Sieht man von Menschen mit Interesse an alter/historischer Literatur ab, geht kaum jemand mehr in eine Bibliothek um dort in irgendwelchen Zettelkatalogen oder Stichtwortkarteien zu recherchieren. Wenn ich zum Beispiel wissen will, was in letzter Zeit über Trojaner-Asteroiden erforscht und publiziert worden ist, dann rufe ich im Internet eine entsprechende Datenbank (für die Astronomen ist das meistens ADS) auf, gebe das passende Suchwort ein und bekomme sofort alle Fachartikel die dazu irgendwo geschrieben worden sind. Egal, ob sie in Nature oder Science publiziert worden sind oder irgendeiner obskuren Zeitschrift von der noch nie jemand gehört hat…

Es gibt sie noch - aber nimmt sie auch nochmal jemand in die Hand?

Es gibt sie noch – aber nimmt sie auch nochmal jemand in die Hand?

Im Idealfall bzw. wenn man finanziellen Möglichkeiten dafür ausreichen braucht es auch nur ein paar Klicks um direkt online den Volltext des Artikels lesen zu können, der mich interessiert. Ich muss mich keinen Schritt von meinem Schreibtisch weg bewegen und muss keine reale Zeitschrift aufschlagen. Ja, meistens muss es mich nicht einmal interessieren, in welcher Zeitschrift der Artikel erschienen ist, um ihn lesen zu können! Die digitale Erfassung der Texte und Daten (die zumindest in der Astronomie auch bei alten Jahrgängen wenig Lücken aufweist) hat es mir ermöglicht, alles zu finden, was zu einem bestimmten Thema publiziert worden ist bzw. von einem bestimmten Autor veröffentlicht wurde.

Dank Internet und Online-Datenbanken bin ich nicht mehr darauf angewiesen, das irgendwelche Fachverlage wissenschaftliche Artikel für mich nach Themen oder anderen Kriterien organisieren. Ich kann ganz einfach selbst die komplette Literatur nach meinen eigenen Vorstellungen durchsuchen. Die modernen Strukturen machen diesen Aspekt der klassischen Fachverlage unnötig – aber trotzdem existieren sie weiterhin. Es gibt thematisch eng begrenzte Zeitschriften wie Celestial Mechanics und Dynamical Astronomy, das Journal of Dairy Science oder Waste Management & Research in denen nur Forschungsergebnisse der jeweiligen Spezialdisziplin erscheinen.

Dieser Aspekt der wissenschaftlichen Fachzeitschriften ist also dank moderner Technik sinnlos geworden. Wie sieht es mit dem Rest aus? Früher waren die Journale ein guter und einfacher Weg, wissenschaftliche Ergebnisse zu verteilen. In der Bibliothek jeder Sternwarte lag damals ein Exemplar des Astronomical Journal oder von Astronomy & Astrophysics. Und alle Astronomen haben dort auch einen Blick hinein geworfen. Wenn ich damals einen Artikel in einer dieser Zeitschriften veröffentlicht hätte, stünden meine Chancen gut, das jeder der davon erfahren muss, auch davon erfährt. Anstatt selbst Briefe an alle Kollegen in der ganzen Welt zu schreiben und sie darin über meine neuesten Ergebnisse zu informieren brauche ich nur einen Artikel zu schreiben und an einen Verlag zu schicken, der die Veröffentlichung, den Druck und den weltweiten Vertrieb für mich übernimmt.

Auch das war damals unbestritten praktisch und ein großer Vorteil und auch das ist in der Gegenwart weitestgehend unnötig geworden. Wenn ich meine neueste Facharbeit bei einem PrePrint-Server wie arXiv hochlade, dann landet er sofort in allen relevanten Datenbanken und kann von allen meinen Kollegen bei ihren Recherchen gefunden werden. Bei Twitter, Facebook, in Blogs oder speziellen sozialen Netzwerken für Wissenschaftler (z.B. ResearchGate) kann ich meine Arbeit schneller und gründlicher verbreiten als durch irgendwelche in irgendwelchen Bibliotheken ausliegenden Journalen. Um meine Arbeit in die Welt hinaus zu bringen, brauche ich keine Fachzeitschriften!

Aber da ist ja noch die Qualitätskontrolle! Sorgen die Fachzeitschriften nicht dafür, das kein Unsinn publiziert wird. Nein, eigentlich nicht. Der Prozess der Qualitätssicherung bei wissenschaftlichen Publikationen nennt sich nicht umsonst Peer-Review. Die Kontrolle erfolgt also durch Peers, durch wissenschaftliche Kollegen und nicht durch das Journal selbst. Die Zeitschrift reicht die eingelangten Artikel nur weiter an andere Forscher und bittet sie um ein Gutachten (und als Gutachter wird man übrigens nicht bezahlt!).

Und was ist mit den ganzen bürokratisch/technischen Aspekten? Haben die Fachzeitschriften wenigstens hier eine wichtige Aufgabe? Eigentlich nicht. Meistens muss man den Zeitschriften den Artikel schon quasi druckfertig im Layout des Journals schicken. Man muss sich selbst um den Satz, die Einbindung der Abbildungen und ähnlichen Kram kümmern. Natürlich gibt es in den Fachverlagen noch Leute, die das am Ende alles nochmal prüfen und gegebenenfalls korrigieren. Aber so wirklich viel Arbeit erspart das den Wissenschaftlern nicht.

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Kommentare (43)

  1. #1 Felix
    17. Juli 2015

    Absolute Zustimmung. Ich habe schon überlegt, mich für irgendwas an der Uni einzuschreiben um weiterhin Zugang zu Zeitschriften und Fachartikeln/-Büchern zu haben. Das kann aber nicht die Lösung sein.
    Es ist ein Unding, aus Steuergeldern finanzierte Forschung hinter Paywalls zu verstecken und für das publizieren die (ohnehin schon unterbezahlten) Wissenschaftler nochmals zur Kasse zu bitten.

  2. #2 MartinB
    17. Juli 2015

    Nein, ich stimme nicht zu, was die Qualitätskontrolle angeht. Auch auf arXiV wird viel Blödisnn publiziert, der nie eine fachzeitschrift von innen sieht (weil die Arbeiten bei arxiv ja nicht inhaltlich geprüft werden, man muss nur die passende affiliation haben). Ich erinnere mich noch deutlich an meine Doktorandenzeit, als dort eine Widerlegung des Nielsen-Ninoyima-Theorems veröffentlicht wurde, die selbst ein kleiner Doktorand in 30 minuten widerlegen konnte. (Aber automatisiert wäre das nicht gegangen – auf den ersten Blick sah es gut aus.)

    Ohne peer review würde das schreiben von Veröffentlichungen wesentlich schwieriger – wenn ich jetzt ein bestimmtes Fakt belegen will, kann ich das durch Zitieren eines peer-reviewten papers tun und mich damit zumindest einigermaßen darauf verlassen, dass die Fakten dort einmal unabhängig angeguckt wurden. Wenn jedes arXiV-paper vollkommen zitierfähig wäre, wäre die Gefahr groß, dass entweder Leute Blödsinn für wahr halten oder dass sich umgekehrt dann abseitige Randmeinungen (siehe das Beispiel oben) verbreiten und quasi eine Parallelwelt aus papern entsteht.
    Ich müsste dann bei jedem paper das ich schreibe oder lese jede Quelle daraufhin prüfen, wie gut sie tatsächlich ist.

    Umgekehrte schütze ich als Reviewer die wissenschaftliche Öffentlichkeit auch vor ziemlich viel Blödsinn – wenn das alles (entsprechend multipliziert) auf irgendwelchen Servern gleichberechtigt nebeneinander liegt, wird es wirklich fast unmöglich werden, herauszufiltern, was etwas taugt und was nicht.

    Klar, das jetzige System ist nicht perfekt, aber ganz so einfach ist das mit der Qualitätskontrolle nicht.

  3. #3 Florian Freistetter
    17. Juli 2015

    @Martin B: “Ohne peer review würde das schreiben von Veröffentlichungen wesentlich schwieriger”

    Ich sag ja deswegen auch nicht, das peer review abgeschafft werden soll. Das soll es weiterhin geben, aber halt in anderer Form. Für peer review brauchts keine Verlage (sonst würde es ja “publisher review” heißen). Peer Review kann auch außerhalb der Fachzeitschriften stattfinden; siehe zB https://de.wikipedia.org/wiki/Offenes_Peer-Review

  4. #4 Braunschweiger
    17. Juli 2015

    Den Überlegungen stimme ich auch im Prinzip zu.
    Das Problem hat aber noch mindestens zwei Seiten.

    Zum Ersten: Es ist nicht nur kaum möglich, Verlage zu verbieten, es hat sogar Konsequenzen, die Wirkungsbereiche mit Rechtsmitteln einzuschränken. Verlage sind Wirtschaftsunternehmen, und da kämen die Klagen wegen Einnahmeverlusten und Abbau von Arbeitsplätzen. Heutzutage ist es sogar möglich, einen Verursacher wegen des Verlusts voraussichtlicher und dann entgangener Einnahmen zu verklagen. Niemand möchte die Regresskosten zahlen, schon gar nicht der Staat.

    Die einzig gangbare Möglichkeit wäre der Markt, dass nämlich sowohl die Veröffentlichenden als auch die Leser die Zeitschriften von sich aus vermeiden würden. Aber ist das realistisch?

    Zum Zweiten wird man es niemandem verbieten können, Impact-Zahlen gerne zu haben und glaubwürdig zu finden. Wissenschaftler mögen sie oft, wie einen Glaubenssatz. Vor allem aber diejenigen Personaler und Abteilungsleiter, die Wissenschaftler einstellen sollen, wollen gerne schnell zu ermittelnde Zahlen. Wieviele Veröffentlichungen in welchen Impact-Journalen, was für ein Gesamt-Impact? Kaum einer nimmt sich die Zeit, danach zu schauen, was ein Wissenschaftler wirklich getan und geleistet hat. Außer bei einer Frage: gab es Rechtsstreitigkeiten, neigt er dazu? Ist er Querulant?

    Das sind meiner Meinung nach die Punkte, bei denen zuerst angesetzt werden müsste. Gesetzlich sehe ich nur die Möglichkeit, für Beschäftigungen eine entsprechend gestaltete Vorgehensweise zur Einstellung vorzuschreiben.

  5. #5 Sensei
    17. Juli 2015

    Ich glaube nicht dass dadurch der “Impact-Factor-Fetischismus” mit einmal eleminiert werden würde. Der Impact Factor würde wahrscheinlich einfach anders bestimmt.

    Gerade durch eine Zentralisierung und Digitalisierung – verknüpft mit einer noch einfacher Auswertbaren und Digitalen Diskusion um die Artikel – ist es eher noch einfacher so einen Faktor zu errechnen.

    (Und generell ist es ja nicht schlecht die Bedeutung von Artikeln eines Wissenschaftlers Bestimmen zu wollen..)

  6. #6 Florian Freistetter
    17. Juli 2015

    @Braunschweiger: “Es ist nicht nur kaum möglich, Verlage zu verbieten, es hat sogar Konsequenzen, die Wirkungsbereiche mit Rechtsmitteln einzuschränken.”

    Sicherheitshalber betone ich daher auch nochmal, dass ich das auch nicht gefordert habe.

    “Kaum einer nimmt sich die Zeit, danach zu schauen, was ein Wissenschaftler wirklich getan und geleistet hat.”

    Und das ist ein ENORM großes Problem! Denn die “einfachen Zahlen” sind halt schlicht und einfach ungeeignet wenn man herausfinden will, ob jemand gute oder schlechte Wissenschaft macht.

  7. #7 Tom
    17. Juli 2015

    Der Artikel “Scientific Utopia” von Brian Nosek könnte euch da interessieren (ist übrigens auch peer-reviewt und publiziert – auch wenn ich hier nur den arXiv-Link verlinke): https://arxiv.org/abs/1205.1055 – es gibt sogar einen Teil 2 für diejenigen, die noch mehr Utopie lesen wollen. 😉

    Tatsächlich bin ich bezgl. Abschaffung von Journalen etwas zwiegespalten. Die Papierversion ist mittlerweile sinnlos – das stimmt. Ich habe kurz nach meiner Promotion seit langem wieder einmal eine wissenschaftliche Zeitschrift in Papierform in Händen gehabt, weil eine (Voll-) Mitgliedschaft in einer Society automatisch ein Abo inkludiert. Während der Diss bin ich in 99.99% der Fälle mit digitalen Angeboten ausgekommen.
    Die digitale Version einer Zeitschrift ist hingegen schon noch interessant: einerseits, weil fachlich zusammengehörige Artikel gebündelt werden (zumindest die Titel und Abstracts lese ich, wenn mein RSS-Feed mir das neueste Issue bringt) und andererseits weil auch eine gewisse Einordnung automatisch gelingt: ist das in Journal X, welches in unserem Fach hohes Prestige hat und gutes Renommee hat, dann ist es was anderes als ein Artikel im International Journal of Scientific X, was möglicherweise ein “predatory open access journal” ist.

    Wegen Sicherstellung von OpenAccess bei öffentlich finanzierten Projekten: zumindest in Österreich ist es so, dass der FWF (Fördergeber für Grundlagenforschung – vgl. DFG) bei all seinen Projekten sogar bis zu 5 Jahren nachträglich Kosten für eine Open-Access Publikation übernimmt. Zudem gibt es auch mehrere Möglichkeiten, wie man als Autor seine Paper archivieren bzw. zur Verfügung stellen kann (z.B. Research Gate wurde ja schon im Artikel genannt). Tatsächlich kenne ich niemanden aus unserem Fachbereich bzw. auch von anderen Unis, der/die abgemahnt wurde, weil er sein/ihr Paper auf der eigenen Homepage (bzw. auf der Uni) zur Verfügung gestellt hat…

  8. #8 MartinB
    17. Juli 2015

    @Florian
    ” Peer Review kann auch außerhalb der Fachzeitschriften stattfinden”
    Sicher, aber man braucht eben ein verfahren, das die wissenschaftliche Öffentlichkeit vor fehlerhaften Veröffentlichungen schützt – ein einfaches veröffentlichen zusammen mit den peer reviews reicht ja nicht, selbst wenn die alle negativ sind, ist die Arbeit ja trotzdem noch zitierfähig. (Und ich muss dann zusätzlich zum paper noch die reviews lesen, um die Arbeit bewerten zu können.)
    Und ein bloßes Prüfen von formalen Kriterien, so wie in deinem Artikel geschildert, reicht eben nicht mal ansatzweise.

  9. #9 Florian Freistetter
    17. Juli 2015

    @MartinB: “Und ein bloßes Prüfen von formalen Kriterien, so wie in deinem Artikel geschildert, reicht eben nicht mal ansatzweise.”

    Das mit den formalen Kritierien war aber nur der 1. Schritt, der entscheidet, ob man was überhaupt auf nem preprint-Server hochladen kann oder nicht. Danach soll ja noch mehr folgen (ich hoffe, ich hab das gut genug im Artikel erklärt?). Aber bist du wirklich der Meinung, das ein Review ausschließlich über einen Verlag möglich ist? Der macht ja in der Hinsicht nichts; da sitzt nur ein Editor (der i.A. auch nur ein Wissenschaftler ist der das unbezahlt macht), der die Reviews liest und entscheidet, ob das veröffentlicht werden soll oder nicht. Und wenns abgelehnt wird, findet sich oft genug ein anderes Journal mit nem anderen Editor der sich anders entscheidet. Ein Open Peer Review wäre da wesentlich transparenter.

    Aber ganz abgesehen von diesen Details: Ich bin weiterhin der Meinung, dass ein Verlag nicht nötig ist, um Peer Review durchzuführen. Wir sind alle nur zu sehr daran gewöhnt, das es so abläuft. Aber das ist kein Grund, nicht darüber nachzudenken, ob man das ändern kann und nur deswegen den ganzen Unsinn zu akzeptieren, den die Verlage der Wissenschaft aufzwingen.

  10. #10 Catweazle
    17. Juli 2015

    Ich schmeiss dann mal das hier in die Runde:
    https://www.gwern.net/docs/dnb/2008-gonzalezalvarez.pdf
    “Among the more notorious instances of resistance to scientific discovery, JUAN MIGUEL
    CAMPANARIO has collected many cases in which Nobel Prize winners were involved. I
    reproduce some in which Nobel class papers were formally rejected by reviewers:…..”

  11. #11 MartinB
    17. Juli 2015

    “Aber bist du wirklich der Meinung, das ein Review ausschließlich über einen Verlag möglich ist?”
    Nein. Aber er ist nur über ein irgendwie geartetes Gremium möglich – auf mich machen die “open review”-Vorschläge den Eindruck, man lädt Artikel hoch, die werden dann von peers gereviewed (wobei mir auch nicht klar ist, wer die auswählt, um Seilschaften zu verhindern) und dann wird alles veröffentlicht und die Leserin darf selbst bewerten, was sie von paper und review hält.

    Meiner Ansicht nach müsste man so ein Verfahren entsprechend hoch aufhängen – beispielsweise bei nationalen Gremien wie DPG oder DFG (und entsprechend in anderen Ländern), die das ganze kontrollieren und auch Editoren einstellen. Ein rein “basisdemokratisches” System halte ich für wenig geeignet.

  12. #12 Chemiker
    17. Juli 2015

    Review ist sicherlich auch bei open access möglich, denn das kostet ja nichts. Aller­dings gebe ich MartinB recht, daß man da ein einiger­maßen striktes System braucht — eine Kom­mentar­schlacht wie in einem Blog wäre suboptimal. Lösbar wäre das allemal.

    Allerdings sehe ich ein anderes Pro­blem: Digitale Dokumente sind nicht flüchtig. Hackerangriffe, staatliche Ein­griffe, durch­gedrehte Gerichte und Format­proble­me in 50 Jahren schaffen Kom­plika­tio­nen, wie man sie von ge­druckten Werken, die die Uni selbst lagert und verwaltet, nicht kennt.

    Ist die Vergangenheit nur digital ge­speichert, dann läßt sie sich nach­träg­lich mani­pulie­ren. Eine Kon­kurrenz­gruppe oder ein Konzern könnten arxiv.org gerichtlich dazu zwingen, ein Paper zu de­publi­zie­ren. Oder ein MitM-Angriff könnte alle Zahlen im Paper mit 42 multi­plizie­ren. Oder ein Server­crash könnte die P­ub­­lika­tio­­nen eines Jahr­zehnts aus­­löschen. Oder der Staat, in dem der Server steht, kann verlangen, daß der Schurken­staat XY keinen Z­ugriff bekommen soll.

    Das Internet ist nicht mehr die un­schul­di­ge Spiel­wiese, die es 1995 war.

    Deshalb sehe ich in diesem Vor­schlag ein paar Gift­stachel darin, über die man sich aus­giebig unter­halten muß, ehe man so ein Wagnis eingeht.

  13. #13 Tom
    17. Juli 2015

    Das Thema ist momentan relativ “heiß” d.h. dass von vielen Seiten diskutiert wird, wie die Zukunft der Publikation aussieht. Habe nach der Lektüre hier ein bisschen recherchiert und auch geschaut, was in meinem Bereich (Psychologie/Neurowissenschaften) so aktuell und üblich ist.

    In einem ersten Kommentar hatte ich einen Link gepostet – ich befürchte, ich bin damit aber in der Moderation gelandet. Darum diesmal ein ausgexxte Link:

    Neuroneurotic: hxxx://neuroneurotic.wordpress.com/2015/07/17/revolutionise-the-publication-process/

  14. #14 Joseph Kuhn
    17. Juli 2015

    Das verlagsfreie Peer Review müsste man in der Tat anders organisieren als einen Thread in einem Blog. In meinem Arbeitsfeld (Medizin/Public Health) wäre absehbar, was sonst käme: Die Industrie, von Pharma bis Tabak, würde noch mehr gefällige Studien produzieren als heute und sich das “Review” dazu auch gleich selbst machen (und zwar auf hohem methodischen Niveau, das nicht so leicht als interessenabhängig zu erkennen ist).

    Aber im Prinzip hat FF schon recht: Was Verlage machen, könnten auch andere (auch netzwerkartige) “Veröffentlichungsagenturen” leisten. Interessant wäre, wie ähnlich sie mit der Zeit den heutigen Verlagen würden bzw. welche Verlagsfunktionen man bewahren sollte. Soll z.B. mit den Verlagen auch die Herausgeberschaft hinfällig werden? Über die Herausgeber werden z.B. in kleinen Fachzeitschriften oft auch Debatten organisiert, indem Schwerpunkthefte zu aktuellen Themen zusammengestellt werden, die sich aus eingereichten Artikeln alleine nicht ergäben und in der gleichen Form auch nicht durch Fachtagungen ersetzbar sind.

  15. #15 dgbrt
    17. Juli 2015

    Erst einmal: Die Fachzeitschriften werden erst dann verschwinden, wenn Bibliotheken und Professoren kein Budget mehr haben .Das ist einfach Kommerz, und wer da veröffentlichen möchte muss oft auch noch dafür bezahlen (oft auf Staatskosten).

    Und die Summe der Veröffentlichungen sind für einen Prof manchmal wichtiger, als ein Nobelpreis.

    Also liegt Florian erst recht richtig, Open-Access unterliegt der Kontrolle aller; man muss nur neue Artikel als solche kennzeichnen und einen gewissen Status vergeben. Wenn ein Artikel hinreichend akzeptiert wird, von Wissenschaftlern, dann bekommt er diesen Status.

    Darüber hinaus könnte man “Neu” aber auch “Fragwürdig” als Status definieren. Ich bin mir sicher, dass z.B. die “Kalte Fusion” nie über eine Status “Fragwürdig” hinaus gekommen wäre. Dazu gab und gibt aber nach wie vor viele Publikationen.

    Wenn man sich der Allgemeinheit (Fachkompetenz ist natürlich zu prüfen – nicht jeder Depp darf das) stellen muss,, dann verschwinden viele sinnlose Publikationen ganz von alleine.

  16. #16 ulfi
    17. Juli 2015

    Die Problematik hat fuer mich 2 Grundlegende Aspekte:

    1. Weiterbildung und ausbrechen aus der eigenen Filterbubble.
    Ich kann natuerlich im Netz nach beliebigen Begriffen suchen, aber dafuer muss ich erstmal wissen, welche Begriffe mir weiterhelfen koennen. Es ist wahrscheinlich, dass ich neue Entwicklungen verpasse, wenn ich nur nach alten, mir bekannten Begriffen suche. Deswegen nehme ich gerne die 2-3 Standardvenues in die Hand und blaettere mich durch ihre Abstracts und schaue mir dann alles an, was fuer mich interessant klingt.

    Generell halte ich die Einteilung nach verschiedenen Qualitaetsmerkmalen wie sie momentan implizit durch die Venue passiert fuer sinnvoll. Ich kann so einschaetzen, ob eine Publikation eher inkrementell oder explorativ ist und kann mich entscheiden, ob ich das erstmal verfolgen will, oder nicht.

    Ich bin mir nicht sicher, wie mir Arxiv das ersetzen will.

    Den zweiten Punkt habt ihr hier ja schon gesprochen: Peer Review leistet so viel mehr als nur vor schlechten Publikationen zu schuetzen, es verbessert die Publikationen massiv. Ich weiss nicht, wieviele gute Kommentare ich bereits in einem Review bekommen habe, die meine Publikationen massiv verbessert haben. Das ist mehr als nur ein “das ist falsch” sondern auch ein “kannst du auch das noch untersuchen, vielleicht gibt uns das noch etwas einsicht in Teilproblem X”. Der Fakt, dass das review doppelblind ist, und das Paper bis zur annahme nicht oeffentlich ist, gibt einem auch die moeglichkeit und zeit es unabhaengig zu ueberarbeiten. Auch das ist mit einem post-publish review nicht ohne weiteres moeglich, dann ist die Idee schon in der Welt.

    Journals abschaffen? ja gerne. Dann aber auch Konferenzen und Seminare, sonst verschiebt sich das Problem nur. Aber es darf sich nichts an der Reviewkultur veraendern, denn daran haengt die Wissenschaft.

  17. #17 MartinB
    17. Juli 2015

    @dgbrt
    ” Wenn ein Artikel hinreichend akzeptiert wird, von Wissenschaftlern, dann bekommt er diesen Status. ”
    Ja, und wer hindert Leute daran, sich gegenseitig in einem Netzwerk die jeweiligen Artikel positiv zu bewerten? So wie ich es schon einmal bei einer Konferenz erlebt habe, dass die sehr starke Delegation einer Nation bei der Preisvergabe für die Poster sich offensichtlich vorher abgesprochen hatten und deswegen alle aus dieser großen Gruppe ein und dasselbe Poster wählten, so dass das dann den Preis gewonnen hat? Wenn ich dann noch an miteinander im Streit liegende Forschungsgruppen denke (Stringtheoretikerinnen gegen Loop-Quanten-Gravitationistinnen) dann hängt die BEwertung am Ende vermutlich nur daran, welche Gruppe größer ist oder besser Leute mobilisieren kann. Klingt für mich eher wie ne Horror-Story.

    Klar, solche Dinge gibt es auch gelegentlich bei Fachzeitschriften (wie hieß noch dieses Mathematik-Blatt?), aber eben sehr selten, und dann gerät gleich die ganze Zeitschrift in Verruf.

    Ich glaube, das ist alles noch zu idealistisch gedacht. Wenn ein soclhes System, dan wirklich eins, das von den jeweiligen großen Organisationen getragen wird und staatlich finanziert ist. Käme den Staat vermutlich am Ende sogar billiger, weil die Unis die vielen 10000 Euronen für Fachzeitschriften sparen könnten, davon könnte man bundesweit schon ein ziemlich großes Team aus Herausgeberinnen usw. finanzieren.

    Vermutlich wäre ein mehrstufiges System am besten – ein Gremium bzw. peer review Verfahren aus ausgewählten Gutachterinnen trifft erst mal die Vorentscheidungen, dann werden die Arbeiten als “angenommen” markiert und danach kann der Status auf der basis von weiteren öffentlichen reviews noch geändert werden (wenn z.B. mehr als X negative Bewertungen eingehen, wird ein weiteres Gutachten eingeholt).

    Verlage braucht man für das alles aber nicht, das ist klar.

  18. #18 phunc
    17. Juli 2015

    Die Forderung zur Abschaffung der Fachzeitschriften ist richtig und auch die im Artikel dargelegten Argumente. Nur wird es dazu nicht kommen, weil die Verlage ebenso wie in anderen klassischen Bereichen der Meinung sind, dass man sie braucht. Immerhin machen die ordentlich Kohle mit den Publikationen und da hängt auch eine ganze Print-Industrie dahinter, die ebenfalls gut Gewinn macht.

    Sollte es tatsächlich so weit kommen, dass ein Großteil der Veröffentlichungen via open access zur Verfügung gestellt wird und dadurch die Einnahmend er Verlage enorm sinken – so wird man sich an die Regierungen wenden und Gesetze verlangen, die entsprechend entschädigen. Dann wird es eben noch eine Fachzeitschriftensteuer geben, zusätzlich zu allem anderen, hauptsache man kann noch den letzten Cent irgendwo aus einem System rauspressen, das nur noch zum Selbstzweck existiert.

  19. #19 dgbrt
    18. Juli 2015

    @MartinB: “Vermutlich wäre ein mehrstufiges System am besten – ein Gremium bzw. peer review Verfahren aus ausgewählten Gutachterinnen trifft erst mal die Vorentscheidungen, dann werden die Arbeiten als “angenommen” markiert und danach kann der Status auf der basis von weiteren öffentlichen reviews noch geändert werden (wenn z.B. mehr als X negative Bewertungen eingehen, wird ein weiteres Gutachten eingeholt).”

    Das entspricht genau dem, was ich vorgeschlagen habe. Öffentlich machen, sich der Kritik stellen und entscheiden, ob das seriös ist oder nicht.

    Anders als in der Open-Source-Scene (EDV) sollten natürlich die Artikel nicht veränderbar sein. Aber Kritik ist willkommen.

    Der Status des Artikel ändert sich dann mit der Akzeptanz.

    Hätte Einstein bei diesem Konzept überleben können? Oder wären seine Ideen vom breiten Publikum einfach zerrissen worden? Aber er konnte selbst als Patent-Anwalt alles publizieren.

    Meine Antwort ist JA!. Einstein hat nicht den Nobelpreis für seine Relativitätstheorie bekommen sondern für den “Photo-Elektrischen Effekt”. Wenn, wie heute, viele Tausend Wissenschaftler das mitverfolgen können, dann hätte Albert mit der Relativitätstheorie sicher auch einen Nobelpreis bekommen.

    Ein junger Student kannte 1910 oder 1920 die Ideen von Einstein nicht. Das können wir jetzt aber über das Internet anders machen.

  20. #20 Lastknightnik
    www.lastknightnik.de
    18. Juli 2015

    Die grundsätzlichen Forderung, die Fachzeitschriften abzuschaffen, kann ich so nicht unterstützen. Ich komme aber auch aus einer anderen Disziplin, den Geisteswissenschaften, und die sind da, zugegebener Maßen noch etwas verbohrter – und deren Erkenntnisgewinn richtet sich auch nicht nach den Millisekunden, in denen Naturwissenschaftler verzweifelt eine Erkenntnis für ein Patent rechtzeitig veröffentlichen will bevor sein Geldgeber die Hand drauf hat, sondern eher nach Jahrzehnten – aber ich habe den Wert von Fachzeitschriften durchaus zu schätzen gelernt.
    Aber – und das ist mir wichtig – ich gebe Florian dahingehend recht, dass es unsinnig ist, dass
    a) die Zahl der Veröffentlichungen zum Qualitätsmaßstab von wissenschaftlicher Leistung gemacht wird
    b) der freie Gedankenaustausch von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt letztendlich von der Schatzkammer ihres Institutes abhängt (= Wer hat welche Fachzeitschrift?)
    c) es letztendlich zu Strukturen gekommen ist, die in sich fast schon wieder behördlich, also allmächtig und allumfassend wirken. Wer nicht in Nature – oder der HZ – mal veröffentlicht hat, ist nix.

    Eine freie Veröffentlichung birgt aber auch Probleme, die gerade in der derzeitigen Situation auch recht spannend diskutiert wird. Ich meine das Problem, dass sich über z.T. wirklich unwichtige Belange Menschen in einer Art und Weise erregen, die eine sachliche Diskussion über das eigentliche Thema gezielt abwürgt. Ob man das nun Shitstorm nennt oder trolling – Menschen äußern sich immer ungehemmter.
    Bislang kann sich die wissenschaftliche Welt da in ihre relativ sichere Türme zurückziehen – Florian dürfte selber schon unter manchen Artikeln in den frei zugänglichen Medien unter Berichten über wissenschaftliche Projekte erstaunliche Kommentare gelesen haben.

    Man stelle sich vor, die Esoteriker fallen über die frei veröffentlichten Artikel her – wie soll denn der Student (Oder auch der Professor), der versucht zu entscheiden ob er den Artikel benutzen kann oder nicht, in vierzigtausend Leserkommentaren den relevanten finden, der von einem tatsächlichen Kollegen als vernünftiges Review geschrieben wurde? Es muss also moderiert werden – und das muss finanziert werden.

    Nun… das wäre wahrscheinlich machbar – aber ich bezweifle, dass die Industrie die Naturwissenschaft freiwillig aus ihren Klauen lässt. Bevor der Staat das übernimmt zerschlagen die lieber die Unis… mein Wort drauf.

  21. #21 Florian Freistetter
    18. Juli 2015

    @ulfi: “Peer Review leistet so viel mehr als nur vor schlechten Publikationen zu schuetzen, es verbessert die Publikationen massiv.”

    Ich nur wiederholen, das ich nirgendwo gefordert habe, Peer-Review abzuschaffen und das auch nicht in meinem Artikel steht! Aber Peer-Review braucht keine Verlage!

    “Journals abschaffen? ja gerne. Dann aber auch Konferenzen”

    😉 –> https://www.falter.at/heureka/2015/07/konferenzen/

  22. #22 Florian Freistetter
    18. Juli 2015

    @Lastknightnik: “ie soll denn der Student (Oder auch der Professor), der versucht zu entscheiden ob er den Artikel benutzen kann oder nicht, in vierzigtausend Leserkommentaren den relevanten finden, der von einem tatsächlichen Kollegen als vernünftiges Review geschrieben wurde? Es muss also moderiert werden – und das muss finanziert werden.”

    Richtig! Das hab ich aber auch nicht ignoriert; eine Moderation mit Anmeldung der Kommentatoren unter einem nachvollziehbaren Namen ist hier nötig. Aber das ist ja durchaus machbar. Und klar, das kostet Geld – aber VIEL weniger als das ganze Verlagswesen…

  23. #23 Thilo
    https://scienceblogs.de/mathlog
    18. Juli 2015

    Wer erklaert mir den insiderwitz mit dem Raben?

  24. #24 Frühling
    18. Juli 2015

    Staaten werden gestürzt, Streaming ersetzt langsam die nun in Panik verfallene Fernsehindustrie und rettet die Musikindustrie – viele deren Imperien zu Fall gebracht werden, können es gar nicht glauben. Dinge, die keinen Sinn machen und besonders die, die für ihre Existenzberechtigung auf eine peergroup angewiesen sind, hatten nie ein chancenreicheres Zeitalter um abgeschafft zu werden als heute.

  25. #25 Florian Freistetter
    18. Juli 2015

    @Thilo: “Wer erklaert mir den insiderwitz mit dem Raben?”

    Kein Terry-Pratchett-Leser? (https://en.wikipedia.org/wiki/Death_%28Discworld%29#Quoth)

  26. #26 Till
    18. Juli 2015

    Ich finde es erstaunlich, wie viele Kommentatoren hier das Verlagswesen mit dem Peer review gleichsetzen! Das ist in meinen Augen ein massives Missverständnis. Peer review ist genau das was es (auf englisch) sagt: Eine Qualitätskontrolle unter Ebenbürtigen/Kollegen. Das bedeutet, die eigentliche Arbeit machen sowieso schon alles die Wissenschaftler: Die einen schreiben eine Forschungsarbeit und andere lesen diese und kontrollieren, ob das was in dem Artikel geschrieben steht plausibel ist.

    Die Arbeit der Verlage besteht aus folgenden Schritten:
    1) eine erste Eingangskontrolle durchzuführen (die meiner Erfahrung nach oft genug aber auch nicht so sehr aufgrund der Qualität der Arbeit erfolgt sondern davon abhängt wie gut die Autoren vernetzt sind),
    2) die Reviewer auszuwählen und die Kommunikation zwischen Reviewern und Autoren zu moderieren.
    3) falls die Reviews positiv ausfallen den Artikel zu publizieren (im Internet und immer seltener auch auf papier)

    Ich stimme Florian voll zu, dass diese 3 Schritte auch von den wissenschaftlichen Institutionen (ähnlich wie bei arXiv) durchgeführt werden könnten und dass man dabei viel Geld sparen könnte. Man muss sich mal klar machen, was die Verlage an Geld abschöpfen: eine Institutionslizenz von Elsevier kostet weit über 100000 Euro und das ist nur eine von vielen Verlagsgruppen. Insgesamt kommen so pro institut gerne einige millionen Euro jährlich zusammen. diese Summe muss jede einzelne Universität und jedes Forschungsinstitut in Deutschland berappen. Am Beispiel der Max Planck institute kann man das ganz gut abschätzen. es gibt 83 Institute, bei geschätzt 2 Mio Euro Lizenzkosten pro institut sind das insgesamt 160 Mio Euro pro Jahr oder 10% des gesamten Etats der Max Planck Gesellschaft. Für einen Bruchteil dieses Geld könnte man sehr viele Editoren bezahlen, die die Verlagsarbeit auf Plattformen a la arXiv übernehmen.

  27. #27 Till
    18. Juli 2015

    @MartinB Ja, und wer hindert Leute daran, sich gegenseitig in einem Netzwerk die jeweiligen Artikel positiv zu bewerten?

    Wenn die Kommentare im Klarnamen erfolgen wäre das ziemlich schnell offensichtlich und ich glaube kaum, dass viele Wissenschaftler dafür ihre Reputation riskieren würden. Ich denke sogar eher, dass die Kommentare besser durchdacht wären, wenn sie öffentlich und nicht anonym wären. Das würde auch verhindern, dass Reviewer zusätzliche Experimente allein mit dem Ziel fordern, die Veröffentlichung zu verzögern um den Autoren mit ihrer eigenen Arbeit zuvor zu kommen (ich weiß von einigen Fällen wo genau das passiert ist).

  28. #28 dgbrt
    18. Juli 2015

    Ich unterstütze Florian und ich fasse meine Meinung mal kurz zusammen:
    * Offene Portale auf der jeder Wissenschaftler (es muss einen Konsens geben wer das ist) publizieren darf.
    * Der Publizist muss ohne Kosten veröffentlichen dürfen (heute zahlt das ja meist der Steuerzahler).
    * Artikel müssen einen Status bekommen wie “Neu”, “Fragwürdig” und “Akzeptiert”.

    Aber solange Verlage richtig Geld damit verdienen UND wenn für die Autoren die Anzahl der Publikationen wichtiger ist als ein Nobel-Preis, dann glaube ich nicht, dass die Professoren da mitspielen werden.

  29. #29 Stephan Goldammer
    https://twitter.com/stephgoldammer
    18. Juli 2015

    Man könnte Online auch mit einfachen Mitteln einen Artikel markieren, z.B. mit einer gut sichtbaren Ampel: Rot für “hat noch keiner drübergeschaut”, gelb für “haben schon 3 drübergeschaut”, grün für “haben schon 10 Peer-Reviewer des Fachbereiches drübergeschaut” usw. und einer Markierung für “hat die Erstsichtung bestanden” usw.

    Ich denke wenn man so ein Ampelsystem einführt, dann gibt’s vielleicht eine Art Wettbewerbsgedanke, bei dem einige Wissenschaftler aus Spaß an der Freude möglichst viele rote Artikel prüfen um sie hochzustufen oder ganz abzulehnen.

    Kann sich eigentlich heute jeder dort anmelden und Artikel einstellen oder muss man eine Stelle an der Uni haben o.ä.?

    Wie verhindert man, dass dort Leute BroScience reinstellen und sich dann durch Kumpanei hochstufen? Bleiben abgelehnte Artikel (z.B. Homöopathie) erhalten oder werden die gelöscht bzw. gar nicht reingenommen? Ich fände es nämlich interessant wenn man sie zwar ablehnt aber trotzdem Online bereithält.

  30. #30 Florian Freistetter
    18. Juli 2015

    @Stephan: “Kann sich eigentlich heute jeder dort anmelden und Artikel einstellen oder muss man eine Stelle an der Uni haben o.ä.?”

    Was meinst du? So ein System das ich im Artikel beschrieben habe, gibts ja noch nicht…

    Oder meinst du arXiv? Da kann nicht jeder publizieren; du musst schon nachweisen, dass du du bist und brauchst – mWn – auch ne Empfehlung eines, der schon dort ist. Und natürlich ist dort auch jemand der den gröbsten Unsinn aussortiert.

  31. #31 gaius
    18. Juli 2015

    @Frühling: “viele deren Imperien zu Fall gebracht werden, können es gar nicht glauben”

    Sehr schön beschrieben, sehe ich absolut genauso: wann, wenn nicht jetzt?

    Einige Branchen können allerdings gar nicht so schnell zusammenbrechen, wie ihnen heutzutage die Existenzberechtigung abhanden kommt: sie halten sich aufrecht aus Trägheit – auch Zusammenbrechen dauert seine Zeit.

  32. #32 Wage
    19. Juli 2015

    Prinzipiell liegst du mit dieser Forderung richtig. Es bedeutet das Informationen vorenthalten werden und das ist hinderlich, besonders für Normalsterbliche die nicht immer 2.99 für ein möglicherweise interessantes Papier aufbringen können oder wollen. Ohne arXiv, Qualitätskontrolle hin oder her (normal sterblich), wäre ich ziemlich aufgeschmissen.

    Auf der Anderen Seite kann man mit Publikationen Geld verdienen und das ist das momentane Geschäftsmodell, für Fachzeitschriften wie Publizierendem. Einfach das Geschäftsmodell ersatzlos eliminieren… hmm.

    Natürlich ist da noch das Problem der institutionalisierten Seriosität, was in der freien Marktwirtschaft in etwa einem Monopol gleichkommt, sich aber eigentlich nicht mit den wissenschaftlichen Grundsätzen vereinbaren läßt (argumentum ad verecundiam). Dem gegenüber steht natürlich die (auch bei “großen” nicht immer optimale) Qualitätskontrolle.

    Die pay to view (oder besser: no view at all) Politik finde ich grauenhaft. Meistens findet man es dann doch irgendwo irgendwann, aber es nervt tierisch 🙂 Oder eben nicht. Was fatal ist.

    Ich MAG Fachzeitschriften. Trotzdem finde das das Material wenigstens nach einem gewissen Zeitraum öffentlich zugänglich gemacht werden sollte (sagen wir 1-2 Jahre).

  33. #33 Earthshaker
    19. Juli 2015

    Ich sehe das auch wie MartinB, dass eine freie Plattform wie arXiv oder andere offene Modelle wohl nicht in der Lage sind, Qualitätskontrollen effektiv durchzusetzen.

    Klassische Verlage als braucht man aber vielleicht auch nicht, wie Florian ja sehr deutlich gemacht hat. In meinem Fachgebiet (Plasmaphysik) ist es allerdings bereits heute so, dass alle (mir bekannten) relevanten Zeitschriften von akademischen Gesellschaften analog zur DPG (z.B. APS, AIP, IOP) herausgegeben werden. Ich kenne zwar nicht die Journalpreise, hoffe und vermute aber, dass diese Journale günstiger als solche von wirtschaftlich orientierten Verlagen wie Elsevier oder Wiley sind.

    Wäre es also nicht sinnvoll, das Management des Peer-Review und die allgemeinen Editor-Tätigkeiten von diesen Institutionen organisieren zu lassen? (man könnte ja auch die Maßgabe “Non-Profit” einführen)

  34. #34 Dr. Klaus Graf
    Neuss
    20. Juli 2015

    Auf dem Göttinger Historikertag letztes Jahr behauptete ich: Qualität wird überschätzt.

    https://digigw.hypotheses.org/1063

  35. #35 Björn Brembs
    Regensburg
    24. Juli 2015

    Ich war letzte Woche auf dieser Tagung:
    https://www.faces.wi.tum.de/index.php?id=82
    gerade ist diese Tagung fertig geworden:
    https://www.dagstuhl.de/de/programm/kalender/semhp/?semnr=15302
    Knowledge Exchange ist spezifisch dafür gegründet:
    https://www.knowledge-exchange.info

    Mit anderen Worten: an allen Orten wird gerade an einem Design für eine institutionelle Infrastruktur gearbeitet, die alle unsere Outputs gleich behandelt und archiviert. In keinem dieser Meetings und Designs kommt ‘das Paper’ oder ‘das Journal’ überhaupt noch vor. Es ist keine Frage ob wir das machen sollten, da gibt es zumindest bislang nur wenig Widerstand, es ist nur die Frage wann es soweit ist.

  36. #36 IO
    24. Juli 2015

    *abo*

  37. #37 Bjoern Brembs
    Regensburg
    9. August 2015

    P.S.: In unserem Papier, das zeigt das schlechte methodische Qualität mit dem Impact Faktor korreliert (je höher desto schlechter), haben wir ebenfalls die Abschaffung der Journale gefordert:

    https://journal.frontiersin.org/article/10.3389/fnhum.2013.00291/full

  38. #38 Dennis Eckmeier
    Lissabon
    9. August 2015

    Es gibt jede Menge guter Gründe für die Abschaffung von wissenschaftlichen Fachzeitschriften, und ich bin sehr dafür. Ich habe auch generell kein Problem mit Open Access oder sogar der Begutachtung (und vor allem Revision!) von Artikeln erst nach Veröffentlichung. Oder sagen wir mal *fast*.

    Die Argumente für diese Veränderungen sind allein aus der akademischen Perspektive unbedenklich. Wenn man die Sache aber von populärwissenschaftlicher Berichterstattung betrachtet, sieht es für mich dann doch wieder etwas anders aus.

    In der Astrophysik ist das sicherlich nicht so weittragend. In der medizinischen Forschung haben Artikel, die wegen des derzeitig grottigen Gutachter-Prozesses trotz schlechter Qualität veröffentlicht wurden, schwere Schäden hinterlassen. Prominentestes Beispiel ist sicherlich die falsche Verbindung zwischen Autismus und Impfungen. Ein miserabler Artikel und vor allem die darin enthaltenen frei erfundenen Schlussfolgerungen wurden hier von der Populärpresse aufgegriffen und verbreitet, und das kostet bis heute Leben und Gesundheit vieler Kinder. Die öffentliche und kritische Betrachtung durch die wissenschaftliche Gemeinschaft, und dann auch die datenreiche Widerlegung des Artikels und Ächtung des Autors, kamen erst nachdem der Schaden bereits angerichtet war, und sind bei der Öffentlichkeit auch nicht wirklich angekommen.

    Dieser Fall (und verschiedene andere zum Beispiel aus der Ernährungsforschung) zeigt, dass die Öffentlichkeit und die öffentlichen Berichterstatter, ungefilterte wissenschaftliche Arbeiten nicht selbst auf Qualität prüfen, und dass nachträgliche Korrekturen von der Öffentlichkeit ignoriert werden, und das eben mit schwerwiegenden Folgen.

    Ich habe des öfteren mit Wissenschaftlern darüber diskutiert. Die Gefahr das solche gefährlich falschen Arbeiten verbreitet werden sehe ich steigen, wenn man unbegutachtete Artikel der Öffentlichkeit überlässt. Üblicherweise heisst es dann “ja, aber jetzt können die Menschen ja das Original selbst nachlesen” und “die Menschen werden so schon irgendwie irgendwann wissenschaftliche Artikel verstehen lernen”. Ich halte diese Aussagen ehrlich gesagt für blauäugig und nachlässig. Otto Normalleser wird mitnichten die Zeit investieren Primärliteratur zu lesen, und sich schon garnicht bemühen wissenschaftliche Kompetenz zu lernen.

    Das *Allermindeste* was man tun sollte ist ein System einzuführen dass einen Artikel der ausgiebig innerhalb der Wissenschaften diskutiert wurde, als solchen markiert. Bzw unbegutachtete und unrevidierte Artikel mit entsprechenden Warnungen markiert.

    Besser fände ich es jedoch, wenn man eine Publikation zunächst nur Wissenschaftlern zugängig machen würde (hier allerdings *allen* und nicht nur einem Editor und zwei Gutachtern), bevor die Öffentlichkeit vollen Zugriff erhält… und auch bevor irgendwelche Pressemitteilungen rausgeschickt werden.

    Ich bin also durchaus auch der Meinung, dass man Wissenschaftszeitschriften in der heutigen Form nicht mehr braucht, aber ich bin auch der Meinung, dass man den wissenschaftlichen Diskurs (leider) nicht ungefiltert in der Öffentlichkeit führen kann. Eine Qualitätskontrolle – und zwar eine bessere als das dezeitige 3-Gutachter-System – sollte weiterhin die Öffentlichkeit vor wissenschaftlicher Scharlatanerie schützen.

  39. #39 Dennis Eckmeier
    Lissabon
    9. August 2015

    P.S. Ich bin jetzt auch dazu gekommen, die Diskussion in den Kommentaren zu lesen, und offenstichlich teile ich die Bedenken von MartinB.

    Ein Punkt: wie verhindert man in einem demokratischen Gutachtensystem Vetternwirtschaft? Nun, man kann zum Beispiel, so wie es heute auch schon von den Verlagen getan wird, mittels Datenbanken die Verbindungen zwischen Autoren und Gutachtern ermitteln und allzu enge Kontakte unterbinden, oder automatisch dem Gutachterkommentar voranstellen (z.B. “Gutachter 1 war Ko-Author mindestens einer der Autoren in einer früheren Publikation”).

    Die Benutzung von Klarnamen wird sich sicherlich nicht durchsetzen. Niemand traut sich wirklich seinen Namen unter solche Kommentare zu setzen. Ich kenne sogar einen Fall wo der Autor wütende emails an jemanden geschickt hat, der es gewagt hat in den PubMed Commons Kommentaren eine kritische Frage zu dem Artiekl zu stellen.

  40. #40 Florian Freistetter
    9. August 2015

    @Dennis: “wie verhindert man in einem demokratischen Gutachtensystem Vetternwirtschaft? “

    Wie verhindert man es denn jetzt? Aus meiner eigenen Erfahrung als Autor und Gutachter weiß ich, dass die Fachgebiete oft so klein sind, das sich das Problem kaum umgehen lässt, weil da alles irgendwie zusammenhängen…

  41. #41 Dennis Eckmeier
    12. August 2015

    @Florian: Ich habe diese Frage doch in meinem Kommentar schon selbst beantwortet!? Wie effizient das gemacht werden kann, ist natuerlich von der Groesse des Gebiets abhaengig.

    Neben Vetternwirtschaft ist aber auch der Interessenkonflikt ein Thema. Im Grunde das Gleiche Problem anders herum 😉 Wenigsten kann man kein paper mehr vor den Augen des Fachgebietes verbergen indem man die Veroeffentlichung verzoegert (weil eben andere Wissenschaftler den Artikel schon lesen koennen).

    Uebrigens auch ein interessanter Aspekt: es gibt eine Studie nach der die optimale Anzahl von Gutachtern 5 ist… nicht zwei. Das koennte bei beiden Problemen etwas helfen. Dann sind eben nicht alle Gutachter in der selben kleinen Nische taetig, das kann aber eben auch ein Vorteil sein.

  42. […] Impact-Faktoren & Co aufregen. Denn genau die sind das Problem! Ich habe über all das schon in vielen früheren Artikeln geschrieben. Aber weil das Thema immer noch aktuell ist und weil ich […]

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