In der Serie “Fragen zur Astronomie” wird es heute galaktisch. Die Frage klingt eigentlich ziemlich simpel: Welche Form hat die Milchstraße? Man könnte meinen, die Antwort wäre nicht schwer zu finden. Immerhin ist die Milchstraße ja unsere Galaxie; die große Ansammlung von Sternen, zu denen auch die Sonne gehört. Und über unser Zuhause sollten wir doch am besten Bescheid wissen, oder?
Tja – das Gegenteil ist der Fall. Über die Struktur all der vielen anderen Galaxien die wir fern im Universum beobachten können, wissen wir wesentlich besser Bescheid als über unsere eigene Milchstraße. Denn gerade weil wir mitten drin sind, ist es enorm schwer, einen vernünftigen Überblick zu bekommen. Wenn wir (was dank der Lichtverschmutzung immer seltener möglich ist) in einer dunklen Nacht am klaren Himmel nach oben blicken, dann sehen wir dort ein helles, weiß leuchtendes Band das sich über das gesamte Firmament erstreckt. Es sieht tatsächlich ein wenig “milchig” aus und der Name “Milchstraße” ist treffend gewählt. Aber über die Form lässt sich allein daraus wenig sagen.
Die historischen Versuche, die Form unserer Galaxie zu bestimmen sind äußerst interessant, aber zu zahlreich, um sie hier alle zu erklären. Aber wenn man die sichtbaren Sterne (und alle Sterne die wir von der Erde aus mit freiem Auge oder kleinen Teleskopen sehen können sind Teil unserer eigenen Galaxie) möglichst genau vermisst, also ihre Position und ihren Abstand zur Sonne bestimmt, bekommt man einen ersten Eindruck. Demnach ist unsere Milchstraße auf jeden Fall scheibenförmig und nicht zum Beispiel einfach eine große Kugel aus Sternen. Und wir befinden uns irgendwo am Rand dieser Scheibe und nicht irgendwo in der Mitte.
Das erklärt auch den Anblick der Milchstraße, den wir am Himmel sehen können. Wir können von unserer Position im äußeren Bereich der Scheibe aus Sternen in verschiedenen Richtungen schauen. Blicken wir weg vom Zentrum der Scheibe bzw nach “oben” oder “unten” aus der Scheibe hinaus, dann sind dort nur vergleichsweise wenig Sterne zu sehen. Beim Blick direkt in Richtung des Zentrums sind aber sehr viele Sterne zu sehen; so viele, das wir sie mit freiem Auge nicht mehr einzeln wahrnehmen können sondern nur noch ein weiß-leuchtendes Band sehen, das sich über den Himmel zieht. Das ist ungefähr so, als wenn man irgendwo in der Natur an einem Waldrand stehen würde: Schaut man mitten in den Wald hinein, sieht man irgendwann nur noch grün und keine einzelnen Bäume mehr. Beim Blick in die andere Richtung sieht man die einzelnen Bäume dagegen recht und hinter bzw. zwischen ihnen ist kein Wald mehr zu sehen.
Die Scheibe der Milchstraße ist groß: Von einem Ende zum anderen misst sie ungefähr 100.000 Lichtjahre; ist dabei aber nur 3000 Lichtjahre dick. Die Sonne ist ungefähr 28.000 Lichtjahre vom Zentrum entfernt. Wir wissen aus den Messungen außerdem, dass sich die Scheibe im Zentrum der Milchstraße etwas “aufwölbt”; dort befindet sich der “Bulge”, eine kugelförmige Region mit etwa 15.000 Lichtjahren Durchmesser.
Die grobe Form unserer Galaxie ist also eine Scheibe, mit einer Verdickung in der Mitte. Aber das ist noch nicht alles. Auch in der Scheibe sind die Sterne nicht gleichmäßig verteilt. Es gibt Regionen in denen sich mehr Sterne befinden und andere, in denen weniger zu sehen sind. Das sind die Spiralarme die wir vom Anblick so vieler anderer Galaxien am Himmel kennen. Die Spiralarme sind übrigens keine starren Strukturen so wie die Speichen eines Fahrrads. Es sind Bereiche, in denen mehr Sterne heller leuchten als anderswo und wo die Sterne im Allgemeinen auch jünger sind. Es sind Bereiche, in denen besonders viele Sterne entstehen und deswegen viel Licht ausgestrahlt wird. Die Sterne bewegen sich aber und sie bewegen sich aus den Regionen ihrer Geburt fort. Dafür entstehen aber wieder neue und nehmen quasi ihren Platz ein. Die Spiralarme sind dynamische Strukturen und die Sterne, von denen sie gebildet werden, ändern sich ständig. Die genaue Entstehung der Arme ist aber eine ziemlich knifflige Sache, die immer noch nicht komplett verstanden ist (und über die ich vielleicht auch mal an anderer Stelle mehr schreiben werde).
Man hat natürlich auch probiert, die Form der Spiralarme möglichst genau zu vermessen. Aber das hat sich als äußerst schwierig erwiesen. Wir sitzen eben mitten drin und sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht. Oder eben die Galaxie vor lauter Sternen… Und neben den Sternen sind da auch noch die vielen Gaswolken die sich dazwischen im interstellaren Raum befinden und uns ebenfalls den Blick verstellen. Es wäre nett, wenn wir einfach mal ein Teleskop ein paar tausend Lichtjahre aus der Ebene der Milchstraße hinaus schicken könnten um ohne Hindernisse auf sie schauen zu können. Aber das geht natürlich nicht. Also bleiben uns nur indirekte Untersuchungen: Man kann zum Beispiel versuchen, nach heller, heißer Strahlung zu suchen die auf junge Sterne und Sternentstehungsgebiete hinweist, wie sie für die Spiralarme typisch sind. Aber das ist nicht so einfach; da gibt es viele Störquellen und die Resultate sind entsprechend ungenau.
Lange Zeit ging man davon aus, dass unsere Galaxie vier große Spiralarme hat. Daten aus dem Jahr 2008 schienen dann auf einmal nur zwei hauptsächliche Arme zu zeigen; die anderen sollten wesentlich schwächer ausgeprägt sein. Noch neuere Messungen bestätigen nun aber wieder den alten Befund: Es gibt vier Spiralarme in denen sich viele junge und helle Sterne befinden. Und ein paar schwächere, mit älteren Sternen. Aber genau weiß man es nicht… und man hat sich bis jetzt noch nicht mal auf eindeutige Namen für die Arme einigen können, so dass man in der Literatur auch problemlos mehr als vier Bezeichnungen finden kann. Die Sonne befindet sich nach aktuellem Stand übrigens im Orion-Arm, einem Nebenarm, der sich zwischen den größeren Sagittarius- und Perseus-Armen befindet.
Je nach Öffnungswinkel und Struktur der Spiralarme unterscheidet man in der Astronomie verschiedene Typen von Spiralgalaxien (ich habe das hier genauer erklärt). Aber zu welchem Typ unsere Milchstraße gehört, können wir nicht genau sagen. Aber wir wissen immerhin, dass die Spiralarme – wie viele es nun auch immer sind – nicht direkt mit dem Bulge im Zentrum verbunden sind, sondern mit ihm über eine balkenförmige Struktur verknüpft, die aus dem Bulge entspringt. Solche Galaxien nennt man Balkenspiralgalaxie; auch hier gibt es verschiedene Typen und auch hier wissen wir nicht, zu welchem davon die Milchstraße gehört.
Alles in allem lautet die Antwort auf die Frage nach der Form der Milchstraße als wahlweise entweder “Kann man noch nicht so genau sagen” oder “Die Milchstraße ist eine Balkenspiralgalaxie mit (vermutlich) vier großen Spiralarmen”.
Mehr Antworten findet ihr auf der Übersichtsseite zu den Fragen, wo ihr selbst auch Fragen stellen könnt.
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