Bei der Simulator Sickness ist der Fall genau entgegengesetzt gelagert: hier meldet das
visuelle System “alles in Bewegung!”, während sowohl Gleichgewichtsorgan als auch die
Wahrnehmung der Körperposition und -lage einhellig für einen aktuellen Stillstand votieren.
Simulator Sickness tritt beispielsweise in Flugsimulatoren auf, während des Videospielens
oder bei 3D-Filmen. Hierbei scheint entgegen zur Linderung der Motionsickness durch
Hinwendung zu bewegten Reizen die Fixierung von unbewegten Objekten in der Umgebung
zu helfen [11].
Was ist nun der Unterschied zur Cybersickness? Cybersickness basiert auf dem gleichen
Prinzip des Informationskonflikts wie die Simulator Sickness, umfasst aber noch zusätzliche
Aspekte, die sich auf die technische Umsetzung und die Darstellung der virtuellen Inhalte
beziehen. CS ist kurz gefasst Simulator Sickness + Beeinträchtigung des Befindens durch
zusätzliche technische und inhaltliche Störfaktoren [11].
Und hier setzt das Problem der übelkeitsgeplagten Alice an: vielleicht gab es eine kurze
Verzögerung (Latenz) zwischen ihrer Kopfbewegung und der Anpassung der dargestellten
Position in der virtuellen Umgebung. Möglicherweise beeinträchtigte das hochfrequente
Flackern eines Grafikelements, eine zu niedrige Auflösung oder eine zu schnelle Abfolge von
visuellen Reizen ihr Erlebnis. Eventuell hat sie auch ein ambitionierter Gamedesigner mit
seiner Jetstartsimulation durch zu schnelle passiv erlebte und nicht selbst steuerbare
Bewegung ins Reich der stundenlangen Übelkeit katapultiert. Die Rotation des Charakters
und der nicht individuell eingestellte Linsenabstand am HMD haben ihr dann den Rest
gegeben.
Was nach einem Katastrophenszenario schlecht gestalteter Spielinhalte und suboptimaler
technischer Umsetzung klingt, ist nicht immer vermeidbar. Hinsichtlich der technischen
Umsetzung versuchen Herstellerfirmen ihre Produkte zu optimieren und die Latenzen so
gering wie möglich zu halten. Die möglichen Auflösungen erhöhen sich stetig. Auf
inhaltlicher Seite gibt es inzwischen Guidelines, die bei der Erstellung von VR-Spielen das
Risiko zur CS senken sollen [12, 13]. Dies ist effektiv, limitiert aber auch die Möglichkeiten.
Schöner wäre es natürlich, wenn es überhaupt keine CS gäbe. Warum wird manch einem nach
einer kleinen Runde mit einem HMD überhaupt so blümerant zumute?
Was auf der Symptomebene passiert, wenn jemand cybersick wird, ist umfänglich
beschrieben [14]. Auch individuelle Faktoren, die das Auftreten von CS fördern, wie
beispielsweise Alter, Geschlecht oder auch die aktuelle Phase im Menstruationszyklus,
werden erforscht [11]. Noch nicht ganz geklärt ist jedoch, warum der menschliche Körper auf
die oben beschriebenen Informationskonflikte überhaupt mit Übelkeit, Schwindel und co
reagiert. Eine mögliche Erklärung ist die Vergiftungshypothese. Hierbei soll die Diskrepanz
zwischen eigener und wahrgenommener Bewegung vom Gehirn als Symptom einer
potentiellen Vergiftung interpretiert werden, wodurch der Notfallplan “Erbrechen und
Übelkeit”, inklusive verbundener Symptome wie Schwitzen und Blässe eingeleitet wird
[11,14]. Diese Annahme erklärt jedoch nur einen Teil der Symptome. Anhaltende
Desorientierung, Ermüdung der Augen und vor allem die Dauer der Nachwirkung der VR-
Erfahrung scheint eher in der ungewohnten Darbietungsform und der Anstrengung durch die
Fokussierungsleistung begründet zu liegen. Auch in der langanhaltenden Fortsetzung der
Symptome unterscheiden sich Cyber- und Simulator Sickness tendenziell von herkömmlicher
Reiseübelkeit [15], so dass es sich um verschiedene Grundmechanismen zu handeln scheint.
Bekannt ist der konkrete Prozess somit nur in Teilen. Bis nähere Erkenntnisse vorliegen, ist
also zunächst Symptombekämpfung das Mittel der Wahl.
Was kann man auf individueller Seite gegen CS tun? Medikamentöse Lösungen werden zwar,
analog zu Reiseübelkeitsmedikamenten, erforscht, sind aber erstens nicht in allen Fällen
zuverlässig wirksam [16] und zweitens eher auf Personen ausgerichtet, für die ein VR-
Training beruflich nötig ist. Für den Alltagsgebrauch ist die generelle Bereitschaft, neben
Cola und Pizza zur Spielesession noch die Übelkeitsmedikamente bereitzustellen sicher aus
gutem Grund eher gering. Andere Ansätze wie systematische Gewöhnung, die Konzentration
auf die eigene Kontrolle der Situation (ähnlich wie die Empfehlung als Beifahrer, sich eigenes
Fahren vorzustellen) und Suggestion (“Ich werde Spaß haben und es wird mir gut gehen”)
werden vorgeschlagen, stehen aber auch noch zur Forschung [11].
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