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Manchmal wünsche ich mir, Begriffe wie Wissenschaft oder Forschung könnte man als Trademark vor Missbrauch schützen. Ich denke, dann wäre es mehr Menschen klar, dass eine Billigkopie dieses Qualitätsproduktes nicht die gleiche Zuverlässigkeit bieten kann, wie das Original.
Bei asiatischen Billigkopien teurer Markenprodukte wissen die Leute, dass sie nicht dieselbe Lebensdauer und Funktionstüchtigkeit erwarten können. Niemand würde fragen, ob man das eine problemlos durch das andere ersetzen kann. Bei gefälschter Wissenschaft ist das irgendwie nicht so ganz rübergekommen. Während man bei gefälschten Markenprodukten intuitiv erfasst, mit was man es zu tun hat, hat gefälschte Wissenschaft bei uns irgendwie das Image des “Querdenkers“, der eben neue Wege geht.
Und prompt bin ich neulich über eine Webseite gestolpert, die zwar nominell über „Forschung und Wissen“ berichtet, die aber trotzdem fragt, ob man echte wissenschaftliche Untersuchungen nicht problemlos durch billige Kopien ersetzen kann:
“Doch muss es immer die streng wissenschaftliche Untersuchung sein? Reicht es nicht aus, wenn nach der Einnahme eines Präparates die Mehrzahl der Probanden über eine Besserung ihrer Beschwerden berichten?”
In diesem Artikel wird berichtet, eine Heilpraktikerin habe die Wirkung der Schüssler Salze in einer empirischen Studie nachgewiesen.
Die Idee hinter dem Verfahren, das sich auch „Biochemie nach Dr. Schüssler“ nennt, ist, dass gesundheitliche Probleme auf dem Mangel einiger weniger Mineralstoffe beruhen. Diesen Mangel soll man mittels Einnahme der Schüssler Salze beheben können. Nun ist hier offenbar schon einmal die Voraussetzung falsch. Es ist keineswegs so, dass alle unsere Wehwehchen auf einer Störung des Mineralstoffhaushaltes beruhen. Leider ist unser Körper komplexer. Dazu kommt, dass man mit den Schüssler Salzen niemals einen solchen Mangel ausgleichen könnte, denn diese werden in Anlehnung an die Homöopathie extrem verdünnt. Handelsüblich sind die Verdünnungen D6 (1: 1 000 000) und D12 (1: 1 000 000 000 000). Das Konzept ist also letztlich, einen angenommenen Mangel mit Mitteln auszugleichen, die das angeblich mangelnde Mineral in geringerer Menge enthalten als unsere Nahrung.
Ein Nachweis, dass dieses eigentlich unserem gesamten biochemischen Wissen widersprechende Verfahren tatsächlich funktioniert, wäre also eine echte Sensation. Komisch also, dass man nicht überall in den Medien davon erfahren hat.
Das hat ein wenig mit der Eingangsfrage zu tun:
“Doch muss es immer die streng wissenschaftliche Untersuchung sein? Reicht es nicht aus, wenn nach der Einnahme eines Präparates die Mehrzahl der Probanden über eine Besserung ihrer Beschwerden berichten?”
Wenn man krank ist, etwas einnimmt und danach geht es einem besser, dann geht man davon aus, dass das eingenommene Mittel geholfen hat. Man folgert das aus der zeitlichen Reihenfolge von Einnahme und Besserung.
Nur: Wenn wir einer Gruppe Schnupfenkranker verordnen, jeden Tag 3 x 10 Gummibärchen zu essen und sich zu schonen, dann wird auch “nach der Einnahme (…) die Mehrzahl der Probanden über eine Besserung ihrer Beschwerden berichten.” Nach obiger Logik helfen Gummibärchen also gegen Erkältungen.
Nun, das leisten Gummibärchen nicht wirklich, nicht wahr? Aber woher wissen wir das? Über den Vergleich mit Schnupfenkranken, die ebenfalls nach ein paar Tagen wieder gesund waren, ohne Gummibärchen zu essen.
Erst über den Vergleich kann man zu aussagekräftigen und zuverlässigen Schlussfolgerungen kommen. Ohne den Vergleich ist eine Schlussfolgerung schlicht nicht möglich, ein Fehlschluss, ein Trugbild oder auch ein Bestätigungsfehler, wie der Statistiker es nennen würde.
Was sagt es aus, wenn ich berichte, dass ein Mittel hundertfach geholfen habe? Gar nichts! Denn weder kann ich ausschließen, dass gleichzeitig Tausende nach der Einnahme des Mittels verstarben, noch dass die Genesenen auch ganz ohne das Mittel gesund geworden wären. Aussagekräftig werden solche Darstellungen immer erst über den Vergleich.
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