Mit der Sicherheit nehmen es unsere Führer selbst nicht so genau, so laufen sie im T-Shirt rum, meinen Trinken und Rauchen im Freien sei vollkommen ok und vor allem lassen sie uns in Gebäude reingehen, obwohl gerade das strengstens untersagt ist. Nicht wegen der Strahlung, sondern weil alles extrem baufällig ist und überall Schrott, Glasscherben und anderes Zeug rumliegt. Wir sehen an diesem Tag lediglich eine andere Gruppe, die machen das genauso. Dominik meint nur, wir sollen halt aufpassen dass keiner irgendwo runterfällt und falls wir irgendwo Polizei oder Militär sehen, unauffällig die Gebäude verlassen.
Innerhalb der Gebäude ist alles voller Trümmer und Schrott, das sieht schlimmer aus als bei ‘The Walking Dead’, außerhalb allerdings macht die Stadt, auch bedingt durch das tolle Wetter, einen eher harmlosen, verwunschenen Eindruck. Eine seltsame, aber eben nicht unangenehme Atmosphäre. In manchen der besuchten Gebäude finden wir dann aber immer wieder Szenen vor, die uns schlucken lassen, z.B. herumliegende Kinderschuhe, einen riesigen Haufen Gasmasken, etc.
Wir verlassen dann Prypiat und fahren zurück zum Hotel. Als wir die 10km-Zone verlassen, müssen wir alle eine seltsame Apparatur passieren, die uns angeblich nach Strahlung checkt. Wir bekommen alle ein ‘OK’ und ich bin mir ziemlich sicher, dass das nur zur Beruhigung der Touristen dient und nicht wirklich irgendwas misst.
Im Hotel wird dann Abendessen serviert, danach rücken wir die Tische zusammen und bestellen Bier. Leider (oder zum Glück) macht in Tschernobyl alles um 22h dicht, so dass wir dann alle relativ nüchtern ins Bett kommen.
Samstag, 02.05.2015
Nach dem Frühstück fahren wir wieder in die 10km-Zone. Der erste Programmpunkt ist etwas zwiespältig, wir besuchen ein altes Ehepaar, die knapp zwei Jahre nach der Katastrophe illegal in ihr altes Haus zurückgekehrt sind und seitdem ununterbrochen dort leben. Dabei handelt es sich übrigens um genau jene Maria und Iwan, die auch in der hier besprochenen Doku auftauchen. Die Regierung duldet diese Leute und seit einigen Jahren haben sie auch offiziell die Erlaubnis, sich dauerhaft in der Zone aufzuhalten, so bekommen sie eine Rente und werden zumindest notdürftig medizinisch versorgt.
Nun ist es für die beiden über 70jährigen natürlich ein großes Glück, dass der Kontakt zu Dominik besteht, denn so erhalten sie regelmäßig Spenden von den Touristen und sie werden von Dominik und seinen Leuten mit Medikamenten und Lebensmittel versorgt. Der Besuch hat allerdings mehr was von einem Menschenzoo und ich fühle mich extrem unwohl dabei. Die alte Frau, Maria, ist sehr zurückhaltend, ihr Mann Iwan freut sich aber offensichtlich über die Gesellschaft und redet am Stück ohne Punkt und Komma. Er war in den 80ern bei der Sicherheit des Kraftwerks beschäftigt und erzählt uns, wie er sich sämtliche Materialien, aus denen er ihr Haus gebaut hat, aus Kraftwerksbeständen zusammengeklaut hat.
Darüber, wie die beiden den Tag des Unglücks erlebt haben, erzählt er nichts. Ja, es sei schon recht einsam alleine, aber dafür leben sie in ihrer Heimat in ihrem eigenen Haus, außerdem komme der Sohn regelmäßig zu Besuch und da seien ja auch noch die Touristen. Er führt uns rum, zeigt uns stolz ihr Schwein, sein 40 Jahre altes Auto (was er uns zum Verkauf anbietet), den Hühnerstall usw. usw. Alle Gebäude hat er selbst errichtet. Zurzeit macht ihm sein Bein Probleme, deswegen kann er nicht so arbeiten wie er möchte und ist nicht ausgelastet, weswegen er seiner Frau auf die Nerven geht.
Wir sind sehr beeindruckt und organisieren eine Sammlung, damit die Gruppe den beiden eine dicke Spende dalassen kann.
Nach einem kurzen Stop bei einer Feuerwehrstation fahren wir etwa 20km weiter zu einem weiteren Highlight. Es ist bekannt, dass die Stadt Prypiat Ende der 60er Jahre gemeinsam mit dem Kraftwerkskomplex neu errichtet wurde, weniger bekannt ist die Tatsache, dass gleichzeitig etwa 6km südwestlich vom Kraftwerk eine geheime militärische Anlage namens Tschernobyl-2 gebaut wurde. Es handelt sich dabei um den Sender eines Überhorizontradars, der Empfänger war etwa 60km entfernt aufgebaut. Es wurde ein extrem leistungsstarkes kurzfrequentes Signal ausgesandt, welches, von der Ionosphäre reflektiert, einmal um den Erdball kreiste und dann vom Empfänger aufgenommen wurde. Damit sollten amerikanische Raketenbasen überwacht werden, was während der gesamten Betriebszeit von 1976 bis 1989 nie richtig funktioniert hat. Das Projekt trug den Namen Duga-3, im Westen auch ‚Moscow Eye‘ benannt. Die Sendeanlage, die wir besuchen, verbrauchte bis zu 30% der gesamten Leistung des Kernkraftwerkes. Da das Signal mit einem charakteristischen Hämmern weltweit den Funkverkehr störte, wurde es unter Amateurfunkern auch ‚Russian Woodpecker‘‚ genannt.
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