. RESPEKT!

  2. #2 McPomm
    13. Juli 2015

    Meine größte Angst bei meinen ersten Vorträgen auf Konferenzen war nicht der Vortrag an sich, sondern die Befürchtung, hinterher mit bohrenden Fragen auseinander genommen zu werden. Die anderen kamen einem viel erfahrener und fundierter vor und man sich selbst als einem mit einem “blöden” Thema. Glücklicherweise hat mich mein betreuender Professor immer gestärkt. Und die anderen Wissenschaftler sind natürlich wohlwollender als man denkt.

    Und was die Vortragsweise angeht. Da waren bei meinem ersten Vortrag Chinesen vor mir dran gewesen. Und bei deren grässlichem Englisch habe ich mir gesagt, dass meins sicher nicht so schlimm ist und mich beruhigt.

  3. #3 mathias
    13. Juli 2015

    “Vielleicht wollte er aber auch nur dem Konflikt mit dem Physiker Philipp Lenard entgehen”

    War vielleicht besser so, was man von Lenard so liest…

  4. #4 Karla Kolumna
    13. Juli 2015

    Die Forschungsarbeit scheint introvertierte Menschen besonders stark anzuziehen und die Präsentation der Ergebnisse vor einem großen Publikum stellt viele vor Schwierigkeiten. Dabei ist die Öffentlichkeitsarbeit ein unverzichtbarer Bestandteil der Wissenschaft: Wenn die Ergebnisse der Forschung einen nachhaltigen Wert haben sollen, müssen sie den Kollegen und vor allem dem wissenschaftlichen Nachwuchs vermittelt werden.

    Das erstaunt mich auch immer wieder. Gerade als Student bekommt man ja mit wie wenig sich die meisten (vor allem angehenden) Wissenschaftler in ihr Kämmerlein verziehen können: Praktika, Übungen, Vorlesungen, Sprechstunden, Konferenzen, Vorträge, Postersession etc. pp.
    Und doch hat ein Großteil derjenigen die es schlussendlich zur Professur geschafft haben sicherlich ein großes Fachwissen aber auch eine ebenso große Lücke im Präsentieren.
    Was natürlich im Lehrgeschäft ebenso wenig nützlich ist wie bei Konferenzen.

    Mit der Routine sinkt die Nervosität.

    Erfreulicherweise darf ich das an mir, zwar fernab der Wissenschaft, erleben. Führte am Anfang noch jeder unerwartete oder erwartete Kundenanruf zu Schweißausbrüchen und Wortfindungsstörungen, bringen mich jetzt nur noch die vollkommen unerwarteten ins Haspeln.

    Meine größte Angst bei meinen ersten Vorträgen auf Konferenzen war nicht der Vortrag an sich, sondern die Befürchtung, hinterher mit bohrenden Fragen auseinander genommen zu werden.

    Etwas was meinem Chef sehr wichtig ist, ist wenn man etwas nicht weiß den Fragen souverän zu begegnen und sein Unwissen zuzugeben und (eher im persönlichen Gespräch möglich) den Fragenden zu “vertrösten” und die Antwort nachzureichen. Wenn man das dann auch wirklich zeitnah erledigt, wird es gar nicht als Mangel angesehen die Antwort nicht direkt zu wissen.

  5. #5 Alderamin
    13. Juli 2015

    @McPomm

    Meine größte Angst bei meinen ersten Vorträgen auf Konferenzen war nicht der Vortrag an sich, sondern die Befürchtung, hinterher mit bohrenden Fragen auseinander genommen zu werden.

    Wo Du’s sagst, das war auch meine größte Sorge. Den Vortrag selbst kann man ja üben. Vor dem ersten Konferenzvortrag weiß man aber nicht, was einen an Fragen erwartet, und bei Vorträgen vor Institutskollegen und dem Professor wird man ja auch manchmal fachgerecht zerlegt, wie schlimm würde da erst die Konferenz sein… am Ende ganz harmlos, hört ja eh kaum einer richtig zu 😉

  6. #6 PippiLotta
    13. Juli 2015

    @ Alderamin
    am Ende ganz harmlos, hört ja eh kaum einer richtig zu 😉

    Das war meine große Hoffnung bei dem einzigen Konferenzbeitrag meiner kurzen Wissenschaftskarriere. Dort durfte ich (glücklicherweise nur) ein Poster vorstellen. Soweit so gut. Das Thema war eine fremde sehr technische Doktorarbeit, die ich als Ingenieurin auf einer Medizinerkonferenz vorstellen sollte.
    Dämlich, aber mein Chef wollte uns versammelt auf der Konferenz sehen und als Frischling ohne eigene Ergebnisse muss man halt recyclen was man vorgegeben bekommt und hoffen dass keiner Fragen stellt.

  7. #7 Uli
    13. Juli 2015

    Ich hatte das Glück, daß mein Prof oft weg war und wir Assis für ihn die Vorlesung halten durften. Das übt ungemein!!

    Als ich das gegenüber ein paar Chemikern erwähnt habe, sind die fast in Ohnmacht gefallen. Bei denen hielt der Prof – und NUR der Prof – die Vorlesungen. Wenn der nicht da war, fiel die VL halt aus.

    Ein Ansatz mit Nachteilen für die Assis. Nichts stählt einen so für’s Leben wie eine Einführungsvorlesung, in der mehr als 250 Studenten auf 144 Tutoriumsplätze abgebildet werden müssen!! 😉

  8. #8 TheBug
    14. Juli 2015

    Für meinen ersten öffentlichen Vortrag auf einer Konferenz hatte ich gar keine Chance Lampenfieber zu haben. Niemand hatte mir verraten, dass mein Vortrag vom Seminarraum mit vielleicht 30 Plätzen in den mehr als halb vollen Hörsaal mit 800 Plätzen verlegt worden war, das fand ich dann erst raus als ich im Gebäude umgelenkt wurde…

  9. #9 Ben
    14. Juli 2015

    Ich war wahnsinnig nervös bei meinem Vortrag zu einem Bildverarbeitungsverfahren. Völlig unbegründet… ich war im Raum wohl derjenige mit der meisten Erfahrung, auch wenn ich mich da selbst völlig anders eingeschätzt hatte. Sämtliche Fragen konnte ich schnell und umfassend beantworten und am Ende waren alle zufrieden und ich froh, dass es vorbei war.

  10. #10 Florian Freistetter
    14. Juli 2015

    @Ben: “ich war im Raum wohl derjenige mit der meisten Erfahrung, “

    Was man nie vergessen sollte. Denn i.A. hält man einen Vortrag, weil man sich mit dem Vortragstheme WIRKLICH gut auskennt. Angst vor Fragen kann bei Prüfungen haben, aber nicht bei Vorträgen…

  11. #11 TheBug
    14. Juli 2015

    @FF: Es ist zumindest zu hoffen, dass der Vortragende mehr Ahnung vom Thema hat als wenigstens der Durchschnitt des Publikums 🙂
    Ist aber z.B. in der Politik oft nicht gegeben…