Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2015. Hinweise zum Ablauf des Bewerbs und wie ihr dabei Abstimmen könnt findet ihr hier. Informationen über die Autoren der Wettbewerbsbeiträge findet ihr jeweils am Ende der Artikel.
sb-wettbewerb
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Dass Videospiele gewalttätig machen, Zeitverschwendung sind und niemals Kunst sein können, war lange Zeit allgemein bekannt. Dass sie Spaß machen, die Koordinationsfähigkeit steigern und Kreativität fördern können, ist vielen, gerade älteren Menschen noch ein sehr fremder Gedanke. Tatsächlich aber werden interaktive Computerspiele mittlerweile immer häufiger zu Lehrzwecken eingesetzt. Und nicht nur trockene, eigens auf den Lerneffekt ausgelegte Serious Games. Das lego-ähnliche Aufbauspiel Minecraft hat, laut eigener Website bisher knapp 21 Millionen Exemplare verkauft – allein auf PC, diverse Handy-, Tablet- und Spielkonsolenversionen noch nicht mit eingerechnet. Und trotz oder gerade aufgrund dieses Erfolgs ist Minecraft teil eines Bildungsprogramm für Schulen, bei dem das Klötzchenbauen im Unterricht eingesetzt werden kann. In einer schwedischen Schule steht das sogar als Pflichtfach im Stundenplan, andere nutzen es zum Beispiel in Geschichte, um historische Schauplätze nachzustellen. Spiele sind ein guter Weg, um Kinder und Jugendliche an ein Thema heranzuführen. Denn etwas selbst zu beeinflussen, auszuprobieren, es vielleicht auch erst einmal kaputt zu machen und aus seinen Fehlern zu lernen macht schlicht und einfach Spaß. Das – besonders den ‚Kaputtmachen‘-Teil – hat auch die NASA erkannt.

Fast jedes Kind möchte irgendwann in seinem Leben wahrscheinlich einmal Astronaut oder Raumschiffbauer sein, aber nur die wenigsten werden es. So faszinierende Themen Weltraum und Raumfahrt sind, so abschreckende können sie auch sein. Physikunterricht in der Schule ist meist trocken und kompliziert, Astrophysik wird so gut wie gar nicht angesprochen. Die Nachrichten, die wir in den Medien über Raketenstarts und Marslandungen mitbekommen, werden zwar meistens voller Euphorie übermittelt, erwecken aber auch immer irgendwie den Eindruck, dass solche Errungenschaften nur den absolut elitärsten Genieforschern vorbehalten wären. Da liegt die Vermutung nahe, dass das irgendwann zu einem Nachwuchsproblem führen könnte, wenn es nicht sogar schon eines gibt.

Dagegen biete die Welt der Videospiele einen krassen Kontrast. Obwohl – oder gerade weil – wahrscheinlich die wenigsten Spieler für sich eine Zukunft in der Raumfahrt sehen, sind Videospiele mit Weltraumthema ein absoluter Dauerbrenner. Eines der ersten Computerspiele überhaupt hört auf den Titel Spacewar, ursprünglich entwickelt als Demonstration der technischen Möglichkeiten eines graphischen Displays. Das war in den frühen Sechzigern. Heute steuern wir in Science Fiction-Simulationen gigantische Raumschiffe in Todesstern-ähnliche Raumstationen, wo wir auftanken und einen Frachtraum voller Unobtanium kaufen, den wir dann auf dem weitestmöglich entfernten fiktiven Planeten für möglichst viele Credits verkaufen. Oder, und das bringt uns deutlich näher an das eigentliche Thema dieses Textes, wir bauen auf einer fiktiven Version der Erde Raketen aus realistischen Einzelteilen zusammen, überwachen den Start, steuern Neigungswinkel und Rotation der Rakete und crashen sie anschließend ins Meer, weil ihr Schwerpunkt nicht richtig ausbalanciert war. In diesem Fall ist die Rede von einem kleinen Spiel namens Kerbal Space Program.

Eigener Screenshot, Kerbal Space Program Demo

Eigener Screenshot, Kerbal Space Program Demo

In KSP übernehmen wir die Kontrolle über eine Raumfahrtagentur aus kleinen grünen Männchen auf dem erdähnlichen Planeten Kerbin. So putzig die Aufmachung, so hart ist der Kern: Kerbal Space Program basiert nämlich auf beinahe lebensechter Physik, die beim Bau der Rakete beginnt und beim Orbit den Mond noch lange nicht ihr Ende nimmt. Stimmt die Masseverteilung der Rakete nicht, wird sie beim Start schon kippen und möglicherweise explodieren. Zu wenig Treibstoff dabei? Dann stürzt sie eben kurz vor Verlassen der Atmosphäre zurück ins Meer. Gyroskope und Kreiselmotoren falsch angebracht? Dann kommt die Rakete vielleicht ins All, lässt sich dort aber nicht mehr richtig steuern und treibt davon. Denn eine funktionstüchtige Rakete zu bauen ist zwar das erste schwere Hindernis, doch ist das erst einmal überwunden, wartet die eigentliche Herausforderung auf den Spieler: Wie in eine stabile Umlaufbahn eintreten, und wie diese wieder verlassen, es vielleicht sogar bis zum Mond und in dessen Umlaufbahn oder noch weiter hinaus schaffen? Natürlich kommt es auch hier auf Treibstoff und Steuermodule an, vor allem aber darauf, wie gut man sein Vehikel lenkt, ob man im richtigen Moment Schub gibt und ob man weiß, wann man in die entgegengesetzte Richtung zu boosten beginnen muss, um sich von der Gravitation des gewünschten Himmelskörpers einfangen zu lassen. Dazu braucht es Kenntnisse über astronomische Begriffe wie Apoapsis und Periapsis, die Punkte einer Umlaufbahn mit größten beziehungsweise niedrigstem Abstand zum zentralen Körper, die Kerbal Space Program dem Spieler on the fly beibringt – was nicht selten dazu führt, dass man den Punkt beim ersten Mal verpasst und seine Rakete mitten in den Mond feuert. Wie angedeutet ist das Zerstören und Neuversuchen einer der treibenden Faktoren für den Drang, Kerbal Space Program zu spielen: „Schaffe ich es vielleicht nicht doch ein Stück weiter ins All, wenn ich diesen Teil weglasse, oder fliegt mir dann die Pilotenkapsel um die Ohren?“

All diesen Spaß hat schließlich auch die National Aeronautics and Space Administration für sich entdeckt. Nicht als Pausenbeschäftigung für Raketenwissenschaftler, sondern als Werkzeug, um junge Menschen näher an die Materie der Raumfahrt heranzubringen und so vielleicht den ein oder anderen Zocker in eine wissenschaftliche Ausbildung zu bewegen. Im März 2014 kündigten Squad, die Entwickler von Kerbal Space Program, eine offizielle Zusammenarbeit mit der NASA an: Im Rahmen deren Asteroid Redirect Missionwurde selbiges Projekt von NASA-Mitarbeitern extra für KSP programmiert und eingefügt. Darin geht es, wie der Name andeutet, grob darum, einen großen Felsbrocken von einem Asteroiden aufzunehmen und in eine stabile Umlaufbahn um unseren Mond zu leiten, wo er dann von Astronauten untersucht werden kann. Und genau das kann man nun eben auch in Kerbal Space Program: Mit originalen NASA-Raumschiffteilen und einem Asteroiden-Greifarm die Mission simulieren und vielleicht feststellen, wie viel Spaß man daran hat, an so etwas herumzuexperimentieren. Selbstverständlich kann man mit dem Greifarm auch eine ganze Menge andere Späße anstellen, weswegen sich auch die weniger wissenschaftsaffinen KSP-Spieler sehr über das Update gefreut und der NASA gedankt haben. Sie nutzt also ein Videospiel im schlechtesten Fall als Werbung und im besten zur Bildung und vielleicht zur Rekrutierung.

“The collaboration with Kerbal Space Program can help drive interest by future explorers in next-generation technology development and deep space exploration. Having an element of the experience based in the reality of NASA’s exploration initiatives empower players to manage their own space program while getting valuable insight into the reality of studying asteroids as a next step in getting to Mars.”

Bob Jacobs, Deputy Associate Administrator of Communications, NASA. Quelle

Eigener Screenshot, Kerbal Space Program Demo

Eigener Screenshot, Kerbal Space Program Demo

Mit dem Einbau der Asteroid Redirect Mission legt die NASA übrigens – wie in obigem Zitat eben angedeutet – bewusst einen Fokus auf die Reise des Menschen zum Mars. Das klingt erst einmal zusammenhangslos, ist aber bei näherer Betrachtung ziemlich einleuchtend: Der Transport eines solchen Felsens stellt ein ähnliches logistisches Problem dar wie der Transport von viel schwerer Ausrüstung zum Mars. Das Einführen des Asteroidenbrockens in den Orbit ist eine ideale Gelegenheit, um die Manövrierfähigkeit der vorhandenen Technik auf die Probe zu stellen. Jede Menge andere Gründe hat die NASA auf der verlinkten Infoseite erläutert, einer, der so simpel wie logisch ist dürfte aber zudem schlichtweg sein: Geht im Einflussbereich des Mondes etwas schief, ist innerhalb weniger Stunden oder Tage eine Rettungsmission vor Ort. Passiert der gleiche Fehler später auf dem Mars, überleben die Betroffenen die sechs bis neun Monate Reisezeit des Rettungsschiffs wohl kaum.

Fazit: Nur weil die NASA eine Gelegenheit in einem Videospiel sieht, heißt das natürlich nicht, dass alle Spiele lehrreich sind. Die meisten wollen einfach nur Spaß machen und sind darin mal mehr, mal weniger erfolgreich. Aber die Kooperation zwischen Squad und NASA und auch das Minecraft-Schulprojekt zeigen schön, wie man aus reinen Unterhaltungsmedien viel mehr Nutzen ziehen kann als zunächst gedacht. Wie viel Nutzen, das wird sich zeigen. Aber wenn in zehn oder zwanzig Jahren auch nur ein einziger Wissenschaftler auf seine ersten Berührungspunkte mit dem Kosmos in Kerbal Space Program zurückdenkt, hat es sich doch schon gelohnt.

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Hinweis zum Autor: Der Artikel wurde von “FalseShepard” veröffentlicht: “Ich studiere Anglistik und blogge für gewöhnlich als @FalseShepard über Videospiele(kultur) auf www.indieflock.net.”

Kommentare (13)

  1. #1 Silava
    30. September 2015

    Das war ein schöner, informativer Artikel. Ich sollte mir auch mal Kerbal Space Program anschauen. Ich denke das ist eine gute Idee wenn die NASA Content für so ein Spiel beisteuert.

    Und wer sich nicht an einer unrealistischen Physik stört, dafür aber mal die Seite des BWL’ers erkunden will, dem empfehle ich “EVE Online”, auch bekannt als “Excel in Space”.

  2. #2 Crazee
    30. September 2015

    Ich weiß nicht, ob ich mich für den Hinweis auf ein interessantes Stück Software bedanken oder über viel demnächst verbrauchte Zeit ärgern soll. 😉

  3. #3 Nora
    30. September 2015

    Oh je oh je… ich schließe mich Crazee an 🙂
    Und würde darüber hinaus verallgemeinern: Spiele sind ein guter Weg, Menschen jedes Alters an ein Thema heranzuführen!

  4. #4 Rex-Lii
    30. September 2015

    Computerspiele eignen sich sehr gut zum lernen und zum entdecken.

    Ich liebe zb immer die Physik der Spiele, auch wenn sie nicht immer realistisch ist. Oder eben weil es nicht realistisch ist.
    Mein Lieblingsbeispiele sind hier die Spiele Portal und Portal 2. In beiden Teilen der Serie muss man eigentlich nur Levels lösen, primär mit meiner sogenannten Portal Gun (Deutsch: Portal Kanone) die quasi Wurmlöcher erstellen kann. Was durch Portal A geht kommt bei B wieder raus und vice versa.
    Dadurch bleibt die schwindigkeit erhalten.

    Es gibt dann physik rätsel wo ich eigentlich nur von A nach B kommen muss, aber da sind mehrere Dinge im Weg. Meist muss man nur n Würfel auf nen Schalter legen. Nur wo ist dieser blöde Würfel?

    Ich schweife ab, Tut mir Leid.

    Das Spiel ist nihct wirklich realistisch und das versucht es auch gar nicht. Aber es macht spass mit der Physik der Portal Gun rumzuspielen und so zB mal durch die gegend zu fliegen.

    Ich hätte sogar ein kleines 1-minütiges Beispielvideo vom Rumfliegen von mir, aber ich weiss nicht ob ich es hier posten darf.

    Anyways. Man findet auf Youtube ja genug Videos und Let’s Plays (bzw Walthroughs) von diesen beiden Spielen.

  5. #5 Florian Freistetter
    30. September 2015

    @Rex-Lii: “Man findet auf Youtube ja genug Videos und Let’s Plays (bzw Walthroughs) von diesen beiden Spielen.”

    Da verweis ich doch gleich mal auf die Verwandtschaft 😉 https://www.youtube.com/user/Nova4SC (bzw hier: https://www.youtube.com/playlist?list=PLRefYqiPDkQDxvB1pFnQVTPD4AT1tRXeJ)

  6. #6 Rex-Lii
    30. September 2015

    da ist aber wedr Portal 1, noch Portal 2 😮

    Anyway. Ich werde evtl nächstes Jahr im Blogwettbewerb über Portal schreiben und dessen interessante physik 🙂

  7. #7 FalseShepard
    30. September 2015

    Ich freue mich, dass ich hier mit dem Videospielthema auch einige Leute ansprechen konnte, ich hatte etwas Sorge 🙂

    @Silava
    Übers Rechnen lernen durch Wirtschaftssimulationen ließe sich wahrscheinlich auch herrlich sinnieren. Man lernt sowieso überraschend viel. Ich habe mir in der Grundschule durch Final Fantasy selbst Englisch beigebracht, irgendwie ist das also für mein Studium verantwortlich…^^

    @Rex-Lii
    Portal ist ein sehr gutes Beispiel für Physikspielereien! Ähnlich würden mir da noch The Ball und The Talos Principle einfallen. Bei Portal könnte man sich dann direkt noch über künstliche Intelligenz beziehungsweise programmierte Persönlichkeiten unterhalten, wo mir dann direkt noch System Shock, Mass Effect oder The Fall einfallen würden…Aber ich schweife zu sehr ab 😀

    @Florian Freistetter
    Nett! Ich liebe es, Leuten beim KSP spielen zuzuschauen. Je besser sie es können, desto mehr lernt man selbst, auch wenn man nicht die Geduld aufbringt, sich das Spiel eigens beizubringen. Werde da mal reinschauen^^

  8. #8 Rex-Lii
    1. Oktober 2015

    Schade gibt es hier nich mehr Kommentare, dieser Artikel ist locker in den Top 3 oder top 2 meinr Favorisierten Artikel hier im Wettbewerb 🙂

  9. #9 BreitSide
    1. Oktober 2015

    Stimmt. Spiele wecken die Lust darauf, das endlich mal in RealLife machen zu können. Und das kann einer guten Sache nur nützen.

  10. #10 HF(de)
    1. Oktober 2015

    Ich schaue täglich zumeist abends hier bei scienceblogs herein und dachte, ich hätte alle Artikel des Wettbewerbs gelesen. Diesen schönen Beitrag hab ich gestern aber übersehen und lese ihn nur zufällig jetzt. Ev. ging es anderen auch so?

  11. #11 Dampier
    1. Oktober 2015

    Cool, sehr interessanter Artikel!

    Hab auch schon länger Lust, das zu spielen. Gibt’s das auch für Mac? Braucht man Steam dafür?

    Der darf natürlich nicht fehlen:
    https://xkcd.com/1356/

  12. #12 FalseShepard
    3. Oktober 2015

    @HF(de)

    Das kann ich mir auch vorstellen. Wenn ja schade, dass die Position einen solchen Unterschied machen kann 🙁

    @Dampier

    Toller Comic!
    Das Spiel gibt es laut Steam-Seite auch für Mac und Linux, und auf der KSP-Seite kannst du das Spiel für Steam oder gog.com kaufen, letzteres ist DRM-frei.
    https://kerbalspaceprogram.com/kspstore/index.php?p=22

  13. #13 DAD
    4. Oktober 2015

    Interessanter Beitrag zu einem Spiel, dass schon länger auf meiner Liste steht.
    Vielen Dank.