Seit Martins Pensionierung, er war dann ja bald nach Griechenland gezogen, “die Rente reicht hier einfach weiter, und das Wetter”, klar, das Wetter, hatten sie sich gar nicht mehr gesehen. Außer an Bildschirmen natürlich. Und nun stand er hier am Urnengrab, einziger Besucher aus der deutschen Heimat, und beobachtete, wie die Urne in ihr Erdloch sank. Und vermutlich wußte niemand von den acht Personen am Grab, daß die Urne in Wahrheit leer war. Und wo die Asche wirklich war.
Der Job war natürlich an ihm hängengeblieben. An wem auch sonst, Kinder hatte Martin nie gehabt, und seine Exfrauen? Pfft. Als ob die einen Finger rühren würden. Waren ja nicht mal hier, das sagte ja eigentlich alles. Nein, die ganzen Behördengänge, E-Mails und lustigerweise auch immer noch Einschreibebriefe, die Übersetzungs- und Beglaubigungskosten für die Vollmachten, das war alles Teil des letzten Freundschaftsdienstes. Er warf einen Blick auf seine Smartwatch. Gleich würde es soweit sein. Er hob den Blick, richtete ihn nach Osten. Wartete.
Natürlich konnte er den Start nicht sehen. Wostotschny war fast auf der anderen Seite der Erde. Aber hinsehen mußte er trotzdem, nur gelegentlich auf der Smartwatch überprüfend, ob der Countdown noch lief. Jetzt war es soweit. Jetzt flog Martins Asche in den Weltraum. Dort wartete die WSS New Horizons … nein, nicht auf Martins Asche, aber auf einen der letzten Versorgungsflüge von der Erde, bevor sie sich auf den Weg machen würde zu Gliese 581d, dem derzeit besten Kandidaten für eine Erde 2.0. Mitfliegen, also als Mensch und nicht als Asche, war natürlich nie in Frage gekommen, nicht in seinem Alter — aber immerhin hatte Martin es noch erleben dürfen, wie dieser wahrscheinlich habitable Planet entdeckt wurde, angezweifelt und wieder entdeckt, wie man immer mehr über ihn herausgefunden hatte und alles davon gut klang, und wie man letztlich die New Horizons entwickelt und im Orbit gebaut hatte. Und sein Erbe hatte sogar für das Ticket gereicht, das seine Asche natürlich brauchte für den Platz im Laderaum. Zusammen mit ein paar tausend anderen “Urnen”, eigentlich nur dünnen Plastiksäckchen, deren Inhalt dann in ein paar hundert Jahren auf einer fremden Welt verstreut werden würde.
Roger wurde bewußt, daß er seit Minuten allein auf einem Athener Friedhof stand und mit tränenden Augen in den östlichen Himmel starrte. Nun gut, dachte er, auf einem Friedhof hat man ja weitgehende Narrenfreiheit, und wischte sich die Tränen vom Gesicht. Aber es wurde trotzdem Zeit zu gehen. Auf dem Parkplatz wehte der Wind ihm die Titelseite der Ελεύθερος Τύπος vor die Füße, einer der wenigen Zeitungen, die hier noch auf Papier gedruckt erschienen. Er konnte kaum Griechisch, nur was man so an der Laderampe braucht, aber das Bild von Panzern vor brennenden Gebäuden und das Wort “Βειρυτ” konnte er auch im fremden Alphabet erkennen. Machs gut, alter Freund, dachte er sich. Warst wohl doch du der kleinere Optimist von uns beiden.
————————————————-
Hinweis zum Autor: Der Artikel wurde von “Erik” geschrieben.
Kommentare (22)