Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2015. Hinweise zum Ablauf des Bewerbs und wie ihr dabei Abstimmen könnt findet ihr hier. Informationen über die Autoren der Wettbewerbsbeiträge findet ihr jeweils am Ende der Artikel.
——————————————
Risiko ist abstrakter Begriff um die Gefährlichkeit einer Sache zu bewerten. Im alltäglichen Sprachgebrauch kommt er immer mal wieder vor. “Du gehst ein Risiko ein”, “Das ist risikoreich”. Wir wollen damit ausdrücken, dass wir eine Sache für gefährlich, vielleicht zu gefährlich halten. Es ist eine Warnung. Risiko – das impliziert Gefahr. Und Gefahr ist in den seltensten Fällen ein gerngesehener Gast.
Risiko ist eng Verknüpft mit dem Begriff der Sicherheit. Beides spielt für uns eine wichtige Rolle und ist sehr persönlich eingefärbt. Sicherheit – das Wort kann man auf vielfältige Weise interpretieren. Für manche ist Sicherheit vor allem Geborgenheit, wieder andere verstehen Sicherheit vor allem in finanzieller Hinsicht und für grauenerregend viele Menschen bedeutet Sicherheit einfach die Abwesenheit von tödlicher Gefahr.
Als Techniker steht man immer wieder vor der Situation, diese sehr persönlichen Begriffe auf eine verbindlich festgelegte interpretieren zu müssen. Will man zum Beispiel eine Chemieanlage bauen, müssen sich alle Beteiligten mit dem Risiko auseinandersetzen. Und es ist von entscheidender Bedeutung, dass wenn von Risiko, Gefährdung, Sicherheit gesprochen wird, alle die gleiche Vorstellung davon haben. Die Frage, wie man für diese schwammigen Begriffe eine feste, für alle verbindliche Interpretation findet, hat Generationen von klugen Köpfen auf den Gebieten von Technologie, Normung, Recht & Gesetz, Mathematik und wo sonst nicht noch überall, beschäftigt – sie ist alles andere als trivial.
Warum dem so ist, warum man überhaupt mit Risiko umgehen muss, warum man verbindliche Regeln dafür braucht und was man daraus für Konsequenzen zieht, das versuche ich hier kurz anzureißen.
Fast alle Maschinen, die uns das Leben erleichtern bzw. unseren Lebensstandard erst möglich machen, haben nicht nur das Potential zu nutzen, sondern auch zu schaden. Egal ob Kraftwerk, Chemieanlage oder Auto – mit großem Nutzen geht auch immer ein gewisses Risiko für durch diese Maschinen verursache Schäden einher. Ziel aller Technik ist es, das Risiko zu minimieren und den Nutzen zu maximieren. Es ist ein Allgemeinplatz, dass absolute Sicherheit nicht zu erreichen ist und ich persönlich glaube nicht, dass wirklich viele Menschen das denken, geschweige denn, Menschen, die fähig und in der Position sind, Entscheidungen zu treffen.
Trotz dessen ist der Begriff alles andere als selbsterklärend. Risiko ist abstrakt, aber das bedeutet nicht, dass es nicht beschreibbar ist.
Wie abstrakt der Begriff ist und wie fehl man selbst im ersten Moment manchmal gehen kann, soll ein kleines Beispiel zeigen: Die Mercedes-Benz Baureihe 115 von 1968
Ein Auto, nach dem man sich umdrehen wird, wenn man es auf der Straße sieht. Zugegebenermaßen ein Symbol der bürgerlichen, spießigen Bundesrepublik der 1960er und 70er Jahre. Aber trotz allem schön.
Dieses Auto hat, wie es da steht, einige interessante Sicherheitsmerkmale
- Der /8 hatte ursprünglich keine Sicherheitsgurte. Dieses Extra gab es erst ab den 70er Jahre und war erst verpflichtend seit den 80ern. Standard wurde es erst beim Nachfolger, dem W123
- Dieses Auto hat eine Starrkarosse, die sich bei einem Unfall kaum verformt. Es gibt keine Knautschzonen – die gesamte Energie des Einschlags wird an die Teile weitergegeben, die am wenigsten Widerstand leisten. Das sind in der Regel die Fahrgäste
- Die A-Säule bricht bei vielen Unfällen und kann sich aufgrund ihrer Geometrie in den Innenraum schieben
- Die Karosse kann sich beim Unfall so verziehen, dass sich die Türen nicht mehr öffnen lassen. Moderne Karossen sind so geformt, dass sie sich auf eine Weise verformen, die die Türen nicht blockiert, obwohl sie geschlossen bleiben
- Ein Frontalaufprall schiebt den Motor in den Fahrgastraum. Bei modernen Fahrzeugen ist die Motoraufhängung so beschaffen, dass er Beim Unfall nach unten wegbricht und das Chassis im schlimmsten Fall darüber hinweg schrammt, statt von ihm durchschlagen zu werden
- Die Pedale werden beim Unfall nach oben gedrückt, statt nach vorne weg zu klappen oder zu brechen und klemmen die Füße des Fahrers ein
- Die starre Lenksäule wird beim Frontalaufprall gegen Kopf und Brustkorb des Fahrers gedrückt
- Der Stern ist starr auf dem Kühlergrill montiert und stellt ein massives Verletzungsrisiko dar
- Nicht alle Modelle dieses Fahrzeugs hatten ausschließlich Scheiben aus Sekuritglas. Beim Unfall konnten die Seitenscheiben splittern
Trotz dessen hat sich garantiert die überwältigende Mehrzahl der Menschen in diesem Auto in keiner Weise mehr gefährdet gefühlt, als in jedem anderen.
Mehr noch – gerade weil der /8 so stabil ist, strahlt er ein Gefühl von Sicherheit aus. Auch heute noch. Aus dem Bauch raus würde ich behaupten, dass die Mehrzahl der Leute denkt, dass diese Autos bei einem Unfall mehr Schutz für die Fahrgäste bieten, obwohl sie was passiven und aktiven Schutz der Fahrgäste betrifft mittlerweile hoffnungslos veraltet sind. Obwohl die Unfallzahlen heute kaum niedriger sind, als sie damals waren (Was bei der deutlich gestiegenen Anzahl Fahrzeuge eine deutlich kleinere Rate bedeutet), sterben heute im vereinigten Deutschland 3.000 Personen pro Jahr im Straßenverkehr, verglichen mit bis zu 11.000 pro Jahr in der alten Bundesrepublik
Risiko ist schwierig einzuschätzen.
Kommentare (40)