Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2015. Hinweise zum Ablauf des Bewerbs und wie ihr dabei Abstimmen könnt findet ihr hier. Informationen über die Autoren der Wettbewerbsbeiträge findet ihr jeweils am Ende der Artikel.
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Wir müssen über die zwei Buchstaben mit dem Punkt reden. Der Dr. Die Lizenz zum Klugscheißen. Trust me, I’m a doctor…
Ja, ich habe an einer Uni promoviert, und zwar im Fach Chemie. Übliche Reaktionen an dieser Stelle: „So siehst du gar nicht aus“ (gut, ihr seht mich nicht, also fällt das an dieser Stelle weg) oder „oh, da war ich in der Schule immer ganz schlecht, wie kommt man darauf, das auch noch studieren zu wollen?“ Also: Chemie kann richtig Spaß machen und ist irre interessant. Und es sitzen auch nicht nur picklige Nerds ohne Sozialkompetenz in den Vorlesungen. Also weiter im Text…
Ich habe zu einer Zeit studiert, als Bologna für Studenten nur die Stadt war, aus der die Hackfleischsauce auf den Spaghetti kam. Bachelor und Master gab es nur im angelsächsischen Bereich. Wir befanden uns in den späten 1980er und frühen 1990er Jahren, da waren PCs wirklich noch Neuland, hatte längst nicht jeder, und Internet schon gleich gar nicht – Versuchsprotokolle waren handgeschrieben. Wer nicht klarkam, konnte sich keine Unterlagen zusammengoogeln und ausdrucken, sondern saß mit dem Kugelschreiber und dem Laborjournal eines Kommilitonen in der Cafeteria.
Wir haben so vor uns hin studiert, dann kam das Vordiplom, womit man aber noch keinen Abschluss hatte, mit dem man sich irgendwo hätte bewerben können. Muss man ja heutzutage auch erst erklären. Auf Grundstudium und Vordiplom folgten also Hauptstudium, Diplomprüfungen und Diplomarbeit, dann erst hatte man es geschafft. Oder auch nicht, denn im Fach Chemie wurde routinemäßig weitergemacht. Man munkelte, für schnöde Diplomchemiker gebe es keine Jobs, die Industrie verlange schon den Doktortitel. Und wer sich zu höheren akademischen Weihen berufen fühlte, promovierte sowieso, denn sonst keine Habilitation…
Also haben bis auf ein paar Unentwegte, die entweder zu diesem Zeitpunkt überhaupt keinen Bock mehr auf Uni oder aber bereits eine Familie zu ernähren hatten, auch alle brav weitergemacht. Und wenn man lange genug durchhielt, wurde man auch wegpromoviert. Es gab Heißdüsen-Arbeitskreise und solche, in denen es entspannter zuging. Natürlich war, wer sich schon durch das Diplomstudium durchgearbeitet hatte, kein unwissender Vollidiot (Ausnahmen bestätigen die Regel, irgendwer rutscht immer durchs Raster). Ob aber wirklich alle zur Promotion geblieben wären, wenn es auch in der chemischen Industrie gescheite Jobs für Diplomchemiker gegeben hätte anstelle der Perspektive „Pharmareferent oder SAP-Berater“, darf angezweifelt werden.
Und dann kam der große Moment. Die Arbeit war fertig, gegengelesen, vom Doktorvater und Zweitgutachter abgenickt, der Stoff für die Prüfung war gepaukt, die Profs waren zur Prüfung geladen, und natürlich stand auch der Vortrag. Nein, keine Power-Point-Präsentation (davon hatte man mittlerweile immerhin schonmal gehört), es wurde ganz klassisch mit Kreide ein Tafelbild entwickelt. Auch schön. Nach der Prüfung kam der von den Kollegen gebastelte Doktorhut, man durfte in den Doktorwagen steigen (ein mehr oder weniger liebevoll gestaltetes Monstrum aus Pappmaché, passend zum Prüfling, versehen mit allerlei Sprüchen und Bildern), mit großem Gefolge vom Dekanat zum Institut ziehen, und dann kam die große Party.
Nach Erfüllen der übrigen formalen Vorgaben, z.B. Abgabe der Pflichtexemplare der Arbeit in der Bibliothek, war man nun also berechtigt, den Doktortitel zu führen. Über den anschließenden Ernst des Lebens mit Bewerbungen, Arbeiten gehen usw. muss man keine Worte verlieren. Aber was bedeutet der Doktortitel nun im Privatleben?
Nun ja. Ich gehe nicht gerade mit dem Titel hausieren, stelle mich im privaten Umfeld auch nur mit Vor- und Nachnamen vor, der Titel steht auch nicht auf dem Klingelschild. Aber in einem Anfall von jugendlichen Übermut (ich glaube, irgendwer hat behauptet, man würde dann in ausländischen Hotels zuvorkommender behandelt) habe ich den Dr. in meinen Pass eintragen lassen. Und irgendwann hat meine Krankenkasse das irgendwie mitbekommen, seitdem steht der Dr. auch auf meiner Chipkarte. Nun bin ich ja kein Dr.med. oder Dr. med.dent., sondern Dr. rer.nat. Seit auf meiner Karte aber Dr. steht, fragt wirklich jeder Arzt, in dessen Hände ich mich vertrauensvoll begebe, als erstes, ob ich Kollegin bin. Und die Damen im Vorzimmer rufen mich natürlich auch mit Titel auf. Auf dass alle Augen im Wartezimmer hochschnellen… In Hotels und Flugzeugen wird man bisweilen auch gefragt, ob man eventuell helfen könne, man habe da einen kleinen medizinischen Notfall… Pech für den indisponierten Mitreisenden, mehr als Fieber messen kann ich nicht, Medizin ist echt nicht mein Fach.
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