Ich bin es ja durchaus gewohnt, über wissenschaftliche Arbeiten zu “originellen” Themen zu schreiben. Ich habe schon Artikel über die Suche nach Teilchenbeschleunigern in anderen Galaxien geschrieben; über Außerirdische die Bergbau betreiben; über habitable Planeten in schwarzen Löchern und ähnlich kreative Forschung. Aber der Fachartikel den ich kürzlich gelesen habe, hat dann sogar mich ein wenig überrascht. Olga Chashchina von der École Polytechnique in Palaiseau und Zurab Silagadze von der Universität Novosibirsk haben untersucht, ob dunkle Materie Krebs auslösen kann (“Dark matter as a cancer hazard”).
Das sieht auf den ersten Blick nach einer höchst absurden Frage aus. Und auch beim zweiten Blick ändert sich daran nichts. Dunkle Materie? Krebserrgend? Wie soll das funktionieren? Aber wenn man dann auch noch ein drittes Mal hinsieht, dann ist die ganze Sache nicht so völlig unplausibel, wie es vielleicht aussieht.
Chashchina und Silagadze beziehen sich auf eine andere wissenchaftliche Arbeit aus dem Jahr 2012. Darin haben sich die beiden Forscher Katherine Freese und Christopher Savage gefragt, ob denn dunkle Materie mit dem menschlichen Körper kollidieren kann (und ich habe damals auch darüber berichtet). Dunkle Materie ist ein Forschungsgebiet mit vielen offenen Fragen. Wir wissen seit Jahrzehnten, dass “etwas” im Universum dafür sorgt, dass sich Sterne und Galaxien nicht so bewegen, wie man es erwarten würde. Die entsprechenden Beobachtungen sind deutlich und immer wieder bestätigt worden: Überall im Universum bewegen sich die Himmelskörper so als würden sie von sehr viel Materie gravitativ beinflusst, als man sehen kann. Und auch wissenschaftliche Theorien und Hypothesen aus anderen Gebieten wie der Kosmologie oder der Teilchenphysik bestätigen dass bzw. sagen voraus, dass es neben der normalen Materie auch noch eine fundamental andere Art der Materie gibt. Materie, die nicht mit elektromagnetischer Strahlung wechselwirkt und deswegen auch weder Licht absorbiert noch aussendet, also unsichtbar ist.
Wir wissen schon viel über diese “dunkle Materie” – und ich hab die bisherigen Erkenntnisse in dieser Artikelserie zusammengefasst – aber eben noch nicht alles. Und vor allem wissen wir noch nicht, aus welcher Art von Teilchen die dunkle Materie tatsächlich besteht. Ein direkter Nachweis ist bis jetzt noch nicht gelungen und das liegt vor allem daran, dass die dunkle Materie offensichtlich mit der normalen Materie so gut wie gar nicht wechselwirkt. Die dunkle Materie ist überall im Universum vorhanden; ständig werden wir von ihr durchströmt ohne etwas davon zu merken. Die dunkle Materie ähnelt dabei den Neutrinos (über die ich hier mehr erzählt habe): Auch diese Teilchen wechselwirken nicht mit normaler Materie und nicht mit elektromagnetischer Strahlung. Auch sie sind überall und in jeder Sekunde sausen ein paar Milliarden von ihnen durch unseren Körper ohne das wir etwas davon merken. Neutrinos sind dunkle Materie; aber von ihnen gibt es nicht genug, als dass sie schon die ganze Lösung des Problems sein könnten. Es muss noch andere, unbekannte Teilchen geben, die den Großteil der dunklen Materie ausmachen.
Aber eben weil sie kaum mit anderer Materie wechselwirken, sind sie enorm schwer nachzuweisen. Bei den Neutrinos hat es lange gedauert und enorme technische Anstrengungen waren nötig, um aus dem Strom an Abermilliarden Teilchen die in jedem Augenblick durch unseren Planeten sausen wenigstens eine Handvoll konkret nachweisen zu können. Bei der dunklen Materie versucht man es ebenfalls schon lange aber bisher noch ohne Erfolg.
Aber wenn es sie gibt, dann ist auch unser Körper ein Teilchendetektor. Ein sehr schlechter zwar, denn er enthält nicht genug Atome um eine ausreichende Menge an dunkler Materie einfangen zu können. Aber passieren kann es. Laut den Berechnungen der Wissenschaftler sind pro Jahr um die 30 Zusammenstöße zwischen Atomen in einem menschlichen Körper und Teilchen der dunklen Materie zu erwarten. Passieren tut uns dabei nichts. Die Energien bei den Kollisionen sind gering und vor allem viel geringer als es zum Beispiel der Fall ist, wenn Teilchen der kosmischen Strahlung aus dem All auf die Erde treffen.
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