Die Ausbildung dauerte ein Jahr (Inhalte: Positionsbestimmung, Landvermessung, Geometrie, Astronomie. Theodoliten, künstliche Horizonte, Aneroidbarometer, Sextanten. Beobachten, Verzeichnen, Klassifizieren. Grundwissen in Botanik, Geologie, Meteorologie, das noch junge Fach Anthropologie, spöttisch “Wissenschaft der Wilden” genannt (Schädelvermessung etc.). Medizinische Grundlagen, Behandlung von Wunden, Zahnschmerzen, Schlangenbissen, Umgang mit Hunger und Durst. Grundlagen der Vorbereitung und Durchführung von Expeditionen, Umgang mit einheimischen Führern und Lasttieren. Rechtliches: Einverständniserklärung der Expeditionsmitglieder, sich dem Kommando des Leiters zu unterstellen, Umgang mit Todesfällen in der Gruppe … ) und 1901 war Percy Fawcett Diplomierter Forscher der Royal Geographical Society.
Als erstes sandten sie ihn nach Marokko, dies war allerdings eher ein Spionageauftrag, den Fawcett dank seiner Gewitztheit und guten Beobachtungsgabe zu aller Zufriedenheit erledigte. Diese Verflechtung von Forschungsreise und Spionage war damals im British Empire nicht ungewöhnlich, wie Grann anschaulich schildert.
Bald darauf ereilte ihn die Aufgabe, die den Rest seines Lebens entscheidend bestimmen sollte: die jungen Lateinamerikanischen Republiken Peru, Bolivien und Brasilien hatten die andauernden Scharmützel in ihrem Hinterland satt und riefen eine Grenzkommission ins Leben, die die Royal Geographical Society um Hilfe bat.
Rio der Janeiro, am Atlantik gelegen, war eine halbe Weltreise von Lima und seinem Pazifikhafen Callao entfernt. Man reiste auch zu Fawcetts Zeiten noch per Schiff um Kap Hoorn herum, um von Brasilien nach Peru zu gelangen. Die ersten Eisenbahnen waren zwar gebaut, aber eine transkontinentale Verbindung lag noch in weiter Ferne. Rio und Lima sind Luftlinie fast 4000 km voneinander entfernt, das entspricht der Entfernung vom Nordkap nach Sizilien oder von London nach Kairo. Von Rio nach La Paz sind es immer noch knapp 3000 km.
Trotz allem waren Peru, Bolivien und Brasilien Nachbarländer, die sich ein gemeinsames Hinterland teilten: tausende Kilometer unerschlossene Wildnis, ein undurchdringlicher Urwald, so groß wie ganz Europa, voller giftiger Tiere, verseucht von Moskitos und bewohnt von feindseligen Wilden, ein Land, gegen das die Erschließung der nordamerikanischen Frontier ein Spaziergang gewesen war: Amazonien.
Diese Grenzkommission bat nun die Royal Geographical Society um die Entsendung eines neutralen Beobachters, der helfen sollte, die Grenzflüsse im Dreiländereck zu vermessen.
Für diese Aufgabe wurde Percy Fawcett ausersehen. Sie hätten keinen besseren finden können.
Die grüne Hölle
Percy Fawcett war der Härteste. Groß gewachsen und athletisch (ein hervorragender Cricket- und Rugbyspieler), mit strengem Blick, eigenwillig, starrsinnig und von unverwüstlicher Konstitution. Ein Bekannter beschrieb ihn als “verwegen bis zur Unbesonnenheit” und seine Frau bezeichnete ihn als “einsamen Wolf”, der stets seine eigenen Wege gehen müsse.
Am 4. Juli 1906 brach Fawcett zusammen mit einem britischen Landvermesser und einigen Maultieren zu seiner ersten Expedition auf. Vom 3700 Meter hoch gelegenen La Paz machten sie sich an den Abstieg ins Amazonastiefland. Auf rutschigen, bröckeligen Saumpfaden und über die berüchtigten Hängebrücken durchquerten sie die Yungas, den Nebelwald an den Osthängen der Anden. Am Rio Beni bauten sie sich ein Floß und fuhren fünfhundert Kilometer flussabwärts nach Riberalta, einem der letzten Vorposten der Zivilisation. Dort gesellten sich ein bolivianischer Offizier sowie eine Handvoll Desperados und einheimische Führer zu ihnen und sie drangen mit ihren Macheten immer tiefer in den Urwald ein, vermaßen das Land und verzeichneten kleinere Flüsse bis zur Quelle, um nach und nach die Karte Südamerikas neu zu zeichnen.
Fawcett führte ein strenges Regiment, er ließ bis zu zwölf Stunden täglich marschieren (oft legten sie nur wenige Kilometer am Tag zurück) und die Rationen waren schmal: etwas Porridge zum Frühstück und ein paar Kekse zu Mittag. Abends gab es – Jagdglück vorausgesetzt – Dschungelfleisch: Vögel, Affen etc.
Kommentare (50)