Dieser Artikel entstand für ein anderes Projekt, aus dem dann doch nichts geworden ist. Er sollte der erste Teil einer längeren Serie sein. Ich hatte dann keine Zeit mehr, die Sache fortzusetzen; wollte den Text aber auch nicht in meinem Archiv verschimmeln lassen. Bei Interesse kann ich die Serie ja hier im Blog weiter führen.
Wenn ich Vorträge halte oder einfach mal so mit Leuten über Astronomie oder Raumfahrt spreche, landen wir oft bei der Internationalen Raumstation und den Fragen: Wozu braucht man die eigentlich? Ist die nicht eine völlig unnötige Geldverschwendung? Was nützt uns die Raumstation eigentlich?
Ich kann nicht genau nachvollziehen, woher diese Vorurteile kommen. Vermutlich sind sie Teil der allgemeinen diffus-negativen Einstellung gegenüber jeder Form der Grundlagenforschung, die keinem offensichtlichen Zweck zu dienen scheint. Diesen Vorbehalten begegnet man ja leider oft genug; immer wenn irgendwo über ein großes wissenschaftliches Projekt berichtet wird, dauert es nicht lange bevor irgendwann jemand mit dem “Argument” “Was bringt uns das? Das Geld dafür hätte man doch auch sinnvoller ausgeben können!” ankommt (selbst die wirklich tolle Mission von New Horizons zu Pluto wird von einigen als überflüssige Geldverschwendung betrachtet).
Aber natürlich ist die Raumstation ganz und gar nicht nutzlos! Sie nützt uns sogar sehr viel. So viel, dass es schwer ist, all das in einen Blogartikel zu packen, was wir dank der ISS gelernt haben. Dafür reichen nicht einmal mehrere Blogartikel aus. Man müsste schon ganze Bücher darüber schreiben, wenn man wirklich alles gründlich behandeln wollte. Zu fragen: “Was hat man auf der ISS alles erforscht?” ist ungefähr so als würde man fragen “Was hat man an der Universität Berlin alles erforscht?” oder “Was hat man am Fraunhofer-Institut alles erforscht?”. Es ist genaugenommen nicht nur ungefähr so, es ist genau so. Denn neben vielem anderen ist die Raumstation nichts anderes als eine Forschungseinrichtung im Weltall. Eine “Weltraum-Universität” quasi, an der von Anfang an über die verschiedensten Themen geforscht wird.
Ich kann beim besten Willen nicht alles zusammenfassen, was man dort in den letzten Jahren erforscht und herausgefunden hat. Aber ich möchte zumindest eine (unvollständige) Liste mit ein paar Stichworten zu den jeweiligen Themen zusammenstellen die für Interessierte als Ausgangspunkt für tiefergehende Recherchen dienen kann. Den Anfang machen die Experimente und Untersuchung zu physikalischen Themen; in weiteren Artikel werde ich dann auch andere Gebiete behandeln.
- Alpha-Magnet-Spektrometer (AMS): Das AMS gehört sicher zu den beeindruckensten wissenschaftlichen Instrumenten auf der Raumstation. Es ist ein Riesending; 3,1 m × 3,4 m × 4,5 m groß und 8,5 Tonnen schwer. Es ist ein Teilchendetektor, also im Prinzip ein Gerät wie auch die hausgroßen Detektoren die zum Beispiel auch im Beschleuniger LHC auf der Erde zu finden sind. Einen Teilchenbeschleuniger gibt es auf der Raumstation nicht, aber dafür hat man den ganzen Kosmos zur Verfügung. Jede Menge astronomische Phänomene produzieren Teilchen aller Art und wenn wir sie detektieren können, dann lernen wir auch jede Menge. AMS widmet sich dabei durchaus fundamentalen Fragen: Man sucht zum Beispiel nach den Spuren die entstehen, wenn Materie mit Antimaterie kollidiert. Bestimmten kosmologischen Modellen zufolge ist beim Urknall ein wenig Antimaterie entstanden bzw. übrig geblieben und heute immer noch vorhanden. AMS sucht aber auch nach dunkler Materie. Wir wissen noch nicht, woraus die besteht aber es ist wahrscheinlich, dass sie aus Teilchen gebildet wird, die sich so wie Materie und Antimaterie bei Kollisionen ebenfalls selbst auslöschen können. Die dabei entstehenden Spuren kann AMS ebenfalls registrieren. Neben dieser fundamentalen Grundlagenforschung beschäftigt sich AMS aber auch mit ganz konkreten Problemen: Eine der vielen Gefahren die uns Menschen beim Aufenthalt im All drohen, ist die kosmische Strahlung. Auf der Erde sind wir davor durch die Atmosphäre und das Magnetfeld abgeschirmt; im Weltall trifft uns die von allen möglichen Sternen und anderen Objekten stammende Strahlung aber ungefiltert und kann bei längerem Aufenthalt schwere gesundheitliche Schäden verursachen. AMS untersucht diese Strahlung um besser verstehen zu können, wie sich die kosmische Strahlung verhält und wie wir uns davor schützen können.
- Microgravity Smoldering Combustion (MSC): Nicht alle Experimente auf der ISS sind so umfassend und langandauernd wie AMS. Viele beschäftigen sich auch mit ganz konkreten Fragestellungen die in kleineren Versuchsanordungen untersucht werden. Stellvertretend für diese vielen Experimente soll MSC stehen. Dabei geht es um Schwelbrände, die eine große Gefahr sein können. Ein Schwelbrand ist eine unvollständige Verbrennung bei wenig Sauerstoffzufuhr und niedriger Temperatur. Er kann zum Beispiel durch einen Kabelbrand ausgelöst werden und lange unentdeckt bleiben, bis er dann irgendwann zu einem echten Brand wird. Schwelbrände werden natürlich nicht nur auf der ISS untersucht sondern auch auf der Erde. Aber die ISS hat einen große Vorteil: Sie befindet sich im freien Fall um unseren Planeten und daher ist dort alles schwerelos. Man kann alle möglichen Phänomene dort daher ohne den Einfluss der Gravitation untersuchen, der viele Untersuchungen enorm kompliziert. Auch bei Schwelbränden verdeckt die Gravitation die Mechanismen, die man verstehen will; auf der Raumstation kann aber ganz genau herausfinden, wie sich zum Beispiel die Richtung der strömenden Luft auf die Entwicklung eines Schwelbrandes auswirkt.
- Agricultural Camera: Die ISS ist natürlich auch ein wunderbarer Ort um auf die Erde zurück zu schauen. Nicht nur zum Vergnügen, sondern auch um Forschung zu betreiben. Erdbeobachtungsprojekte gibt es ebenfalls jede Menge; ich habe mir die Agricultural Camera ausgesucht. Sie macht Aufnahmen im sichtbaren und im infraroten Licht und das hauptsächlich von Gegenden der Erde, in denen irgendwas angebaut wird. Die Kamera ist in der Hinsicht speziell, als das sie nicht vorrangig der Wissenschaft dient, sondern mehr eine Dienstleistung darstellt, die man anfordern kann, wenn man Bilder aus dem Weltall haben kann. Das wird zum Beispiel von Parkrangern in Anspruch genommen, die wissen wollen, wie sich die Vegetation in ihrem Naturschutzpark entwickelt. Vom Weltall aus und vor allem durch die Aufnahmen in verschiedenen Spektralbereichen kann man gut die einzelnen Pflanzenarten und die unterschiedlichen Vegetationszustände unterscheiden. Bauern können sehen, wo wie und wie schnell sich ihre Nutzpflanzen entwickeln und dadurch Anbau, Ernte, Düngemittel- oder Pflanzenschutzmitteleinsatz optimieren. Und so weiter (siehe dazu auch hier) – die Agricultural Camera ist quasi eine direkte Antwort darauf, was uns die Forschung im Weltall für nützliche Anwendungen bringen kann.
- SOLAR: Man kann aber nicht nur auf die Erde schauen, sondern auch zur Sonne. Das macht man auf der ISS zum Beispiel mit SOLAR, eine Wissenschaftsplattform mit drei Instrumenten, die die Sonnenaktivität beobachten und analysieren. Die Sonne besser zu verstehen ist immer nützlich, denn je besser wir die Sonne verstehen, desto besser verstehen wir auch die Sterne ganz allgemein. Je besser wir die Sonne verstehen, desto besser können wir auch den Einfluss der Sonne auf die Erde verstehen und damit die Vorhersage von Wetter und Klima verbessern. Die Sonnenaktivität kann die Funktionsweise von Satelliten im Weltall negativ beeinflussen und je mehr Instrumente sie im Blick behalten und uns helfen, sie zu analysieren, desto besser.
- Materials Science Laboratory (MSL): Wie schon vorhin beim Microgravity Smoldering Combustion-Experiment erwähnt hat die Raumstation den großen Vorteil, dass man dort Versuche in Schwerelosigkeit anstellen kann. Die Gravitation auf der Erde ist eine Kraft, die immer und überall wirkt und alle physikalischen Vorgänge beeinflusst. Es ist oft schwierig, zum Kern eines Phänomens vorzudringen und zu verstehen, was wirklich vor sich geht, weil der Einfluss der Gravitation diese grundlegenden Eigenschaften verschleiert. In der Schwerelosigkeit der ISS hat man einen viel klareren Blick auf die Dinge und darum macht man dort auch viele Experimente für die Materialwissenschaft. Mit dem Materials Science Laboratory (MSL) kann man untersuchen, wie verschiedene Materialien, Metalle, Legierungen, Halbleiter unter anderes Zeugs in Schwerelosigkeit schmelzen oder wieder fest werden; kann Stoffe auf eine Art und Weise kristallisieren lassen wie es in der Gravitation auf der Erde nicht möglich wäre oder untersuchen, wie verschiedene Materialien und/oder Gase miteinander wechselwirken. Das MSL ist kein einzelnes Experiment sondern ein ganzes Labor in dem viele verschiedene Untersuchungen durchgeführt werden können.
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