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Letztens hab ich mal wieder Neuromancer von William Gibson gelesen, ein dystopischer Roman aus dem Jahre 1984. Und wie bei solchen Science-Fiktion-Lektüren nunmal üblich ist die Vorstellung der Zukunft geprägt von anarchischer Gewalt, einem allumfassenden Internet (im Buch “Cyber Space” genannt) und Cyborg-Menschen mit allerlei Prothesen. So verfügt eine der Nebencharaktere nicht nur über ausfahrbare Krallen wie Wolferine, sondern auch über Insekten-ähnelnde Augenmodifikationen. Und das brachte mich auf den Gedanken, ob artifizielle Augen eigentlich irgendwann möglich, weitverbreitet oder überhaupt sinnvoll seien.
Eine erste Internetrecherche zeigt, dass die Idee dafür durchaus vorhanden ist. Das Designer-Studion MHOX bewirbt künstliche Augen, welche ab 2027 das natürliche Augenlicht eines jeden Menschen nicht nur ersetzten, sondern gar verbessern soll. Beim genaueren hinsehen zeigt sich, dass zwar die Idee und ein Vermarktungskonzept vorhanden ist. Die technische Ausführung beruht jedoch auf der naiven Vorstellung, dass mittels Bio-Printing-Methoden in naher Zukunft nahezu alles möglich sein wird. Doch wie könnte den künstliche Sehen technisch realisiert werden?
Augen-Kamera statt Kamera-Auge
Wenn man an künstliche Augen denkt, stellen sich die meisten wohl eine Art Kamera anstelle bzw. innerhalb des Augapfels vor. Eine Kamera hätte, wenn man nur die Pixelzahl mit der Anzahl an Sinnerszellen im Auge vergleicht, in Sachen Auflösung einen klaren Vorteil gegenüber unserem Sehorgan. Das dieser Vergleich sehr hinkt, erklärt Michael von Vsauce sehr gut. Aber gut, ersetzen wir unser Auge durch eine Kamera und stoßen gleich auf das folgen Problem: Wie soll die Bildinformation der Kamera in unser Gehirn gelangen? Einen vielversprechenden Ansatz liefert die Forschung von Dr. Sheila Nirenberg von der Cornwell University. Ihre Gruppe entwickelt Augenprothesen für einige z.B. durch Makuladegeneration erblindete Menschen und es lohnt sich wirklich ein Blick in ihre PNAS-Publikation, ihren TED Talk oder in Irv Arons Blogeintrag darüber. Ich will es euch in etwas geraffter Form erklären.
Im gesunden Auge wird einfallendes Licht an verschiedenen Stellen gebrochen und auf die Netzhaut (Retina) geworfen, die auf der Hinterseite des Auges liegt. In der Retina befinden sich Photorezeptorenzellen und ein dichtes Netz an weiteren Nervenzellen. Es gibt zwei Arten von Photorezeptorzellen, die Stäbchen und die Zäpfchen. Die Zäpfchen erkennen unterschiedliche Wellenlängen und sind für unser Farb- und Kontrastsehen zuständig sind. Die Stäbchen sind deutlich sensitiver gegenüber Licht und für unsere Nachtsicht verantwortlich. Die Rezeptoren geben bei Lichteinfall Signale an den Schaltkreis der Nervenzellen weiter, welcher die eingehende Informationen in eine Abfolge von Impulsen verarbeitet. Diese Impulsfolgen werden an die nachgeschalteten Ganglienzellen weitergeleitet, welche sie wiederum weiter den Sehnerv entlang Richtung Gehirn senden.
Bei Patienten mit Makuladegeneration ist der Bereich der Retina zurückgebildet, wo sich hauptsächlich die Zäpfchen befinden. Mit Nirenbergs Technik sollen nun die zerstörten Rezeptor- und Nervenzellen umgangen werden und die Ganglienzellen direkt angesteuert werden. Der dazu verwendete Ansatz ist zweigeteilt, bestehend aus einem Encoder und einem Transducer. Der Encoder besteht aus einer Kamera, einem Prozessorchip und einem mini-DLP (minidigital ligth projector). Der Prozesserchip soll das Bildmaterial der Kamera in eine geeignete Abfolge von Impulsen umwandeln und damit den natürlichen Schaltkreis der Retina ersetzen. Die errechnete Impulsabfolge wird nun vom mini-DLP als kurze blaue Lichtstöße abgegeben. Auf der Seite der Ganglienzellen kommt nun der Tranducer ins Spiel. Dieser Tranducer ist der Blaulicht-sensitiver Rezeptor Channelrhodopsin-2 (ChR2), der vom Licht der mini-DLP-Diode angeregt wird und das Signal in einen für den Sehnerv verständlichen elektrischen Impuls umwandelt. Um das ChR2-Protein in die Ganglienzellen hineinzubekommen, braucht es jedoch eine gentherapeutische Behandlung des Patienten bzw. des Versuchstieres.
In der nächsten Abbildung sieht man das Gesicht eines Kleinkindes (A), sowie einige Rekonstruktionen aus den Signalen des Encoder (B), des Transducer (C) und zur Kontrolle der Signale einer zerstörten Retina ohne Prothese (D). Obwohl die Prothese für erblindete Menschen auf jedenfall Hoffnung macht, ist der Qualitätsverlust während der Encoder–Transducer-Übertragung augenscheinlich und für eine verbesserte Sicht momentanoch ungeeignet, da besonders durch die künstliche Prozessierung viel Bildqualität verloren geht.
Ein wichtiger Unterschied zwischen einer Kamera und unserem Auge ist, dass die Kamera ein Bild erstellt, in dem die Auflösung an jeder Stelle dieselbe ist. Tatsächlich sehen wir nur in einem kleinen Bereich (2° ausgehend von der Mitte unseres Sehfelds) sehr scharf und erst durch die Augenbewegung erkennen wir z.B. eine Landschaft als Ganzes. Wenn wir nun eine hochauflösende Kamera im Auge hätten und die Prozessierung und Weiterleitung der Bilddaten ans Gehirn verlustfrei wäre, würde unser Gehirn die Masse an Daten verarbeiten können? Könnten wir noch ein ohne Probleme ein Buch lesen, oder wären wir überfordert, weil wir alle Wörter ständig auf einmal wahrnehmen? Ich weiß es nicht.
Mit den Augen eines Adlers
Doch können vielleicht einfach die eigenen Augen irgendwie verbessert werden? Klar, z.B. kann bei Kurzsichtigkeit die Sehfähigkeit durch Augenlasern wiederhergestellt werden. Wieso, mag sich jemand fragen, kann man die Augen nicht einfach beliebig gut lasern. Wenn man sich nochmal die Funktionsweise des Auges und die Lasertechnik ansieht, liegt die Antwort auf der Hand. Kurzsichtigkeit entsteht meistens dadurch, dass der Augapfel eines Menschens zu lang im Vergleich zur Brechungskraft des Auges ist. Dadurch wird das einfallende Licht auf einen Punkt vor der Retina fokussiert. Mithilfe eines Lasers kann von der Hornhaut des Auges ein bisschen abgeschabt werden und somit die Lichtbrechung der Augenlänge angepasst werden. Nimmt man jedoch dem Auge zuviel Brechungskraft, wandert der Fokussierungspunkt des Lichts hinter die Retina. Die Folge ist Weitsichtigkeit, also keine Verbesserung der Weitsicht, sondern nur eine Verschlechterung der Nahsicht.
Viele Menschen träumen davon die Augen eines Adlers zu besitzen, welcher das Paradebeispiel für gute Sicht auf weite Entfernungen ist. Wieso der Adler wie viele andere Tagraubvögel so toll sehen können, liegt an einer Fülle von Eigenschaften, von denen ich nur einige anspreche. Zum einen besitzt der Adler im Gegensatz zum Menschen etwa fünfmal mehr Zäpfchen in der Fovea. Das ist der Bereich in der Makula, auf den alles Licht von dem Punkt aus gebündelt wird, den wir direkt mit dem Auge fixieren. Damit besitzt der Vogel für diesen Bereich eine deutlich höhere „Pixelauflösung“ als wir Menschen. Zudem haben Adler auch noch eine sekundäre, vielleicht sogar eine dritte Fovea, was sie auch in einigen Bereichen der Peripherie schärfer sehen lässt. Zuletzt haben wir nur drei verschiedene Arten an Zäpfchen, welche von Licht unterschiedlicher Wellenlängen angeregt werden. Der Adler hingegen besitzt fünf davon. Sie können also verschiedene Bereiche des Farbspektrums besser voneinander trennen, was zu einem deutlich höheren Kontrast führt. Es wäre schwierig auch nur eine dieser Eigenschaften im menschlichen Auge einzuführen, da weitgehend unbekannt ist, welche Bereiche des Genoms hierfür verändert werden müssten. Da das komplexe Nervensystem der Retina schon in der Embryonalentwicklung angelegt wird, könnten solche Modifikation auch nur durch ein Transplantat eingeführt werden. Es gibt zwar schon Ansätze für eine in-situ-Herstellung der Retina, aber bis ein voll funktionstüchtiges oder gar verbessertes Implantat möglich ist, wird es wohl noch ein gutes Stück dauern.
Unsere Augen sind gar nicht so schlecht
Tatsächlich liegt die Möglichkeit einer Augenprothese, die das gesunde Auge an Präzision übertrifft, in weiter Ferne. Es fehlt sowohl an biologischem Wissen als auch an technischer Machbarkeit. Zudem steht der Vorteil, der sich daraus ergibt, in keinem Verhältnis zum Aufwand. In unserer modernen Welt bringt uns beispielsweise eine besser Weitsicht unserer Augen im Alltag keinen Vorteil, und selbst in Situationen, in denen man ein Objekt in weiter Ferne erspähen will, könnten wir selbst mit Adleraugen gegen einen Menschen mit Fernglas nur abstinken. Und es würde uns auch Nachteile bringen, wenn wir eine Kamera oder Adleraugen im Kopf haben. Sobald es Nacht wird, hätten wir Schwierigkeiten auch nur irgendetwas zu erkennen, sofern wir nicht ein helles Flutlicht mit uns herumtragen. Wir können mit unseren Augen also ganz zufrieden sein und die Idee von künstlichen Superaugen bleibt Science-Fiktion-Fantasy ohne wirklichen Nutzen.
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Hinweis zum Autor: Dieser Artikel wurde von “Jan” geschrieben: “Ich bin Biochemiker und schreibe gelegentlich im meinem eigenen Blog auf inmolog.blogspot.de”
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