Diese erste Reise ging über viele Monate und sie legten fast tausend Kilometer zurück. Sie wurden von wilden Schweinen, Vampirfledermäusen, Anakondas und Piranhas angegriffen und von widerwärtigsten Parasiten aller Art nahezu bei lebendigem Leibe aufgefressen (“Die Zecken hingen in Trauben von den Bäumen”). Einmal entgingen sie nur knapp einem tödlichen Pfeilhagel von Indianern – die sie aber kaum je zu Gesicht bekamen.
Die meisten seiner Leute litten bald unter Fieber und allen möglichen Tropenkrankheiten, die ihnen die Sinne verwirrten. Desorientiert, geschwächt und halb blind (von den sogenannten “Augenlecker-Fliegen”) stolperten sie hinter Fawcett her – dem all das nichts auszumachen schien. Auch Fawcett litt unter der Feuchtigkeit, der drückenden Hitze, dem Hunger und dem Ungeziefer, aber zuletzt war er praktisch der einzige, der gesund blieb. In der ganzen Zeit seiner Südamerika-Expeditionen zog er sich nie eine ernsthafte Tropenkrankheit zu. Diese nahezu übermenschlich erscheinende Konstitution und Ausdauer und seine ungeheure Härte (nicht zuletzt gegen sich selbst) legte den Grundstein für die Legende Percy Fawcett.
Im Mai 1907 beendete Fawcett seine Reise und legte seine Ergebnisse der Südamerikanischen Grenzkommission und der Royal Geographical Society vor. Er erntete ehrfurchtsvolles Staunen: Nicht nur hatte er die Grenzen Südamerikas neu definiert, sondern er lag zudem noch fast ein ganzes Jahr vor dem Zeitplan.
Grann, S. 122
David Grann gelingt es sehr gut, die ungeheuren Strapazen und Gefahren dieser Expeditionen packend zu beschreiben. Ich könnte hier noch etliche wunderbare Anekdoten erzählen, aber das würde zu weit führen. Seine stark verdichtete Schilderung der grünen Hölle mit all ihren Widrigkeiten ist nichts für schwache Nerven, ist aber einer der stärksten Teile dieses Buches (das man am Besten bei einem kühlen Drink auf der Veranda genießt ;)).
Zu den wenigen, die mit Fawcett mithalten konnten, zählten Henry Manley und Henry Costin, die ihm deshalb die liebsten Reisegefährten wurden, und hier zumindest mal kurz erwähnt seien.
Es stimmt, das ist die Hölle, aber irgendwie macht es Spaß.
Henry Costin
Grann S. 166
In den folgenden zehn Jahren sollte Percy Fawcett noch ein halbes Dutzend weitere Expeditionen durch Amazonien unternehmen, und sein Ruhm wuchs stetig. Seine Vorträge in der Royal Geographical Society erregten große Aufmerksamkeit, die Spitzen englischen Wissenschaft kamen, um ihn zu hören. Auch Arthur Conan Doyle schaute vorbei und wird sich hier die erste Inspiration für Die vergessene Welt geholt haben. Später wurden er und Fawcett gute Freunde und korrespondierten häufig miteinander.
Zu dieser Zeit galt Fawcett als der weltweit führende Südamerikaexperte. 1916 bekam er die Goldmedaille der Royal Geographical Society verliehen.
Fawcett und die Indianer
Etwa zur selben Zeit wütete in Amazonien der Kautschukboom. Mit ihm kamen vermehrt Männer, Waffen und Alkohol in die Region, für die Indios endete das wie immer mit Versklavung, Vertreibung und Völkermord. Im Zuge dieses Gummi-Rausches wurden furchtbare Greueltaten an der Urbevölkerung begangen, die Zigtausende das Leben kosteten. Fawcett selbst wurde Zeuge eines Sklavenmarktes in Riberalta. In Zeitschriftenartikeln und in Gesprächen mit Regierungsbeamten verurteilte er diese Praktiken scharf und wies auch auf die Mitschuld Englands hin, da britische Unternehmen über Aktienbeteiligungen wirtschaftlich von der Ausbeutung der Indios profitierten. (siehe auch den Casement-Bericht)
Der Kautschukboom endete erst in den 1920er Jahren, als es gelang, Gummibäume in Südostasien auf Plantagen zu züchten (was in Südamerika nie gelungen war, dort wurde wild gesammelt, was einen viel höheren Arbeitsaufwand und deshalb auch einen riesigen Bedarf an Arbeitern bzw. Sklaven bedeutete).
Diese Geschehnisse hatten auch einen direkten Einfluss auf Fawcetts Expeditionen: die Indios zogen sich tief in die Urwälder zurück und wurden Weißen gegenüber extrem feindselig. Seinerzeit verschwanden ganze Expeditionstrupps für immer im Dschungel, oder wurden durch Giftpfeile aus dem Unterholz dezimiert und zur Umkehr gezwungen. Die großen, oft schwerbewaffneten Trupps boten ein leichtes Ziel für diese Guerillataktik, zumal an ihren Absichten kein Zweifel bestand, und sie von vornherein auf Konfrontation eingestellt waren. Dennoch waren sie den Indios in deren eigenem Territorium hoffnungslos unterlegen. Es galt als Wahnsinn, die ausgetretenen Pfade zu verlassen.
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