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Elektronen, die Aufzug fahren? Noch nie gehört? Dann bist du hier genau richtig! Denn in diesen Elektronen, von denen im Folgenden die Rede sein wird, steckt eine Menge Information, die sich die Wissenschaft zum Nutzen macht. Doch fangen wir von vorne an:
Jeder hat sicherlich schon einmal von der bekannten C-14 Datierung gehört oder sogar in der Schule lernen müssen. Dabei kann man aus dem Zerfall des Isotops C-14 des Kohlenstoffatoms die verstrichene Zeit seit dem Absterben des organischen Materials bestimmen. Aber nicht überall, wo man Altersdatierung durchführen möchte, ist organisches Material zu finden.
Man bräuchte also ein Material, das sehr häufig auf der Erde vorkommt. Silizium ist eines davon, denn es ist nach Sauerstoff, wenn man nur den Massenanteil betrachtet, das zweithäufigste Element der Erdhülle und in vielen chemischen Verbindungen vorhanden. Quarze, die die chemische Formel SiO_2 (man erkennt darin das Element Silizium „Si“) besitzen, und Feldspäte sind sowohl in vielen Festgesteinen (z.B. Granit), als auch in Lockersedimenten (z.B. Sand) oder in archäologischen Fundstücken (z.B. Keramik) vorhanden und somit bestens zur Datierung geeignet, da vielseitige Probennahmen möglich sind, aus denen das Alter datiert werden kann. Gleich an dieser Stelle ist es wichtig zu erwähnen, dass, obwohl man immer von Quarz (SiO2) schreibt, immer auch Verunreinigungen bei der Kristallbildung mit eingeschlossen werden und somit auch andere Elemente mit in den Kristall verbaut werden können. Diese sind sehr wichtig, denn sonst würde man keinerlei Datierung durchführen können. Dazu aber später mehr.
Wo bleiben jetzt aber die Aufzugfahrenden Elektronen und was hat das mit einer Zeitmessung zu tun?
Dazu muss man die oben genannten Mineralien Quarz und Feldspat mal etwas genauer betrachten. Beide sind elektrisch nichtleitende Festkörper und in der Festkörperphysik gibt es ein berühmtes „Bild“ für diese Materialien, das sogenannte Bändermodell, das in folgender Abbildung 1 dargestellt ist.
Diese Abbildung enthält gleich vier kleinere Bilder, die nun im Folgenden erklärt werden müssen.
Ganz allgemein gilt, wenn man vom Bändermodell spricht, dass nichtleitende Festkörper ein sogenanntes „Valenzband V“ (in grün gezeichnet) besitzen. Das ist das bei einer bestimmten Temperatur energetisch höchste von Elektronen vollständig besetzte Band. Im Gegensatz dazu gibt es auch ein Leitungsband, das jedoch energetisch am niedrigsten völlig unbesetzt ist mit Elektronen. Dazwischen gibt es eine „Lücke“, auch verbotene Zone genannt. In idealen, perfekten Kristallen ist es Elektronen verboten sich darin aufzuhalten.
Man kann sich das ungefähr so vorstellen wie in einem vierstöckigen Hochhaus: Das Erdgeschoss ist bewohnt von Hr. und Fr. Elektron während in der ersten und zweiten Etage garkeine Wohnungen vorhanden sind. Erst wieder in der dritten Etage ist eine Wohnung, die jedoch leer steht.
Jetzt gibt es in der Natur jedoch keine perfekten Kristalle und wie oben schon beschrieben gibt es immer Verunreinigungen, welche innerhalb der Bandlücke zu neuen Energieniveaus führen. Diese sind in Abbildung 1 in Teilbild 1 eingezeichnet. Damit gibt es nun auch in der eigentlich verbotenen Zone die Möglichkeit, dass sich Elektronen dort aufhalten können.
Mit dem Bild des Hochhauses gesprochen sind nun also auch in der ersten und zweiten Etage Wohnungen vorhanden, deren Vermieter quasi die Verunreinigungen sind.
Erinnern wir uns wo wir Quarze und Feldspäte finden: Sie sind in allen möglichen Gesteinen vorhanden, wo sich auch jede Menge andere Elemente befinden, z.B. Uran und Thorium und vor allem Kalium. Das sind Elemente, die durch \alpha, \beta und \gamma Zerfall eine schwache, ionisierende Strahlung aussenden. Eine andere mögliche Quelle für energetische Strahlung ist die kosmische Höhenstrahlung. All das kann auf unser betrachtetes System und damit auf unsere Elektronen einfallen. Nochmals veranschaulicht zeigt diesen Zusammenhang Abbildung 2:
Was passiert dabei nun genau?
Jede der eben beschriebenen Strahlungen kann dazu führen, dass den Elektronen, die sich ja im Valenzband befinden, soviel Energie zugeführt werden kann, dass diese die verbotene Zone überwinden können und ins Leitungsband gehoben werden können. Wenn das passiert, dann lassen sie im Valenzband aber ein sogenanntes „Loch“, ein Quasiteilchen, zurück, das positiv geladen ist und sich nun im Valenzband bewegen kann (Abbildung 1 Teilbild 2). Ich spreche immer so, als sei völlig klar, wo im Kristall sich das Elektron und wo sich das Loch befindet. Quantenmechanisch betrachtet lassen sich freie Elektronen und Löcher aber nicht genau lokalisieren, sondern es lassen sich, ausgehend von ihren überlappenden Wellenfunktionen, nur gewisse Aufenthaltswahrscheinlichkeiten angeben.
Wieder im Bild unseres Hochhauses gesprochen ist nun also folgendes möglich: Hr. Elektron fährt quasi mit dem Aufzug vom Erdgeschoss direkt in die dritte Etage und lässt sein Gegenstück, Fr. Elektron, im Erdgeschoss zurück. Beide können sich in ihrem Stockwerk frei bewegen, wissen jedoch nicht gegenseitig wo genau sie sich gerade genau befinden.
Nun kann es jedoch vorkommen, dass die neuen Wohnungen in der ersten Etage für Fr. Elektron so attraktiv erscheinen, dass sie diese vom Erdgeschoss aus mit dem Aufzug besucht. Ebenso ist es möglich, dass die neuen Wohnungen in der zweiten Etage für Hr. Elektron so verführerisch sind, dass er mit dem Aufzug in die zweite Etage hinab fährt. Wie das so ist kann man unterschiedlich lange in fremden Wohnungen bleiben und somit dort verweilen. Und oft ist eine Menge an Energie und Aufwand nötig, um die Besucher aus den Wohnungen im ersten bzw. zweiten Stock wieder loszuwerden.
Genauso ist es nun auch in unserem Bändermodell: Die Elektronen können vom Leitungsband aus in Energieniveaus knapp unterhalb des Leitungsbandes eingefangen werden und hier für teilweise sehr lange Zeiten aufbewahrt werden. Dies hängt damit zusammen wie weit diese Elektronenfalle vom Leitungsband entfernt liegt und wie oft sich das Elektron versucht aus dieser Falle zu befreien.
Ebenso ist es für das Loch möglich knapp oberhalb des Valenzbandes eingefangen zu werden und hier zu verweilen.
Können Elektronen bzw. Löcher sich überhaupt daraus befreien? Ja, wenn wieder Energie zugeführt wird, um es in das Leitungsband zu heben. Von dort hat es dann die Möglichkeit wieder ins Valenzband zu gelangen oder aber mit einem Loch, das sich seinerseits in einer Lochfalle (Analogon zur Elektronenfalle und damit näher am Valenzband) befindet, zu rekombinieren (Abbildung 1, Teilbild 4).
Und genau diese Rekombinationen sind es nun das, die uns interessieren, denn beim Rekombinieren in den Lochfallen entsteht ein typisches Aufleuchten im sichtbaren Bereich, so dass wir dies beobachten können.
Alles was bisher geschrieben wurde ist natürlich nur für ein Elektron und ein Loch repräsentativ. Jedoch gibt es davon natürlich sehr viel mehr in einer Quarzprobe, die zur Datierung hergenommen wird.
Einfach ausgedrückt können wir also davon ausgehen, dass je intensiver das Aufleuchten der betrachteten Probe war, desto mehr Elektronen wurden aus den Fallen herausgelöst. Je mehr Elektronen aber in den Fallen waren, desto mehr Elektronen mussten überhaupt erstmal über das Leitungsband in die Fallen gelangen und damit muss auch das Quarz- oder Feldspatkörnchen länger radioaktiver Strahlung ausgesetzt wesen sein, denn sonst hätten die Elektronen niemals die Energie zugeführt bekommen um überhaupt vom Valenz- ins Leitungsband gehoben zu werden (vorausgesetzt die umgebende Strahlung war über lange Zeit konstant, wovon ausgegangen wird).
Die Energie, die den gefangen Elektronen zugeführt wird um sie aus den Fallen zu befreien, ist beispielsweise Wärme oder Licht. Und genau hier unterscheidet sich dann die Auswertung beziehungsweise das Datierungsverfahren. Denn der Geomorphologe unterscheidet dann zwischen TL, thermischer Lumineszenz, und OSL, optisch stimulierte Lumineszenz. Optisch und thermisch kommt eben von der unterschiedlichen Energiezuführung und Lumineszenz heißt es deswegen, weil bei der Rekombination eben Licht ausgesendet wird.
Soviel zunächst zu Hr. und Fr. Elektron, die getrennt Aufzug fahren in ihrem Haus und je nachdem wie attraktiv die anderen Wohnungen im Haus sind dort unterschiedlich lange verweilen, aber auch wieder davon gelöst werden können und dann Auskunft geben über die Dauer ihres Aufenthalts.
Ich hoffe dieser Blogeintrag hat euch einen kleinen Einblick in die prinzipielle Funktionsweise der Lumineszenzdatierung gegeben. In weiteren Blogeinträgen wird darauf noch ausführlicher eingegangen und verschiedenste Techniken vorgestellt, denn bisher wissen wir zwar die grundsätzliche Physik hinter dieser Datierungstechnik, aber noch nicht wie daraus jetzt genau ein Alter errechnet werden soll.
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Hinweis zum Autor: Ich heiße Johannes und habe Physik, Geographie und Mathematik studiert und arbeite derzeit an meiner Doktorarbeit im Bereich der Geomorphologie.
Dieser Blogeintrag soll euch deshalb auch die Welt der Geomorphologie und Geophysik näherbringen. Was macht man als Geomorphologe? Für was können die Ergebnisse verwendet werden?
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