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Alfred Russel Wallace ist gemeinsam mit Charles Darwin einer der beiden Väter der Evolutionsbiologie. Der Wettlauf zwischen Darwin und Wallace um die Priorität der Entdeckung des Selektionsmechanismus, der im Jahr 1858 zur gleichzeitigen Veröffentlichung von Darwins Ausarbeitungen zum Thema wie auch des “Briefs aus Ternate” von Wallace geführt hat, ist weithin bekannt. Ebenso, dass die von Darwin unabhängige Entdeckung der Selektionstheorie durch Wallace Darwin dazu veranlasste, einen Auszug aus seinem ursprünglich viel umfangreicher geplanten Werk zur Entstehung der Arten unter dem Titel “On the Origin of Species …” im Jahr darauf zu veröffentlichen, welches nicht nur die Biologie revolutionierte sondern darüber hinaus die Denkweise der modernen Gesellschaft nachhaltig prägte.
Weniger bekannt ist, dass sich Wallace in seinen letzten Lebensjahren (Er wurde 90 Jahre alt!) verstärkt anthropologischen Fragestellungen widmete. Dabei beschäftigte ihn u.a. die Stellung des Menschen im Kosmos. Hierbei nahm er einen anthropozentrischen Standpunkt ein, der ihn zu einer Ansicht führte, die wir heute als “Starkes Anthropisches Prinzip” kennen: Der Kosmos ist auf die Entstehung und die Existenz des Menschen ausgerichtet. Im Zuge der Auseinandersetzung mit astronomischen und kosmologischen Themen stieß er u.a. auf das Buch “Mars und seine Kanäle” von Percival Lowell, das im Jahr 1905 erschien. Wallace hatte sein Buch “Der Platz des Menschen im Universum” bereits 1902 veröffentlicht, worin er zu dem Schluss kam, dass der Mars unbewohnt ist.
Lowell hingegen kam aufgrund seiner Beobachtungen, die sich über zehn Jahre hinweg erstreckten, zur gegenteiligen Schlussfolgerung, dass es auf Mars eine hochentwickelte Zivilisation gebe, die mittels umfangreicher Bewässerungsmaßnahmen die trockenen Regionen beiderseits des Äquators in ein fruchtbares Land mit üppigem Pflanzenwuchs verwandelt. Anlass dafür gaben ihm zum einen die Beobachtungen von Schiaparelli, der als Erster über “canali” (Rinnen) auf der Marsoberfläche berichtete, (Heute wissen wir, dass es sich dabei um optische Täuschungen handelte.) sowie über jahreszeitliche Farbveränderungen, die an einen jahreszeitlichen Wechsel von Vegetation erinnerten, weil zeitweise ein grünlicher Farbton erkennbar war. Zum anderen verfügte Lowell über ein eigenes Observatorium in Flagstaff/Arizona, mit dem er die Beobachtungen Schiaparellis nicht nur bestätigen konnte, sondern darüber hinaus auch weitere Einzelheiten ausmachte, die nahelegten, dass die “canali” nicht einfach nur Rinnen sind, sondern künstlich angelegte “Kanäle”, also das Resultat bewusster Ingenieurstätigkeit. Insbesondere die jahreszeitlich zu beobachtende Verdopplung der Kanäle ließ an gesteuerte Bewässerungsmaßnahmen denken, bei denen Schmelzwasser von den Polkappen in aride Regionen geleitet wird.
Diese zunächst verblüffenden Schlussfolgerungen Lowells unterzog Wallace in seiner Publikation “Ist Mars habitabel?” einer fundierten wissenschaftlichen Kritik. Die dabei herangezogene Vorgehensweise kann sich durchaus mit dem messen lassen, was Astrobiologen heute tun, wenn sie über die Habitabilität von Himmelskörpern Untersuchungen anstellen. Es dürfte daher nicht ganz uninteressant sein, wie Wallace seine Argumentation aufgebaut hat und zu welchen Schlussfolgerungen er letztlich gekommen ist.
In den ersten beiden Abschnitten rekapituliert er die Beobachtungen von Schiaparelli und Lowell. Der dritte Abschnitt widmet sich dem Klima und der Oberflächengestalt des Mars. Letztere muss völlig eben sein, um das “wundervolle Netzwerk von perfekt geraden Linien über nahezu die gesamte Oberfläche hinweg” zu ermöglichen, damit sie als Kanäle nutzbar sein können. Dies widerspricht jedoch allem, was man bereits damals über die Formation von Himmelskörpern wusste. Insbesondere der Mond, aber auch die Erde selbst weisen überall Unebenheiten auf, die – wären sie ebenso auf Mars vorhanden – ein langgestrecktes Kanalsystem unmöglich machen würden.
Doch damit nicht genug. In der “Geschichte der modernen Astronomie” von Agnes Clerke aus dem Jahr 1896 fand er eine Berechnung, gemäß der es unmöglich ist, dass das Wasser der Polkappen überhaupt ausreicht, um über Tausende Kilometer hinweg in breiten Kanälen abgeleitet zu werden. Die Polkappen umfassen im Maximum etwa 2,4 Millionen Quadratmeilen. Der Mars als Ganzes hat eine Oberfläche von etwa 55,5 Millionen Quadratmeilen. Etwa ein Drittel davon, also etwa 17 Millionen Quadratmeilen wird als kultiviert angenommen und bedarf daher der Wasserzufuhr. Dies entspricht etwa dem siebenfachen der Fläche der Polkappen. Die Tatsache, dass die Polkappen im Frühjahr rapide an Fläche abnehmen, verweist darauf, dass sie nur äußerst dünn sein können – vergleichbar mit der Schneebedeckung in Nordamerika während es Winters, also nur wenige Fuß tief! In diesem Fall wäre die Wasserfläche, die zur Bewässerung benötigt wird, folglich im Durchschnitt nur ein siebentel Fuß tief! Angesichts dessen ist das von Lowell vorgeschlagene Kanalsystem eine hoffnungslose, weil nicht machbare Angelegenheit. Bereits aus diesem Grund erweisen sich Lowells Schlussfolgerungen als haltlos.
Aus astrobiologischer Sicht ist die nun folgende Argumentation von besonderem Interesse. Das vierte Kapitel ist überschrieben mit “Ist tierisches Leben auf Mars möglich?” und enthält einige Punkte, die auch heute noch von zentraler Bedeutung hinsichtlich der Beurteilung der Habitabilität von Himmelskörpern ist. Nach einer kurzen einleitenden Bemerkung, dass Lowells Schlussfolgerung, es handle sich bei den beobachteten Phänomenen bezüglich der “canali” und der Farbwechsel um das Resultat intelligenter Ingenieurstätigkeit völlig verkehrt und unglaubwürdig ist, widmet sich Wallace den grundlegenden Voraussetzungen für Leben auf dem Mars.
Da Lowell annahm, dass die Beschaffenheit der Materie und der physikalischen Gesetze im ganzen Sonnensystem gleich ist sowie die für irdisches Leben geltenden notwendigen Voraussetzungen zugleich auch für Leben auf dem Mars gelten, müssen folglich Wasser und eine Atmosphäre, die sich aus Sauerstoff, Stickstoff, Wasserdampf und Kohlenstoffdioxid zusammensetzt, sowie eine dazu passende Oberflächentemperatur über eine längere Zeit des Jahres hinweg vorhanden und für Lebewesen verfügbar sein.
Dieser Voraussetzung setzt Wallace nun die Beobachtungsbefunde entgegen, die ergeben, dass spektroskopisch bislang kein Wasserdampf in der Atmosphäre nachgewiesen werden konnte. Dies entspricht den Erwartungen gemäß einer Berechnung von Dr. Stoney (auf die sich Wallace bezieht), dass ein Planet, der Wasserdampf in der Atmosphäre halten kann, mindestens ein Viertel der Erdmasse aufweisen muss. Da Mars aber lediglich ein Neuntel der Erdmasse besitzt, kann Wasserdampf folglich nicht vorhanden sein. Die Abwesenheit von Wasser ist für sich selbst genommen bereits ein Ausschlusskriterium für das Vorhandensein von tierischem Leben auf Mars.
In den folgenden Abschnitten untersucht Wallace die Temperatur auf der Marsoberfläche. Hierbei geht er zunächst auf das Boltzmann-Gesetz ein, gemäß dem die Strahlungsintensität der vierten Potenz der Temperatur entspricht. Da Mars etwa 1,5 mal weiter von der Sonne entfernt ist als die Erde, ist folglich mit noch tieferen Temperaturen zu rechnen als hier.
Ein weiterer Aspekt ist die Beobachtung, dass auf der Erde in Wüsten die Wärmeabstrahlung während der Nacht enorm ist. Daraus lässt sich auf die Temperatur des atmosphärelosen Mondes schließen, die auf der Nachtseite etwa 200 °F (absolut) erreichen dürften (wobei dem Gefrierpunkt von Wasser eine Temperatur von 491 °F absolut entspricht). Die absolute Temperatur ist hier auf den Wert 0 Kelvin bezogen. Bezogen auf den Mars, der offensichtlich ein arides Klima aufweist, weil keinerlei Wolkenbedeckung ausmachbar ist, ergibt sich folglich eine ebenso enorme Auskühlung während der über 12 Stunden andauernden Nacht. Gemäß der Erkenntnis von Professor Poynting aus dem Jahr 1904, dass Mars aufgrund seines größeren Abstands zur Sonne eine Durchschnittstemperatur von lediglich – 38 °C aufweist (und die Erde von + 17 °C) ergibt sich – im Verbund mit den vorher genannten Befunden – dass der Mars eher dem Mond als der Erde ähnelt.
In den folgenden Abschnitten bietet Wallace alternative Erklärungen für die Marskanäle und andere Oberflächenmerkmale an, die inzwischen als überholt gelten, weil sie a) Phänomene erklären, die sich als nicht existent herausgestellt haben und b) auch inhaltlich unzutreffend sind. Wallace erklärt z.B., dass die Marskanäle im Zuge des Erkaltens der Marskruste entstanden sind und verweist dabei u.a. auf analoge Strukturen in Basaltfelsen sowie auf den Jordangraben als irdisches Gegenstück zu den Marskanälen. Dass es sich bei den Marskanälen um eine optische Täuschung handelte, ergab sich bereits in den 1920er Jahren infolge des Einsatzes leistungsfähigerer Teleskope. Von daher waren Wallaces Überlegungen hierzu bereits kurz danach hinfällig geworden.
Im letzten Kapitel fasst Wallace seine Argumentation noch einmal zusammen und kommt dabei noch einmal ausführlich auf den niedrigen Atmosphärendruck zu sprechen, der von Lowell mit einem Zwölftel des irdischen Luftdrucks bestimmt worden war. (Der tatsächliche Wert entspricht etwa 1/170 !) Die Beobachtung, dass auch in Äquatornähe auf hohen Berggipfeln Schnee dauerhaft vorhanden ist, verweist auf den abnehmenden Atmosphärendruck als alleiniger Ursache für die Auskühlung. Da der Atmosphärendruck auf Mars nur einem Bruchteil des Atmosphärendrucks in jenen hochgelegenen Regionen entspricht, ist hier um so mehr mit einer stärkeren Auskühlung zu rechnen! Aus alledem folgt, dass die erste Grundvoraussetzung für Leben – Wasser – auf Mars nicht existiert. Wallaces Fazit lautet daher, dass Mars demnach nicht nur von intelligenten Wesen, wie sie Lowell annimmt, unbewohnt ist, sondern generell unbewohnbar ist:
Mars, therefore, is not only uninhabited by intelligent beings such as Mr. Lowell postulates, but is absolutely UNINHABITABLE.
Bedenkt man, dass Wallace seine Arbeit im Jahr 1907 im Alter von 84 Jahren veröffentlicht hat, ist das eine erstaunliche Leistung. Noch erstaunlicher ist, dass er offenbar der Erste gewesen ist, der sich überhaupt die Frage gestellt hat, ob es auf Mars überhaupt Leben geben kann. Bis dahin war die Annahme, dass alle Planeten des Sonnensystems von intelligenten Wesen bewohnt seien, keineswegs eine Absurdität. Bereits Johannes Kepler spekulierte um das Jahr 1600 über die Bewohner der anderen Planeten. Und auch für Immanuel Kant war es in der Mitte des 18. Jahrhunderts geradezu eine Gewissheit, dass die Planeten des Sonnensystems von Vernunftwesen bewohnt sind. Im Dritten Teil seiner “Allgemeinen Naturgeschichte und Theorie des Himmels” aus dem Jahr 1755 leitete er sogar folgendes Gesetz ab, das die Beschaffenheit der Bewohner bezüglich zum Abstand von der Sonne regelt:
Der Stoff woraus die Einwohner verschiedener Planeten, ja so gar die Thiere und Gewächse auf denselben, gebildet seyn, muß überhaupt um desto leichterer und feinerer Art, und die Elasticität der Fasern sammt der vortheilhaften Anlage ihres Baues, um desto vollkommener seyn, nach dem Masse als sie weiter von der Sonne abstehen. (S. 185)
Von daher war es zwar einerseits eine Sensation, dass man auf dem Mars scheinbar die Aktivitäten einer Zivilisation beobachten konnte – andererseits jedoch insofern keine Überraschung, da die Annahme, dass Zivilisationen im Sonnensystem vorhanden sind, durchaus dem Zeitgeist entsprach. Anderenfalls ließen sich die Versuche von Gauß (1820) und Littrow (1840) nicht erklären, Kontakt zu anderen Zivilisationen aufzunehmen, indem man entweder in Sibirien eine große Waldfläche in Gestalt eines rechtwinkligen Dreiecks rodet bzw. in der Sahara Kerosin-Brände entfacht, die die Gestalt geometrischer Figuren haben.
Es scheint daher, dass Wallace wissenschaftliches Neuland betreten hatte, als er sich fragte: “Geht das überhaupt? – Kann es Leben auf dem Mars geben?” und somit ein Vordenker der späteren Astrobiologie gewesen ist. Die Annahme, dass es auf dem Mars wenigstens primitives Leben in Gestalt von Moosen oder Flechten geben könnte, hielt sich noch bis in die frühen 1960er Jahre. Offenbar war Wallace mit seiner Ausarbeitung nicht nachhaltig erfolgreich. Möglicherweise lag das darin begründet, dass er seine Reputation zu dieser Zeit bereits verloren hatte, weil er versuchte, den Spiritismus in den Naturwissenschaften zu etablieren. Im Zuge dessen blieb von Wallace im öffentlichen Bewusstsein nicht viel mehr übrig als seine Ko-Urheberschaft bei der Ausarbeitung der Evolutionstheorie. Seine übrigen wissenschaftlichen Leistungen gerieten hingegen mehr und mehr in Vergessenheit.
Wie man sieht, sind im Spätwerk von Wallace durchaus noch einige wissenschaftliche Perlen vorhanden, die auch heute noch Gültigkeit beanspruchen können. Die einfache Gleichung, dass das Fehlen von Wasser das Fehlen von Leben nach sich zieht, entspricht dem sogenannten “Mantra der Astrobiologie”: Follow the Water!, welches immer noch aktuell ist. In diesem Punkt war Wallace seiner Zeit voraus – Zeit, sich dessen zu erinnern …
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Hinweis zum Autor: Dieser Artikel wurde von Jürgen Hoffmann geschrieben: “Ich wohne in Halle an der Saale und arbeite dort als Lehrer. Ich interessiere mich nebenberuflich insbesondere für Fragen zur Lebensentstehung sowie zur Astrobiologie.”
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