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Am 16. Juli 1994 schlug der Komet Shoemaker-Levy 9, nachdem er zuvor in mehrere Stücke zerbrochen war, mit der Wucht von 50 Millionen Hiroshima-Bomben auf dem Jupiter ein. Die dunklen Flecken, die er dabei in der Atmosphäre hinterließ hatten den Durchmesser der Erde. [
Dieser Einschlag zeigte auch Auswirkungen auf der Erde, und zwar so: Ein winziger Bruchteil der von der Sonne kommenden Photonen wurde von den Kometenbruchstücken und den Turbulenzen der Atmosphäre in Richtung Erde reflektiert. Wiederum ein winziger Bruchteil davon fiel nach ca. 40 Minuten auf den 12 Zoll Spiegel eines Newton Teleskops und über den Fangspiegel, das 6,5 mm Okular, die Linse und den Glaskörper des Auges auf die Netzhaut des Astrophysikers F.F. Über die Synapsen der Stäbchen wurden Signale in das gigantische neuronale Netz des Gehirns (ca. 100 Milliarden Neuronen verbunden durch mehr als 5 Millionen Kilometer Nervenbahnen) weitergegeben. Eine Stunde lang hielt die Bombardierung der Netzhaut mit den Jupiter Photonen an, während dessen Wellen und Muster von Nervensignalen zwischen den Neuronen im Millisekundentakt hin und her schossen. Schließlich bewirkten Signale auf den Motoneuronen Muskelkontraktionen in Armen und Beinen des Physikers und lenkten seinen Körper, rückgekoppelt durch das visuelle und das vestibuläre System, die Treppe hinunter und platzierten ihn auf dem Stuhl vor dem Computer. Muskelkontraktion in Armen, Händen und Fingern betätigten die Tasten der Tastatur. Dadurch ausgelöste Spannungsänderungen auf den entsprechenden Leitungen erreichten den Mikroprozessor und bewirkten Ladungsänderungen in den mikroskopisch kleinen Kondensatoren der Speicherbausteine und Änderungen in der Magnetisierungsrichtung winziger Eisenoxid Teilchen der Festplatte. Schließlich erreichten Signale den angeschlossenen Drucker und während der Überlagerung der horizontalen Bewegung des Druckkopfes und der vertikalen Bewegung des Papiers wurden Picoliter große Tröpfchen schwarzer Tinte auf das Papier gespritzt und erzeugten dort ein charakteristisches Muster.
So weit, so bizarr, die Schilderung eines Ereignisses vom nicht intentionalen Standpunkt aus. Vom intentionalen Standpunkt aus gesehen, würde die Geschichte sich vielleicht so anhören:
Aufgeregt erwartete der Astrophysiker F.F. den Abend des 16. Julis, für den der Einschlag des ersten Teilstücks des Kometen auf dem Jupiter vorhergesagt war. Die Meteorologen versprachen einen wolkenlosen Himmel und für eine Stunde um Mitternacht herum sollte Jupiter trotz der hellen Nacht mit dem neuen Newton Teleskop ganz gut beobachtbar sein. Zwar waren viele bessere Teleskope auf der Erde und sogar das Hubble-Weltraumteleskop auf den Jupiter gerichtet, aber so ein Ereignis gibt es nur einmal im Leben eines Astronomen und das wollte er unbedingt live erleben. Wenn die Einschlagstelle auch kleiner als ein Jupiter-Mond-Schatten war, so war sie doch deutlich zu sehen. Von den Bildern beeindruckt setzte er sich an den Computer und schrieb sogleich einen Blogeintrag. Die Formulierungen gingen ihm diesmal leicht von der Hand. Er druckte den Text noch aus und legte ihn auf den Küchentisch, so dass seine Freundin ihn beim Frühstücken lesen würde. Dann ging er ins Bett, konnte aber noch lange nicht einschlafen.
Den intentionalen Standpunkt nimmt man ein, wenn man Menschen (oder Tieren oder Naturereignissen) eine Absicht, ein Ziel unterstellt. Wir tun das natürlich ständig, früher haben die Menschen auch Wetterereignissen wie Blitz und Donner oder Erdbeben auf die Intentionalität eines Gottes oder Geistes zurückgeführt.
Es ist schwer vorstellbar, wie sich der freie Wille Geltung verschaffen kann, wenn unser Verhalten vom physikalischen Gesetz bestimmt wird. Daher hat es den Anschein, dass wir lediglich biologische Maschinen sind und dass der freie Wille nur eine Illusion ist. schreiben Stephen Hawking und Leonard Mlodinow in dem Buch Der große Entwurf.
Der freie Wille ist nur eine Illusion? Hier irren die beiden großen Physiker und zwar aus folgendem Grund: Illusion geht nicht ohne Bewusstsein, und Bewusstsein geht nicht ohne freien Willen, und letzterer wird in der gleichen Aussage negiert, also eine klassische Antinomie (Widerspruch in sich selbst).
Das Argument jetzt etwas ausführlicher: Illusion ist die Täuschung eines Bewusstseins. Einer Stubenfliege wird man kaum eine Illusion unterstellen, einem Computer schon gar nicht. Nur ein Bewusstsein hat eine Illusion.
Bewusstsein ist die Voraussetzung für den freien Willen: Wikipedia definiert ihn u.a. so:
die menschliche Fähigkeit, bei verschiedenen Wahlmöglichkeiten eine bewusste Entscheidung treffen zu können. Wir brauchen aber die andere Richtung: der freie Wille ist die unabdingbar für das Bewusstsein. Das zeige ich mit einem Widerspruchsbeweis. Betrachten wir dazu den inneren Monolog eines Bewusstseins ohne freien Willen: Gestern war Wahl. Natürlich bin ich hingegangen. Ich ahnte bereits, dass ich diese Populisten wählen wurde, wie ärgerlich! Aber ich hatte ja keine andere Möglichkeit: die Hand griff nach dem Stift und machte das Kreuz bei diesen Idioten! Am liebsten hätte ich gar nicht hingeschaut, aber ich kann ja nicht mal die Blickrichtung der Augen beeinflussen. Es ist schon eine Qual das Bewusstsein eines Körpers zu sein, auf den man keinen Einfluss hat. Es ist nicht nur eine Qual, sondern eine Absurdität. Die Evolution hätte solch ein energieverbrauchendes Artefakt längst beseitigt, bzw. es wäre natürlich gar nicht erst entstanden. Bewusstsein und freier Wille sind zwei Seiten einer Medaille.
Natürlich gibt es für freier Wille und Bewusstsein keine harten Definitionen, und natürlich meint Hawking das richtige und führt es auch im nachfolgenden Text entsprechend aus. Meine Kritik ist nur eine sprachliche. Trotzdem finde ich sie wichtig, um diese immer wiederkehrenden Missverständnisse auszumerzen. Die korrekte Aussage wäre: Im nicht-intentionalen Modell gibt es keinen freien Willen. Andererseits gilt auch die Aussage: Im intentionalen Modell gibt es denn freien Willen, ja er ist definitionsgemäß dessen Voraussetzung.
Aber welches Modell ist jetzt das richtige? Modelle in der Physik und in der Naturwissenschaft sind nicht richtig oder falsch, sie sind gut oder schlecht. Gut ist ein Modell, wenn es Vorhersagen macht, die überprüfbar und richtig sind.
Die Psychologie ja, sie ist in neuerer Zeit wirklich zu einer Wissenschaft geworden verwendet das intentionale Modell und erreicht damit, zumindest statistisch gesehen, gute Vorhersagen. Alles andere wäre ja auch absurd, die Komplexität eines Bewusstseins ist um viele Größenordnungen zu komplex, um Gesetzte oder Modelle dafür aufzustellen. Und es ist nicht vorstellbar, wie der Zustand eines Bewusstseins, sprich aller Neuronen und chemischer Substanzen eines Gehirns, gemessen werden kann, ohne gleichzeitig Einfluss auf dieses Bewusstsein zu nehmen.
Dennett sagt in etwa: es gibt einen freien Willen, es ist nur nicht das, was du dir darunter vorstellst. Wir dürfen nicht in einer Argumentation zwischen den Modellen hin und her springen. Und es ist irrwitzig, das nicht-intentionale Modell zur Beschreibung des Verhaltens von Menschen zu verwenden. Wenn wir von Illusion sprechen, dann verwenden wir das intentionale Modell, und in diesem Modell gibt es auch den freien Willen.
Die Fortschritte der Informatik und insbesondere der künstlichen Intelligenz werden unser Denken und unseren Standpunkt so verändern, dass wir in 50 Jahren nicht mehr verstehen, wo die Probleme und Fragen zu Bewusstsein und freiem Willen eigentlich lagen. Wir werden keine Erklärung des Bewusstseins haben, sondern erkennen, dass es keine Erklärung braucht.
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Hinweis zum Autor: Der Artikel wurde von “Gerhard” geschrieben.
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