Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2015. Hinweise zum Ablauf des Bewerbs und wie ihr dabei Abstimmen könnt findet ihr hier. Informationen über die Autoren der Wettbewerbsbeiträge findet ihr jeweils am Ende der Artikel.
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Werde Psychopath, es lohnt sich! Laut diesen Buchtipps. Fast ein Viertel meiner Online-Community hat jedenfalls psychopathische Züge.
Ich habe meine Online-Community auf ein spezifisches Merkmal von Psychopathen getestet – ohne sie darüber zu informieren, dass es sich um ein solches handelt. Genau genommen, erfahren die Teilnehmer und auch ihr erst durch diesen Blogpost, was hinter meinem kleinen Experiment steckte. Und welche Buchtipps ihr beherzigen könnt, um mehr darüber zu erfahren. Denn das könnte sich für das eigene Leben auszahlen.
Der Psychopath und sein Imagewandel
Wohl keine schwere Persönlichkeitsstörung hat in den letzten Jahren einen derartig eindrucksvollen Imagewandel vollzogen wie die Psychopathie. Auch wenn wir Psychopathen längst nicht uneingeschränkt bewundern, finden sie doch bei größer werdenden Teilen der Bevölkerung Zuspruch. Man begreift: Sie sind unter uns, und nicht jeder von ihnen ist ein Verrückter, der munter drauflos tötet. Stattdessen handelt es sich um kühle Tatmenschen, die die Mittel wählen, die ihren Zwecken, welche auch immer das sind, entsprechen, und alles andere ausklammern.
Die Veränderung des Bildes, das wir uns von Psychopathen machen, ist vor allem das Verdienst des Oxforder Psychologie-Professors Kevin Dutton. In zwei Büchern popularisiert er Psychopathen als ambivalente Zeitgenossen, die zwar einerseits für eine kalte, skrupel- und emotionslose, auch unter Druck zielfixierte Brutalität ohne Reue stehen, andererseits aber mit genau diesen Eigenschaften über ein charakterliches Reservoir verfügen, das uns, maßvoll dosiert, dem Erfolg im Leben allgemein näherbringt.
Im Jahr 2013 erschien „Psychopathen. Was man von Heiligen, Anwälten und Serienmördern lernen kann“, im Jahr 2015 legte Dutton mit „Der gute Psychopath in dir. Entdecke deine verborgenen Stärken!“ provokativ nach.
Merkmale eines Psychopathen
Psychopathen kennen keine oder kaum Skrupel und Angst. Sie haben ein hohes Selbstvertrauen und sind impulsiv. Dabei bleiben sie auch unter hohem Druck cool – eine grandiose mentale Härte zeichnet sie aus bei gleichzeitig verminderter Empathie und Reue. Mit Charme und Charisma erobern sie die Menschen und bringen sie dazu, ihnen zu vertrauen und das zu tun, was sie wollen. Psychopathen können sich auf eine Aufgabe fokussieren und alles andere ausblenden, vor allem für den Erfolg irrelevante Nebensächlichkeiten wie womöglich verletzte Gefühle anderer Menschen.
An einer Stelle wird mein Haus- und Hofphilosoph Friedrich Nietzsche mit einem Satz zitiert, der in diesem Kontext leicht frösteln macht: „Die großen Epochen unseres Lebens liegen dort, wo wir den Mut gewinnen, unser Böses als unser Bestes umzutaufen.“
Ein psychologisches Experiment
Dutton verweist in seinem zweiten Buch zu Anfang des Kapitels 4 „Tun Sie es einfach“ auf ein psychologisches Experiment, dessen Herkunft ich leider nicht ermitteln konnte und dessen konkrete Ergebnisse mir ebenfalls nicht bekannt sind – angeblich ist es als „Wolfs Dilemma“ eine Unterform des bekannten Gefangenendilemmas.
(Hinweis: In diesem Buch, Fischer Taschenbuch, März 2015, wird das Gefangenendilemma in Reinform auf Seite 286 in einer Tabelle dargestellt. Diese Tabelle dürfte falsch sein, wenn ich das richtig sehe: Die Inhalte aus den Feldern links unten und rechts oben müssten vertauscht werden.)
Hier das Experiment:
20 Einzelkabinen stehen nebeneinander. Du kommst in eine dieser Kabinen, die Tür hinter dir wird geschlossen. Du siehst einen großen roten Knopf. Du musst 10 Minuten in der Kabine bleiben, ohne den Knopf zu drücken. In den restlichen 19 Kabinen sind ebenfalls Menschen in der gleichen Situation wie du. Wenn nach 10 Minuten keiner von den 20 Teilnehmern den Knopf gedrückt hat, bekommt jeder 10.000 Euro. Wenn jemand vorher drückt, bekommt diese Person 2.500 Euro. Das Experiment ist dann sofort beendet, die anderen bekommen exakt nichts. Die Zeit läuft, wenn der rote Knopf aufleuchtet.
Was tust du, wenn der Knopf leuchtet?
Ohne einzelne Zahlen zu nennen, behauptet Dutton, dass die meisten Menschen den Knopf nicht drücken würden.
Tja, und genau das wollte ich herausfinden.
Das Experiment selber durchgeführt
Ich stellte meiner (Online-)Community diese Frage zur anonymen Abstimmung im Netz und in persönlichen Gesprächen, etwa auf Partys. Mit der leichten Abwandlung, dass die Teilnehmer nicht 10, sondern 30 Minuten aushalten müssen. Den Hintergrund nannte ich den „Probanden“ nicht, um sie nicht zu beeinflussen.
Es darf angenommen werden, dass bei einer 10-minütigen und damit geringeren Laufzeit noch weniger Menschen den Knopf drücken würden als bei meinem Szenario, da mit zunehmender Wartezeit das Risiko steigt, dass jemand nervös wird und davon ausgeht, dass genau das auch anderen passieren wird.
Dieses Experiment zeigt besonders gut, wie Psychopathen ticken. Nicht nur würden sie den Knopf drücken. Sie sind auch besonders schnell darin, diese Entscheidung zu treffen und umzusetzen. Wenn jemand den Knopf drückt, ist er noch lange kein Psychopath – diesen Hinweis schicke ich dem Bekenntnis voraus, dass ich selbstverständlich drücken würde. Sobald ich die Regeln gelesen/gehört hätte, wüsste ich, dass ich in der Sekunde drücke, in der der Knopf leuchtet und das Spiel beginnt. Denn ich halte die Wahrscheinlichkeit, dass unter den restlichen 19 Teilnehmern einer ist, der drückt – und sei es nur, weil er davon ausgeht, dass ein anderer drückt – für sehr hoch.
Diese Einstellung empfand ich als unmittelbar einleuchtend und glaubte mich, trotz der Behauptung in Duttons Buch, dass die meisten Menschen nicht drücken, im gemütlichen Hafen der Mehrheit. Bis ich meine kleine Test-Umfrage startete.
Hier sind die Ergebnisse
(Sagenhafte) 34 Menschen nahmen an meiner nicht-repräsentativen, aber netten Online-Umfrage teil.
Eine klare Mehrheit von 76,5 % (26) würde den Knopf nicht drücken.
Lediglich 23,5 % (8) drücken den Knopf.
Wie gesagt, ich denke, wenn die Wartezeit, um die es ging, nicht 30, sondern nur 10 Minuten betragen hätte, hätten sicherlich noch weniger gedrückt. Aber auch so finde ich das Ergebnis, das sich mit zusätzlichen persönlichen Umfragen deckt, erhellend.
21 Teilnehmer gaben Begründungen für ihre Entscheidung an. Interessant ist am Rande, dass die Quote derjenigen, die Begründungen für ihr Verhalten nannten, bei den Nicht-Drückern und Drückern ähnlich hoch ist, nämlich jeweils knapp über 60 %.
Die Begründungen im Einzelnen
Nicht-Drücker:
„Rote Knopffarbe signalisiert Gefahr, und ich bin menschlich so gestrickt, erst zu warten und dann zu reagieren, wenn Sicherheit naht.“
(Die für mich originellste Begründung)
„Ich möchte nicht schuld daran sein, dass alle anderen keine Chance auf 10.000 Euro haben.“
„Wenn jeder über die 10.000 Euro informiert wurde, dann klappt es.“
„Ich vertraue darauf, dass jeder andere für alle 10.000 Euro erspielen möchte.“
„Gleiches Recht für alle, so egoistisch bin ich nicht. Wenn jemand anderes den Knopf drückt, dann ist das Pech. So ist das Schicksal, es ist nur ein Spiel.“
„2.500 € ist mir in Relation zu 10.000 € zu wenig. Außerdem vertraue ich der Gruppe.“
„Ich glaube an das Kluge im Menschen.“
„Hoffnung auf höheren Gewinn, auch Fairness.“
„So hat jeder die Chance, Geld zu gewinnen.“
„Ich brauche das Geld nicht, wenn ich dafür meine Integrität verliere.“
„Ich vertraue darauf, dass auch die anderen nicht drücken.“
„Dies ist ein klassisches Beispiel des Prisoners Dilemma. Auch wenn das Risiko besteht, dass alle außer einer Person leer ausgehen, ist es faktisch für alle schlauer, nicht zu drücken und 10.000 zu kassieren. Ich hoffe einfach, dass alle so schlau sind.“
„10.000 sind mehr als 2.500.“
„Aus moralischen Gründen gebietet der Kategorische Imperativ ein Abwarten, unter Nützlichkeitsgesichtspunkten gebietet es die Intelligenz, unter sozialen Gesichtspunkten die Solidarität.“
„Alle wollen den höheren Betrag und werden nicht drücken.“
„Hoffnung stirbt zuletzt.“
Zusammenfassung:
Man hofft auf das Gute im Menschen und will sich in die Augen gucken können, also ethisch einwandfrei handeln. Außerdem setzt man auf die Gier nach 10.000 Euro bei allen.
Drücker:
„Jeder ist sich selbst der nächste und ich kenne viel zu viele Menschen, die den Knopf sofort nach Betreten der Kabine drücken.“
„Kein Vertrauen in die anderen.“
„Da es Fremde sind: Bevor es jemand anderes tut, drücke ich, dann habe ich wenigstens etwas.“
(Anmerkung: Ich hatte betont, dass die Teilnehmer einander nicht kennen. Das schien mir relevant und selbstverständlich zu sein, ging aber aus Duttons Beschreibung nicht hervor.)
„Dann bleibt wenigstens etwas Geld.“
„Egoismus ist bei mindestens einer der Personen einen starke Triebfeder.“
Zusammenfassung:
Hier findet sich das Gegenteil: Das Schlechte im Menschen, vor allem bei der Menge von Menschen, wird angenommen.
Und jetzt habe ich eine abschließende Frage an dich:
Was hättest du getan, den roten Knopf gedrückt oder nicht gedrückt? Schreibe es mir gerne in die Kommentare. Ich freue mich auf dein Feedback!
Mehr über Kevin Duttons Bücher, Psychopathen und ihre Merkmale in meinem Blog.
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Hinweis zum Autor: Dieser Artikel wurde von “Alex” geschrieben: “Auf meinem Blog www.buzznews.de gebe ich Buchtipps zu Lebensthemen und philosophischen Inspirationen: Neuerscheinungen, Bestseller, Geheimtipps. Ich beantworte dabei eine Frage: Was hat das jeweilige Buch mit deinem Leben zu tun?
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