Sieht man von Menschen mit Interesse an alter/historischer Literatur ab, geht kaum jemand mehr in eine Bibliothek um dort in irgendwelchen Zettelkatalogen oder Stichtwortkarteien zu recherchieren. Wenn ich zum Beispiel wissen will, was in letzter Zeit über Trojaner-Asteroiden erforscht und publiziert worden ist, dann rufe ich im Internet eine entsprechende Datenbank (für die Astronomen ist das meistens ADS) auf, gebe das passende Suchwort ein und bekomme sofort alle Fachartikel die dazu irgendwo geschrieben worden sind. Egal, ob sie in Nature oder Science publiziert worden sind oder irgendeiner obskuren Zeitschrift von der noch nie jemand gehört hat…
Im Idealfall bzw. wenn man finanziellen Möglichkeiten dafür ausreichen braucht es auch nur ein paar Klicks um direkt online den Volltext des Artikels lesen zu können, der mich interessiert. Ich muss mich keinen Schritt von meinem Schreibtisch weg bewegen und muss keine reale Zeitschrift aufschlagen. Ja, meistens muss es mich nicht einmal interessieren, in welcher Zeitschrift der Artikel erschienen ist, um ihn lesen zu können! Die digitale Erfassung der Texte und Daten (die zumindest in der Astronomie auch bei alten Jahrgängen wenig Lücken aufweist) hat es mir ermöglicht, alles zu finden, was zu einem bestimmten Thema publiziert worden ist bzw. von einem bestimmten Autor veröffentlicht wurde.
Dank Internet und Online-Datenbanken bin ich nicht mehr darauf angewiesen, das irgendwelche Fachverlage wissenschaftliche Artikel für mich nach Themen oder anderen Kriterien organisieren. Ich kann ganz einfach selbst die komplette Literatur nach meinen eigenen Vorstellungen durchsuchen. Die modernen Strukturen machen diesen Aspekt der klassischen Fachverlage unnötig – aber trotzdem existieren sie weiterhin. Es gibt thematisch eng begrenzte Zeitschriften wie Celestial Mechanics und Dynamical Astronomy, das Journal of Dairy Science oder Waste Management & Research in denen nur Forschungsergebnisse der jeweiligen Spezialdisziplin erscheinen.
Dieser Aspekt der wissenschaftlichen Fachzeitschriften ist also dank moderner Technik sinnlos geworden. Wie sieht es mit dem Rest aus? Früher waren die Journale ein guter und einfacher Weg, wissenschaftliche Ergebnisse zu verteilen. In der Bibliothek jeder Sternwarte lag damals ein Exemplar des Astronomical Journal oder von Astronomy & Astrophysics. Und alle Astronomen haben dort auch einen Blick hinein geworfen. Wenn ich damals einen Artikel in einer dieser Zeitschriften veröffentlicht hätte, stünden meine Chancen gut, das jeder der davon erfahren muss, auch davon erfährt. Anstatt selbst Briefe an alle Kollegen in der ganzen Welt zu schreiben und sie darin über meine neuesten Ergebnisse zu informieren brauche ich nur einen Artikel zu schreiben und an einen Verlag zu schicken, der die Veröffentlichung, den Druck und den weltweiten Vertrieb für mich übernimmt.
Auch das war damals unbestritten praktisch und ein großer Vorteil und auch das ist in der Gegenwart weitestgehend unnötig geworden. Wenn ich meine neueste Facharbeit bei einem PrePrint-Server wie arXiv hochlade, dann landet er sofort in allen relevanten Datenbanken und kann von allen meinen Kollegen bei ihren Recherchen gefunden werden. Bei Twitter, Facebook, in Blogs oder speziellen sozialen Netzwerken für Wissenschaftler (z.B. ResearchGate) kann ich meine Arbeit schneller und gründlicher verbreiten als durch irgendwelche in irgendwelchen Bibliotheken ausliegenden Journalen. Um meine Arbeit in die Welt hinaus zu bringen, brauche ich keine Fachzeitschriften!
Aber da ist ja noch die Qualitätskontrolle! Sorgen die Fachzeitschriften nicht dafür, das kein Unsinn publiziert wird. Nein, eigentlich nicht. Der Prozess der Qualitätssicherung bei wissenschaftlichen Publikationen nennt sich nicht umsonst Peer-Review. Die Kontrolle erfolgt also durch Peers, durch wissenschaftliche Kollegen und nicht durch das Journal selbst. Die Zeitschrift reicht die eingelangten Artikel nur weiter an andere Forscher und bittet sie um ein Gutachten (und als Gutachter wird man übrigens nicht bezahlt!).
Und was ist mit den ganzen bürokratisch/technischen Aspekten? Haben die Fachzeitschriften wenigstens hier eine wichtige Aufgabe? Eigentlich nicht. Meistens muss man den Zeitschriften den Artikel schon quasi druckfertig im Layout des Journals schicken. Man muss sich selbst um den Satz, die Einbindung der Abbildungen und ähnlichen Kram kümmern. Natürlich gibt es in den Fachverlagen noch Leute, die das am Ende alles nochmal prüfen und gegebenenfalls korrigieren. Aber so wirklich viel Arbeit erspart das den Wissenschaftlern nicht.
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