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Wann immer wer mich fragt, was ich denn beruflich mache, wird es etwas kompliziert. Die Antwort lautet nämlich: “Ich bin Mikropaläontologe.”
“Mikro… was?” und ein konsterniertes Gesicht des Fragers.
Okee, dann Schritt für Schritt:
“Paläontologen, das sind Leute die sich mit Dinosauriern und so beschäftigen.” Meist erleichtertes Aufatmen meines Gegenübers, weil Dinosaurier kennt ja jeder, zumindest so ein bißchen. “Aber ich persönlich finde Dinosaurier langweilig und arbeite deswegen mit ganz kleinen Meereslebewesen, genauer gesagt mit Foraminiferen.” Danach kommt meistenens ein “Aha, achso”, und wenn mein Gespächspartner dann noch nicht aufgegeben hat, folgt noch ein “Kann man damit denn Geld verdienen?” und das war es dann. Mikropaläontologen gibt es halt nicht viele in Österreich und die Leute die sich mit Foraminiferen beschäfigen, kann man an zwei Händen abzählen. Wir sind nunmal Exoten.
Was sind denn nun Foraminiferen. Da halte ich mich mal an Bömmel aus der Feuerzangenbowle: “Da stelle mer uns janz dumm. Und da sage mer so.” Foraminiferen sind winzig kleines Viechzeugs, die im Meer umeinanderwuseln. Und das tun sie seit mindestens dem Neoproterozoikum, also seit mehr als einer guten Milliarde Jahre. Meteoriteneinschläge, Vulkanausbrüche, Klimawandel etc. störten sie nicht wirklich. Zähe kleine Biester!
Um es mal wissenschaflich exakter auszudrücken, Foraminiferen sind in Wirklichkeit eigentlich gar keine Tiere, sondern amöbenförmige Einzeller. Also eine einzige Zelle sich, die mithilfe ihres Protoplasmas fortbewegt, ernährt oder festheften kann. Foraminiferen besitzen normalerweise ein Gehäuse (das ein- oder mehrkammerig sein kann) das sie selbst herstellen. Meistens ist es aus Kalk, einige Arten kleben (agglutinieren) es sich auch aus anderen Partikeln zusammen.
Anhand dieser unterschiedlichen Gehäusestruktur können Foraminiferen in unterschiedliche Arten eingeteilt werden. Es sind ca. 10.000 Arten bekannt, wovon um die 1.800 fossil sind (d.h. ausgestorben). Es existieren wahrscheinlich noch viel mehr Arten, lebend und fossil, bloß hat sie halt noch niemand gefunden und beschrieben.
Und jetzt muß ich mich doch ein wenig selbst korrigieren, denn manche Vertreter sind nämlich gar nicht so winzig klein. Die größten Brocken werden fast 20 cm groß! Und das ist nach wie vor nur eine einzige Zelle! Diese sogenannten Großforaminiferen beherbergen eine eigene kleine Gärtnerei. Sie besitzen Algen als sogenannte Endosymbionten und ernähren sich durch deren Photosytheseprodukte. (Wer gerne Filmchen guckt, bitteschön Heterostegina, eine Großforaminifere -> https://av.getinfo.de/media/14608?9 )
Aber die sind für meinen Geschmack schon wieder zu groß, ich beschäftige mich tatsächlich mit den kleinen. Eine 1 mm große Foraminifere ist für mich ein Gigant. Normalerweise bewege ich mich in Größen zwischen 65 µm und 300 µm (1 µm entspricht einem tausendstel Millimeter). Damit man sich das mal plastisch vorstellen kann: Ein Kubikzentimeter Sediment (z.B. Ton, Sand, Gatsch) kann hunderte, wenn nicht gar zig tausende Foraminiferen enthalten.
“Meine” Foraminiferen teilen sich auf in benthische und planktische. Benthische Foraminiferen leben auf oder im Meeresboden. Sie können aktiv jagen, weiden oder sich von Detritus (herabrieselnde, zersetzte, organische Partikel) ernähren. Manche können eine erstaunliche Geschwindigkeit an den Tag legen, ganze 12 cm pro Stunde! Finde ich für eine Zelle mit nicht mal 1 mm erstaunlich. Die Foraminiferen kommen vom flachen Strand (da wo es gerade noch ein wenig feucht ist) bis ganz tief hinunter in die marinen Gräben vor. Manche Arten tolerieren Brackwasser (Mischung aus Süß- und Meereswasser), doch die meisten bevorzugen eine marine Umgebung, also reines Salzwasser.
Planktische Foraminiferen leben frei schwebend in der Wassersäule. Sie können nicht aktiv schwimmen sondern werden durch die Wassermassen transportiert. Wenn sie sterben, landen ihre Schalen auf dem Meeresgrund. Ernst Haeckel hat eine wunderschöne Illustraion dazu. https://caliban.mpipz.mpg.de/haeckel/kunstformen/icons/Tafel_002_medium.jpg Alle Abbildungen auf dieser Tafel sind Foraminiferen, das stachelige Etwas in der Bildmitte stellt eine planktische dar. Heutzutage sind ca. 50 verschiedene planktische Arten bekannt, das mag sich nach wenig anhören, aber diese haben eine große Bedeutung als Karbonatproduzenten. Planktische Foraminiferen besitzen nämlich immer Kalkschalen und die Grundstoffe dafür entziehen sie dem Meerwasser.
Fast hätte ich es vergessen, Foraminiferen sind bei ihrer Vermehrung kreativ. Sie können sexuell und asexuell Nachkommen produzieren. Meist lösen sich geschlechtliche und ungeschlechtliche Generationen ab.
Das war jetzt eine ganz kurze Beschreibung der possierlichen “Tierchen”.
Und zu was ist die Beschäftigung damit nun gut?
Erstens kann ich damit normalerweise feststellen wie alt das Sediment ist, in dem ich die Foraminiferengehäuse finde. Manche Arten oder gar Gruppen treten nur in einem bestimmten Zeitabschnitt auf (Leitfossilien – wer es genauer wissen will, schaut hier). Finde ich diese speziellen Arten, weiß ich recht genau in welcher Zeit ich mich befinde. Und es ist schon ein kleiner Unterschied ob es z.B. Kreidesedimente sind (vor dem großen Wumms und den Dinosauriern) oder ob ich mich schon im Miozän befinde (da war es noch einmal richtig kuschelig warm, vor der Eiszeit) oder ob ich mich gar in die Gegenwart verirrt habe.
Weiters kann ich herausfinden wie die damaligen Umweltbedingungen waren. Logischerweise muß damals an dem Ort ein Meer gewesen sein, wie tief dieses war können mir wiederum bestimmte Arten zeigen. Manche kommen ja nur im Flachwasser vor, manche brauchen schon größere Tiefen. Auch Nahrungsangebot oder Salzgehalt kann ich damit ermitteln.
Und das Allergenialste ist, ich kann tatsächlich messen, wie warm oder wie kalt das damalige Meer war. Sogar ziemlich genau bis auf 0,schlag-mich-tot °Celsius.
Die meisten Foraminiferen besitzen ja Kalkschalen (CaCO3), die sie sich selber basteln. In diese Kalkschalen bauen sie Sauerstoff und Kohlenstoff als verschiedene Isotope ( https://de.wikipedia.org/wiki/Isotop ) ein. Aber nicht irgendwie, sondern sie bilden genau die Sauerstoff- und Kohlenstoffisotopie des sie umgebenden Meerwassers in ihren Schalen ab. Diese Verhältnisse kann ich nun mithilfe eines Massenspektrometers messen und mit ein wenig Rechnerei kann ich dann sagen welche Temperatur das Meer damals hatte (sehr vereinfacht ausgedrückt). Wer sich das ganze sehr detailliert für den Sauerstoff geben möchte bitte sehr -> https://de.wikipedia.org/wiki/%CE%9418O .
Geniale kleine Wesen, nicht wahr?
Wie sieht den so ein typischer Mikropaläontologenalltag abseits des Kafeehäferls aus?
Nun, zuerst muss ich mir Proben besorgen, entweder selbst im Gelände oder schon existierende, die darauf warten bearbeitet zu werden. Das können Bohrkerne sein, oder aber auch einfach Gatsch oder Sand in Plastiksackerln. Der Bohrkern wird dann in kleine Stücke gesägt, geschnitten gehämmert, bei “Gatsch” und Sand entfällt das schon mal. Dann bekommen die Proben ein Wasser- oder H2O2-Bad damit sie sich schön auflösen, denn mit bockharten Klumpen kann ich nichts anfangen. Danach wird geschlämmt (nein, wirklich mit “ä” hat nämlich nichts mit Essen zu tun). Die nun aufgelöste Probe wird nass gesiebt. Die Siebe sind aber keine Haushaltssiebe sondern Spezielanfertigungen, die jede erdenkliche Maschenweite aufweisen können. Ich schlämme meistens mit 250 µm und 65 µm Maschenweite. Unter 65 µm wird die Foraminiferenerkennung auch mit dem Mikroskop zur Qual. Nach dem Trocknen im Trockenschrank geht es zum Auslesen ans Binokular (das heißt ich kann mit beiden Augen durchgucken und sehe alles dreidimensional) und dann werden meine kleinen Lieblinge bestimmt, sprich ich weise ihnen Artnamen zu (im besten Fall, manchmal muß ich auch kapitulieren, weil die Gehäuse zu kaputt sind, was nach zig Millionen Jahren schon mal vorkommen kann).
Habe ich alles bestimmt, und katalogisiert (abzeichnen tue ich sie oft auch noch) kann ich viele statistische “Spielereien” anstellen. Dazwischen mache ich am REM (nein, das hat nichts mit Träumen oder “loosing my religion” zu tun, das ist nur die Abkürzung für Raster-Elektronen-Mikroskop) hübsche Bilder von den Winzlingen.
Und wenn das alles fertig ist, wird daraus hoffentlich eine wissenschaftliche Veröffentlichung.
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Hinweis zur Autorin: “Ich bin Mikropaläontologe, momentan freiberuflich unterwegs, und schreibe auch ab und an für Zeitschriften populärwissenschaftliche Artikel über Paläontologie und Geologie.”
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