Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2015. Hinweise zum Ablauf des Bewerbs und wie ihr dabei Abstimmen könnt findet ihr hier. Informationen über die Autoren der Wettbewerbsbeiträge findet ihr jeweils am Ende der Artikel.
——————————————
Bevor ich mit dem Bericht beginne, möchte ich ganz kurz erklären, wieso ich mir ausgerechnet dieses Ziel rausgesucht habe. Wieso zur Hölle fährt jemand nach Tschernobyl? Ich nenne für mich zwei Gründe: a) wissenschaftliches und b) historisches Interesse. Als Kind der 80er habe ich die Reaktorkatastrophe damals miterlebt, genaugenommen war Tschernobyl das erste wirklich weltweit bedeutsame Ereignis, das ich bewusst als solches wahrgenommen habe. Vielleicht vergleichbar mit der Mondlandung für ältere Semester, oder 9/11 für die jüngere Generation.
Wer in den frühen 80er Jahren aufgewachsen ist, wurde unweigerlich mit der permanenten Gefahr eines nuklear geführten Krieges zwischen den beiden Supermächten konfrontiert, weswegen das Thema Kernenergie schon seit meiner Kindheit eine seltsam unheimliche Faszination auf mich ausübt.
Ein Tschernobyl-Besuch stand daher schon lange auf meiner Wunschliste und dieses Jahr habe ich mir den Wunsch dann erfüllt. Es ist verblüffend einfach, eine solche Reise zu buchen, sofern man sich an eine der zahllosen Anbieter wendet und bereit ist, sich einer Gruppe anzuschließen. Das habe ich getan und außer der formlosen Anmeldung per Email musste ich mich lediglich noch um die Anreise nach Kiew kümmern. Falls jemand Interesse an einer solchen Reise hat, ich habe hier gebucht und war wirklich mit allem mehr als zufrieden.
Am 30. April stieg ich also in den Flieger nach Kiew und am folgenden Tag begann meine Reise am Treffpunkt vor dem Hauptbahnhof. Es folgen meine Aufzeichnungen, die ich damals vor Ort erstellt habe:
Freitag, 01.05.2015
Der Tag fängt großartig an, ich verschlafe und wache um 7:25h auf, um 8h muss ich am Treffpunkt sein. Ungewaschen und ohne Frühstück schlage ich Punkt 8 auf und stelle fest, dass außer Dominik, dem Veranstalter, noch kein Mensch da ist. Nach und nach trudeln dann die Teilnehmer ein, wir sind zu zwölft und ziemlich international: Deutschland, Frankreich, Schweden, China (Hongkong) und die Slowakische Republik. Dazu kommen noch unser Fahrer Kolja und der Reiseführer Sergei (beide Ukraine) und der Chef Dominik (Tschechische Republik). Kolja sagt während der kompletten Reise kein Wort, Dominik und Sergei sprechen beide ein ausgezeichnetes Englisch und sind dazu extrem sympathisch.
Nachdem alles Gepäck in dem etwas betagten Sprinter verstaut ist und alle bezahlt haben, fahren wir los Richtung Norden. Unterwegs stellt uns Sergei nochmal die Sicherheitsanweisungen vor, die wir im Vorfeld alle schon per Mail erhalten und bestätigt haben. Innerhalb der Zone ist es unter anderem verboten:
- im Freien zu Essen oder zu Rauchen
- T-Shirts oder kurze Hosen zu tragen
- offene Schuhe zu tragen
- sich irgendwo hinzusetzen
- Gegenstände irgendwo abzulegen
- etc. etc.
Dass diese Vorschriften sehr lasch interpretiert werden, oder vielmehr dass sich kein Mensch dran hält, wissen wir zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Wir fahren dann knapp zwei Stunden, während derer wir auf dem Bordfernseher eine Doku über das Reaktorunglück sehen, die sehr gut ist, der deutsche Titel lautet ‚Die wahre Geschichte von Tschernobyl‘, bei den bekannten Plattformen wird man fündig werden. Dann kommen wir zum ersten Checkpoint.
Die Sicherheitszone um den Reaktor ist in zwei Bereiche geteilt, einen inneren 10km-Ring um das Kraftwerk und einen 30km-Ring. Diesen äußeren Ring passieren wir jetzt. Wir halten an, alle müssen aussteigen und im Gänsemarsch durch eine Art Drehkreuz, vorher werden unsere Pässe kontrolliert. Das sieht alles sehr martialisch aus, eine Schranke, Sandsäcke, Soldaten in Uniform mit Maschinenpistolen bewaffnet, allerdings sind die alle sehr freundlich und machen sich über diverse Passfotos lustig.
Unser erstes Ziel ist die Stadt Tschernobyl, die innerhalb der 30km-Zone liegt. Eigentlich liegt das Kraftwerk viel näher an der Stadt Prypiat, da aber Tschernobyl auch der Name des Bezirkes war/ist, wurde das Werk danach benannt. In Tschernobyl lebten vor dem Unglück ca. 15.000 Menschen, heute sind es immerhin knapp 3.000. Zum größten Teil sind das Arbeiter vom Kraftwerk, Soldaten und Verwaltungsbeamte und eine Handvoll Angestellte der wenigen Hotels. In einem davon checken wir dann ein, die Zimmer sind rustikal, aber vollkommen in Ordnung.
Kommentare (35)