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Dass Videospiele gewalttätig machen, Zeitverschwendung sind und niemals Kunst sein können, war lange Zeit allgemein bekannt. Dass sie Spaß machen, die Koordinationsfähigkeit steigern und Kreativität fördern können, ist vielen, gerade älteren Menschen noch ein sehr fremder Gedanke. Tatsächlich aber werden interaktive Computerspiele mittlerweile immer häufiger zu Lehrzwecken eingesetzt. Und nicht nur trockene, eigens auf den Lerneffekt ausgelegte Serious Games. Das lego-ähnliche Aufbauspiel Minecraft hat, laut eigener Website bisher knapp 21 Millionen Exemplare verkauft – allein auf PC, diverse Handy-, Tablet- und Spielkonsolenversionen noch nicht mit eingerechnet. Und trotz oder gerade aufgrund dieses Erfolgs ist Minecraft teil eines Bildungsprogramm für Schulen, bei dem das Klötzchenbauen im Unterricht eingesetzt werden kann. In einer schwedischen Schule steht das sogar als Pflichtfach im Stundenplan, andere nutzen es zum Beispiel in Geschichte, um historische Schauplätze nachzustellen. Spiele sind ein guter Weg, um Kinder und Jugendliche an ein Thema heranzuführen. Denn etwas selbst zu beeinflussen, auszuprobieren, es vielleicht auch erst einmal kaputt zu machen und aus seinen Fehlern zu lernen macht schlicht und einfach Spaß. Das – besonders den ‚Kaputtmachen‘-Teil – hat auch die NASA erkannt.
Fast jedes Kind möchte irgendwann in seinem Leben wahrscheinlich einmal Astronaut oder Raumschiffbauer sein, aber nur die wenigsten werden es. So faszinierende Themen Weltraum und Raumfahrt sind, so abschreckende können sie auch sein. Physikunterricht in der Schule ist meist trocken und kompliziert, Astrophysik wird so gut wie gar nicht angesprochen. Die Nachrichten, die wir in den Medien über Raketenstarts und Marslandungen mitbekommen, werden zwar meistens voller Euphorie übermittelt, erwecken aber auch immer irgendwie den Eindruck, dass solche Errungenschaften nur den absolut elitärsten Genieforschern vorbehalten wären. Da liegt die Vermutung nahe, dass das irgendwann zu einem Nachwuchsproblem führen könnte, wenn es nicht sogar schon eines gibt.
Dagegen biete die Welt der Videospiele einen krassen Kontrast. Obwohl – oder gerade weil – wahrscheinlich die wenigsten Spieler für sich eine Zukunft in der Raumfahrt sehen, sind Videospiele mit Weltraumthema ein absoluter Dauerbrenner. Eines der ersten Computerspiele überhaupt hört auf den Titel Spacewar, ursprünglich entwickelt als Demonstration der technischen Möglichkeiten eines graphischen Displays. Das war in den frühen Sechzigern. Heute steuern wir in Science Fiction-Simulationen gigantische Raumschiffe in Todesstern-ähnliche Raumstationen, wo wir auftanken und einen Frachtraum voller Unobtanium kaufen, den wir dann auf dem weitestmöglich entfernten fiktiven Planeten für möglichst viele Credits verkaufen. Oder, und das bringt uns deutlich näher an das eigentliche Thema dieses Textes, wir bauen auf einer fiktiven Version der Erde Raketen aus realistischen Einzelteilen zusammen, überwachen den Start, steuern Neigungswinkel und Rotation der Rakete und crashen sie anschließend ins Meer, weil ihr Schwerpunkt nicht richtig ausbalanciert war. In diesem Fall ist die Rede von einem kleinen Spiel namens Kerbal Space Program.
In KSP übernehmen wir die Kontrolle über eine Raumfahrtagentur aus kleinen grünen Männchen auf dem erdähnlichen Planeten Kerbin. So putzig die Aufmachung, so hart ist der Kern: Kerbal Space Program basiert nämlich auf beinahe lebensechter Physik, die beim Bau der Rakete beginnt und beim Orbit den Mond noch lange nicht ihr Ende nimmt. Stimmt die Masseverteilung der Rakete nicht, wird sie beim Start schon kippen und möglicherweise explodieren. Zu wenig Treibstoff dabei? Dann stürzt sie eben kurz vor Verlassen der Atmosphäre zurück ins Meer. Gyroskope und Kreiselmotoren falsch angebracht? Dann kommt die Rakete vielleicht ins All, lässt sich dort aber nicht mehr richtig steuern und treibt davon. Denn eine funktionstüchtige Rakete zu bauen ist zwar das erste schwere Hindernis, doch ist das erst einmal überwunden, wartet die eigentliche Herausforderung auf den Spieler: Wie in eine stabile Umlaufbahn eintreten, und wie diese wieder verlassen, es vielleicht sogar bis zum Mond und in dessen Umlaufbahn oder noch weiter hinaus schaffen? Natürlich kommt es auch hier auf Treibstoff und Steuermodule an, vor allem aber darauf, wie gut man sein Vehikel lenkt, ob man im richtigen Moment Schub gibt und ob man weiß, wann man in die entgegengesetzte Richtung zu boosten beginnen muss, um sich von der Gravitation des gewünschten Himmelskörpers einfangen zu lassen. Dazu braucht es Kenntnisse über astronomische Begriffe wie Apoapsis und Periapsis, die Punkte einer Umlaufbahn mit größten beziehungsweise niedrigstem Abstand zum zentralen Körper, die Kerbal Space Program dem Spieler on the fly beibringt – was nicht selten dazu führt, dass man den Punkt beim ersten Mal verpasst und seine Rakete mitten in den Mond feuert. Wie angedeutet ist das Zerstören und Neuversuchen einer der treibenden Faktoren für den Drang, Kerbal Space Program zu spielen: „Schaffe ich es vielleicht nicht doch ein Stück weiter ins All, wenn ich diesen Teil weglasse, oder fliegt mir dann die Pilotenkapsel um die Ohren?“
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