Es gibt Planeten, die gibts gar nicht. Nicht mehr zumindest. Einer davon ist “Theia”, ein marsgroßer Planet, der vor langer Zeit mit der Erde kollidiert ist. Dabei entstand unser Mond – aber damit er entstehen konnte, musste die Kollision auf eine ganz besondere Art und Weise ablaufen und Theia nicht nur ein Planet sein, sondern auch ein sogenannter Trojaner…

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Transkription

Sternengeschichten Folge 149: Theia der Trojaner und seine Kollision mit der Erde

Den Planeten Theia gibt es nicht mehr. Aber mit ziemlicher Sicherheit hat es in vor langer Zeit gegeben. Als unser Sonnensystem vor 4,5 Milliarden Jahren entstand, gab es dort mehr als die acht großen Planeten, die wir heute noch sehen können. Aus der großen Gas- und Staubscheibe die die junge Sonne umgeben hat, haben sich jede Menge Himmelskörper aller Größen gebildet. Aber der Platz hat nicht gereicht, damit auch alle überleben können. Auf ihren Bahnen kamen sich die jungen Planeten immer wieder nahe, kollidierten miteinander oder warfen einander aus dem Sonnensystem hinaus. Am Ende blieben die acht großen Planeten übrig, die heute noch friedlich ihre Runden ziehen. Auch an ihnen ging die wilde Kindheit des Sonnensystem allerdings nicht völlig spurlos vorbei. Wenn wir auf der Erde nachts zum Himmel schauen, sehen wir dort den Mond. Und seine Existenz ist das Resultat einer gigantischen Kollision bei der ein Planet völlig zerstört wurde: Theia.

Über die Entstehung des Mondes habe ich ja schon kurz in Folge 16 der Sternengeschichten gesprochen. Nach allem, was wir heute wissen, kann er nur bei einer großen planetaren Kollision entstanden sein. Die junge Erde muss mit einem Himmelskörper zusammen gestoßen sein, der etwa so groß wie der Mars war. Dieser heute nicht mehr existierende Planet hat den Namen “Theia” bekommen, denn so hieß in der griechischen Mythologie die Mutter der Mondgöttin Selene. Dass der Mond seinen Ursprung in der Erde gehabt haben muss, zeigt vor allem seine geologische Zusammensetzung. Das Material aus dem unser Begleiter besteht ist dem Material aus dem die Erde gebildet ist, enorm ähnlich. Würde er aus einer ganz anderen Ecke des Sonnensystems kommen, wäre das eigentlich nicht zu erwarten.

Wir wissen außerdem dank der Computersimulationen zur Entstehung der Planeten im Sonnensystem, dass dort früher viel mehr Planeten entstanden sind und die immer wieder miteinander kollidierten, bis sich alles ein wenig beruhigt hatte und ausreichend Platz für die restlichen Himmelskörper war. Aber damit bei einer Kollision zwischen zwei großen Objekten am Ende ein Himmelskörper wie der Mond entstehen kann, müssen bestimmte Bedingungen eingehalten werden. Würde man Theia und die Erde einfach frontal miteinander kollidieren lassen, dann würden dabei wahrscheinlich beide Objekte zerstört werden. Würden sie dagegen nur ein wenig seitlich aneinander stoßen, dann könnte nicht genug Material weit genug ins All geschleudert werden, um daraus einen so großen Himmelskörper entstehen zu lassen wie den Mond.

Die Kollision muss im richigen Winkel und mit der richtigen Geschwindigkeit stattfinden, damit einerseits die Erde überleben kann, andererseits Theia zerstört wird und am Ende auch noch der Mond dort entstehen kann, wo er entstanden sein muss. Und die geologischen Befunde machen die Sache noch ein wenig komplizierter. Wie ich in Folge 143 der Sternengeschichten erklärt habe, besteht der Kern der Erde aus Eisen. Ungefähr 30 Prozent unseres Planeten bestehen aus diesem Element. Beim Mond sind es aber nur 3 Prozent; sein Eisenkern ist viel kleiner und viel kleiner als man bei einem normalen Entstehungsprozess erwarten würde. Wären Erde und Mond einfach nur friedlich nebeneinander aus der gleichen Gas- und Staubwolke entstanden, dann sollte der Mond einen viel größeren Eisenkern haben. Hinzu kommen die geologischen Daten die die Astronauten der Apollo-Missionen direkt auf dem Mond selbst gesammelt haben. Die Gesteinsproben unseres Nachbarn zeigen, dass sich in ihnen genau die gleiche Mischung von Sauerstoff-Isotopen findet wie im Gestein der Erde. Und das ist wirklich seltsam.

Die Verteilung der Isotope, also der verschiedenen Variatonen eines chemischen Elements, war früher nicht überall im Sonnensystem gleich. Sie hing vom Abstand zur Sonne ab und wenn Erde und Mond genau die gleichen Eigenschaften zeigen, dann ist das ein deutlicher Hinweis, dass sie in der gleichen Gegend des Sonnensystems entstanden sein müssen. Sie bestanden aus dem gleichen Material und ursprünglich war auch Theia ein normaler Planet mit einem angemessen großen Kern aus Eisen. Als Erde und Theia kollidierten, sank der Eisenkern von Theia ins Innere der Erde und verschmolz mit dem dortigen Kern. Darum haben wir heute so viel Eisen in der Erde und unser Planet die höchste mittlere Dichte im ganzen Sonnensystem. Die Trümmer der Kollision die ins Weltall geschleudert wurden, bestanden aus dem Material der äußeren Schichten und formten sich dort zum Mond.

Aber: Wie soll Theia einerseits direkt in der Nähe der entstehen, andererseits aber mit entsprechender Geschwindigkeit und im richtigen Winkel mit der Erde kollidieren können? Planeten bewegen sich ja nicht wie es ihnen gerade Spaß macht; sie unterliegen der gravitativen Wechselwirkung und können sich nur auf entsprechenden Umlaufbahnen bewegen. Unter normalen Bedingungen müsste Theia irgendwo zwischen Erd- und Marsbahn entstanden sein, damit der Planet eine für eine Kollision passende Umlaufbahn entwickeln kann. Dort kann Theia aber nicht entstanden sein, da dann die Zusammensetzung seiner Isotope ganz anders gewesen wäre und sich heute die Zusammensetzung von Erde und Mond ebenfalls unterscheiden müsste. Wäre Theia aber dort entstanden wo die Erde entstanden ist, gäbe es einerseits keine vernünftige Kollisionsbahn und andererseits hätten die gravitativen Störungen der Erde von Anfang an verhindert, dass dort überhaupt ein großer Planet entsteht!

Die Situation ist allerdings nicht so hoffnungslos wie sie erscheint. Es gibt eine Möglichkeit, bei der Theia und Erde am gleichen Ort entstehen und auf die richtige Art und Weise kollidieren können. 2004 haben der Mathematiker Edward Belbruno und der Astronom Richard Gott eine entsprechende Hypothese vorgeschlagen. Sie hat mit den Trojaner zu tun…

Dabei geht es weder um den trojanischen Krieg aus der griechischen Antike und auch nicht um irgendwelche Computerviren. Es geht um ganz besondere Himmelskörper, die ich schon in Folge 31 der Sternengeschichten vorgestellt habe. Betrachten wir die Erde, die Sonne und einen dritten, kleineren Himmelskörper, zum Beispiel einen Asteroid, dann gibt es zwischen ihnen jede Menge wirkende Kräfte. Die Sonne beeinflusst mit ihrer Gravitation die Bahn der Erde und zwingt sie auf ihre Umlaufbahn. Die Erde beeinflusst auch die Sonne ein bisschen und lässt sie zumindest ein ganz klein wenig wackeln. Sowohl Erde als auch Sonne beeinflussen aber den Asteroid, dessen Bewegung daher ziemlich komplex ist. Schon im 18. Jahrhundert hat aber der französische Astronom Joseph-Louis Lagrange einen Spezialfall gefunden, der die Sache vereinfacht.

Bleiben wir beim Beispiel von Erde, Sonne und dem Asteroid. Hier gibt es nun fünf ganz besondere Punkte an denen sich alle wirkenden Kräfte exakt aufheben. Diese Punkte werden Lagrange-Punkte genannt und wenn sich der Asteroid genau dort befindet, dann können ihm die Störungen von Sonne und Erde nichts anhaben. Drei dieser Punkte befinden sich auf der Verbindungslinie zwischen Sonne und Erde und sie sind instabil. Das heißt, dass die auf den Asteroid wirkenden Störungen zwar verschwinden, wenn er sich EXAKT im Lagrangepunkt befindet, aber sehr schnell sehr groß werden, wenn er sich nur ein klein wenig davon entfernt. Die restlichen beiden Punkte sind allerdings stabil: Hier kann sich der Asteroid auch ein kleines Stück von den Punkten entfernen ohne das die Störungen allzu groß werden. Der Asteroid bleibt dann in der Nähe der Punkte und kann dort auch für sehr, sehr lange Zeiten existieren.

Die beiden stabilen Lagrangepunkte befinden sich nun direkt auf der Bahn der Erde; einer immer 60 Grad vor der Erde, der andere 60 Grad dahinter. Und es gibt Lagrangepunkte nicht nur für die Erde, sondern bei jedem großen Himmelskörper. Und Objekte die sich IN bzw. in der Nähe der Lagrangepunkte eines Himmelskörpers aufhalten, nennt man “Trojaner”. Den ersten realen Trojaner hat man Anfang des 20. Jarhunderts in einem der Lagrangepunkte des Jupiters entdeckt; heute kennt man dort schon ein paar tausend Trojaner-Asteroiden. Auch beim Neptun und beim Mars hat man schon einige Trojaner gefunden.

Und was hat das nun mit Theia zu tun? Belbruno und Gott schlugen vor, dass auch Theia ein Trojaner war. Damals, als die Planeten entstanden, schwirrte überall im Sonnensystem jede Menge Gas und Staub herum. In der Nähe der sich bildenden Erde wurde der ganze Kram durch die gravitativen Störungen schnell entfernt. Aber in den beiden stabilen Lagrangepunkten konnte sich das Material ansammeln und dort konnte ungestört ein weiterer Himmelskörper in unmittelbarer Umgebung unseres Planeten heranwachsen. So entstand Theia als Erd-Trojaner – aber irgendwann wurde es dann kompliziert.

Als Trojaner darf man nicht zu groß werden, sonst wird es unangenehm. Die Sache mit den Lagrangepunkten funktioniert nämlich nur dann, wenn der Trojaner deutlich kleiner als die Erde ist. Wird er zu groß, dann übt er selbst ebenfalls gravitative Störungen auf die Himmelskörper in seiner Umgebung aus und macht die schöne Stabilität zunichte. Als Theia bis auf 10 Prozent der Erdmasse herangewachsen, also ungefähr so schwer wie der Mars war, war aus mit der friedlichen Koexistenz. Beeinflusst durch Störungen nicht nur von der Erde sondern auch von der benachbarten Venus verließ Theia die sichere Umgebung des Lagrangepunktes und kam der Erde immer näher. Die simple Physik von Lagrange ließ sich nun nicht mehr anwenden, jetzt wirkte die volle Kraft und das Chaos das sich immer einstellt, wenn sich mehr als zwei große Himmelskörper gegenseitig durch ihre Gravitationskraft beeinflussen. Theia kollidierte mit der Erde, zerstörte sich dabei selbst und jede Menge Trümmer wurden ins All geschleudert. Die Erde verlor auch einiges an Material, überlebte aber den Zusammenstoß. Sie war nun von einem Ring aus Trümmern umgeben, aus dem sich während weniger Jahrzehnte der Mond formte.

Manche Wissenschaftler gehen sogar davon aus, dass es anfangs mehr als einen Mond gab! Nach diesem Modell hat sich zuerst ein kleinerer Mond gebildet und in einem von seinen stabilen Lagrangepunkte ein weiterer, noch kleiner Mond. Dort fand das gleiche Spiel statt wie zuvor bei Erde und Theia: Der Trojaner-Mond wuchs, wurde irgendwann zu schwer und kollidierte mit dem “Hauptmond”. Diese Hypothese soll erklären, warum die eine Hälfte des Mondes sich heute so sehr von seiner anderen Hälfte unterscheidet und eine viel dickere Kruste hat.

Ob unser Mond früher einmal einen Trojaner hatte, lässt sich vermutlich heute nur noch schwer herausfinden. Dass die Erde mit ihrem Trojaner Theia kollidiert ist, erscheint dagegen ziemlich sicher. Und die Chancen stehen übrigens gut, dass da draußen immer noch eine Trojaner in den Lagrangepunkten unseres Planeten existieren. Es kann gut sein, dass nicht alle Trümmer der damaligen Kollision zum Mond verschmolzen sind. Ein paar kleine Brocken könnten noch übrig sein und als Erdtrojaner in den stabilen Lagrangepunkten die Jahrmilliarden überdauert zu haben. Zumindest einer hat das tatsächlich getan: Im Jahr 2010 wurde der Asteroid 2010 TK7 entdeckt. Er befindet sich im dem der Erde vorauslaufenden Lagrangepunkt und ist der einzige derzeit bekannte Trojaner unseres Planeten. Eine Gefahr stellt er allerdings nicht dar. Im Gegensatz zur großen Theia verhält sich der kleine Asteroid mit seiner geringen Masse unauffällig genug um nicht aus der Umgebung des Lagrangepunktes hinaus geworfen zu werden…

Kommentare (6)

  1. #1 Captain E.
    2. Oktober 2015

    Dann wäre es wohl dringend angeraten, eine Retrieval-Mission zu 2010 TK7 zu schicken. Die Untersuchung von Bodenproben könnten ja ergeben, dass dieser Himmelskörper tatsächlich mit der Entstehung des Mondes zuammenhängt. (Ein späterer Einfang ist aber leider nicht auszuschließen.)

    Wie könnte man eigentlich am besten verifizieren, ob es weitere Trojaner in den Systemen Sonne-Erde bzw. Erde-Mond gibt, trojanischen Staub inklusive? Die Kordylewskischen Wolken werden zwar vermutet, sidn aber bislang alles andere als nachgewiesen, und dabei sind sie nur so um die 400.000 km von der Erde entfernt.

    Manch ein Physiker würde übrigens vielleicht darauf hinweisen, dass in den eigentlichen Lagrangepunkten ein labiles Gleichgewicht herrscht und diese daher praktisch unerreichbar sind. Aber bitte nicht falsch verstehen: Das soll dem Artikel nicht widersprechen, sondern nur erläutern, dass Objekte um die Lagrangepunkte kreisen und nicht in ihnen. Und das geht mit den beiden stabilen viel einfacher als mit den drei instabilen, die eigentlich nur für Sonden mit Antrieben geeignet sind.

  2. #2 BreitSide
    Beim Deich
    2. Oktober 2015

    Bei “Lagrange” muss ich immer an diese 3 (!) Herren denken:
    https://www.youtube.com/watch?v=lVSw5SBpZQg

    Ansonsten fand ich die Lagrange-Punkte immer schon faszinierend. Sind die notwendigen Bahnkorrekturen bei L1 und L2 vergleichbar mit denen geostationärer Satelliten?

  3. #3 AmbiValent
    3. Oktober 2015

    @Captain E.
    Ich denke, Trojaner sind nur zeitweise stabil. Der Planet, mit dem sie eine Bahn teilen, würde sie nicht selbst aus ihrem Orbit entfernen, wenn sie mit ihm und der Sonne allein im System wären. Die anderen Planeten stören aber immer noch deren Orbits, wodurch sie früher oder später doch dem “eigenen” Planeten in die Quere kommen und auf andere Bahnen gelenkt werden, vielleicht sogar ganz aus dem System geworfen werden.

    Im äußeren Sonnensystem (mit seinen größeren Abständen) könnten sich vielleicht noch Uralt-Trojaner befinden, aber ich glaube, die aus dem inneren System sind schon lange woanders. Hin und wieder könnte ein Hauptgürtelasteroid in einen Trojanerorbit gestört werden und dort eine Weile bleiben; ich nehme an, 2010 TK7 ist so einer.

  4. #4 Captain E.
    5. Oktober 2015

    Gewagte These, AmbiValent. Den Mars zählt man doch üblicherweise auch zum inneren Sonnensystem, und bei dem hat man auch Trojaner gefunden, insgesamt wohl neun Stück.

    Die von mir erwähnten “Kordylewskischen Wolken” bestünden übrigens aus vielen Minitrojanern des Erd-Mondes.

  5. […] Mond entstand bei einer gigantischen Kollision zwischen der jungen Erde und einem etwa marsgroßen Planeten (der dabei komplett zerstört wurde). Das Gold in der Erdkruste wurde beim Zusammenstoß der Erde […]

  6. #6 bikerdet
    17. November 2015

    Naja, die Marstrojaner könnten zB aus dem Asteroidengürtel stammen und erst später eingefangen worden sein.
    Bei der Erde gibt es drei und bei der Venus min. einen Körper, die sich auf einer s.g. ‘Hufeisenbahn’ (Wikipedia hilft) befinden. Diese Körper können sich ebenfalls aus den Lagrangepunkten gelöst haben und irgendwann dorthin zurückkehren. Die Übergänge zwischen Trojaner, Hufeisenobjekt und koorbitalem Objekt (wie bei 2003 YN107 oder 3453 Cruithne) sind fließend. Die Objekte wechseln mehr oder weniger regelmäßig ihren ‘Status’. Insbesondere 3453 Cruithne könne sich zu einem echten zweiten Erdmond entwickeln. Bei diesem Objekt ist die Wahrscheinlichkeit, das es ebenfalls bei der Kollision von Erde und Theia entstanden ist am größten.

    Es gibt aber noch eine zweite Möglichkeit, warum die Isotopenverteilung von Erde und Mond so ähnlich ist : Beide Körper sind komplett aufgeschmolzen worden und dieser Zustand hat lange genug gedauert, das es zu einer homogenen Verteilung der (ursprünglich unterschiedlichen) Isotope kam.

    Für die VTler war die identischen Isotopenverteilung übrigens ein Argument gegen die Mondlandung. Man war halt nicht dort gewesen und hat Steine von der Erde präsentiert ….