Wissenschaftler sind große Visionäre, die das denken, was noch keiner zuvor gedacht hat. Sie entdecken Dinge und Phänomene, die noch niemand vorher kannte. Sie überschreiten Grenzen und finden vollkommen neue Wege, die Welt zu verstehen.
Aber: Wissenschaftler sind doch auch schrecklich dogmatisch. Sie verteidigen den Status Quo. Sie unterdrücken alle neuen Erkenntnisse die das etablierte Wissen in Frage stellen. Sie haben Angst vor dem, was sie nicht verstehen und lassen nicht zu, dass andere in ihren Elfenbeinturm eindringen.
Kreativ, progressiv und offen für alles Neue. Oder konservativ und zutiefst misstrauisch gegenüber jeder neuen Erkenntnis. Wie ist die Wissenschaft bzw. wie sind Wissenschaftler tatsächlich? Die beiden Positionen sind, so wie ich sie oben dargestellt habe, natürlich stark überzogen (obwohl diese Klischeebilder als Vorurteile in den Köpfen mancher Menschen durchaus genau so existieren). In der Realität treffen aber beide Beschreibungen zu – und das mehr oder weniger gleichzeitig. Wissenschaft ist offen und konservativ und dieser Gegensatz ist manchmal schwierig zu verstehen und noch schwieriger umzusetzen. Aber er ist auch fundamental wichtig für das Funktionieren der Wissenschaft.
Das ganze lässt sich gut an einem aktuellen Beispiel verstehen. Als ich letzte Woche über die angebliche Entdeckung einer außerirdischen Zivilisation berichtet und erklärt habe, dass keine solche Entdeckung stattgefunden hat, waren sehr viele Leute sehr verärgert. Sie fanden es unverständlich, dass sich die Wissenschaftler im allgemeinen und ich im speziellen so sehr dagegen wehren, die Existenz von intelligenten Aliens anzuerkennen. Es wurde kritisiert, dass die Beobachtungsdaten durchaus durch die Anwesenheit von Aliens erklärt werden könnten und das doch Grund genug sei, diese Hypothese ernst zu nehmen.
Hier zeigt sich der oben angesprochene Gegensatz ganz deutlich. Ich – und mit mir auch die meisten meiner Kollegen aus der Astronomie – haben absolut nichts gegen außerirdisches Leben! Ich habe in meinem Blog viele Artikel zu diesem Thema geschrieben. Ich habe ein ganzes Buch geschrieben, das sich mit der wissenschaftlichen Suche nach außerirdischem Leben beschäftigt! Diese Suche ist eines der aktivsten und interessantesten Forschungsgebiete der modernen Astronomie. Und selbstverständlich wünschen sich alle die sich damit beschäftigen, dass diese Suche erfolgreich verläuft.
Aber – und das ist ein sehr wichtiger Punkt! – Wünsche machen noch keine Realität. Vor allem und gerade nicht in der Wissenschaft. Hier muss man noch mehr als sonst darauf achten, die eigenen Wünsche und Vorstellungen nicht in die wissenschaftliche Arbeit einfließen zu lassen. Die ganze wissenschaftliche Methode ist nur dazu da, aus unseren subjektiven menschlichen Erkenntnissen objektives Wissen zu gewinnen. Wenn Forscher auf der Reproduktion von Ergebnissen beharren, auf Belege, statistische Daten, begutachtete Studien und so weiter, dann tun sie das, weil sie wissen das nur diese ständige Kontrolle dafür sorgt, dass die eigene subjektive Wahrnehmung nicht den Blick auf die Realität verstellt.
Ja, ich fände es genau so cool, dramatisch, faszinierend und beeindruckend wie der Rest der Welt, wenn wir wirklich irgendwo Anzeichen einer außerirdischen Zivilisation entdecken würden. Aber das sollte mich nicht dazu verleiten, bei der Beurteilung der vorhandenen Daten schlampig zu werden. Es ist verlockend, etwas für wahr zu halten, dass genau den eigenen Vorstellungen und Wünschen entspricht. Es ist verführerisch, in diesem Fall nicht ganz so kritisch hinzusehen wie man das ansonsten tun würde. Und da Wissenschaftler auch nur Menschen sind, geschieht genau das auch immer wieder. Aber trotz aller Faszination muss man probieren, weiterhin objektiv auf die Daten zu blicken.
Im Fall der “Alien-Zivilisation” sieht die Ausgangslage so aus: Astronomen haben einen Stern beobachtet und gesehen, das dessen Helligkeit schwankt. Das ist ein völlig normales Phänomen das bei viele Sternen auftritt und jede Menge komplett natürliche Ursachen haben kann. Eine der Ursachen ist zum Beispiel die Existenz von Planeten, die diesen Stern umkreisen und ihn dabei immer wieder mal ein bisschen verdunkeln. Auch die Vorgänge im Inneren eines Sterns können für variable Helligkeiten sorgen. Oder der Stern ist von einer Scheibe aus Gas und Staub umgeben, was vor allem bei jungen Himmelskörpern vorkommt. Und so weiter – es gibt jede Menge Möglichkeiten warum ein Stern seine Helligkeit ändern kann. Und natürlich ist es auch prinzipiell möglich, dass irgendwo eine Zivilisation von Aliens irgendwelche riesigen Strukturen im Weltall baut, die einen Teil des Sternenlichts abdunkeln.
Man darf aber nicht den Fehler machen, alle potentiellen Möglichkeit auch für gleichwertig und gleich wahrscheinlich zu halten! Sterne mit Planeten sind zum Beispiel enorm häufig und ein völlig normales und zu erwartendes Phänomen. Gleiches gilt für veränderliche Sterne bei denen Vorgänge im Inneren für Helligkeitsänderungen sorgen. Man hat schon sehr, sehr viele Sterne mit Planeten und sehr, sehr viele veränderliche Sterne beobachten und es wäre absolut nicht überraschend, noch einen weiteren davon zu beobachten.
Intelligentes Leben im All wurde dagegen noch nie entdeckt. Wir haben nur uns selbst als Beispiel und wenn wir diesen einen Datenpunkt betrachten, macht das die Lage nicht besser. Das Leben existiert auf der Erde seit circa 3,5 Milliarden Jahren. Und den überwiegenden Teil dieser enorm langen Zeit ist das Leben ganz wunderbar ohne Intelligenz ausgekommen. Intelligentes Leben im menschlichen Sinn; Leben, das eine technische Zivilisation hervorbringen kann, existiert erst seit ein paar tausend Jahren. Ein paar zehntausend bis hunderttausend Jahren, wenn man großzügig sein will. Auf jeden Fall aber ein vernachlässigbarer Zeitraum im Vergleich mit der Existenz des Lebens an sich.
Das Beispiel der Erde zeigt uns also, dass Leben sich nicht selbstverständlich zu intelligentem Leben entwickeln muss. Und das es durchaus sehr unwahrscheinlich ist, das so etwas passiert. Nun mag es in unserem Universum unzählige Planeten geben. Wir wissen dass Planeten überall sind und unter den Milliarden Planeten allein in unserer Milchstraße sind sicherlich sehr viele, auf denen Bedingungen wie auf der Erde herrschen (auch wenn wir bis jetzt noch keinen davon entdeckt haben). Und es ist durchaus plausibel wenn man annimmt, dass sich dort ebenfalls Leben entwickelt hat. Auf der Erde entstand das Leben mehr oder wenig sofort als die Bedingungen dafür gegeben waren. Wenn wir unseren Planeten wieder als Maßstab nehmen, dann sollte Leben im Universum häufig. Aber eben “nur” Leben, kein intelligentes Leben.
Die Hypothese “Die Helligkeitsschwankungen eines Sterns werden von intelligenten Aliens” verursacht ist also nicht gleich wahrscheinlich wie die Hypothese “Die Helligkeitsschwankungen eines Sterns werden von vorüberziehenden Planeten verursacht”. Im aktuellen Fall hat man aber Helligkeitsschwankungen beobachtet, die sich mit keiner der bekannten Möglichkeiten sofort und eindeutig erklären lassen. Das Licht des Sterns verändert sich auf eine Art und Weise, die man so bisher noch nicht beobachtet hat. Planeten sind dafür vermutlich nicht verantwortlich; es handelt sich auch nicht um einen veränderlichen Stern.
Also, doch Aliens? Nein – so funktioniert Wissenschaft nicht. Wir haben keine Ahnung, wie und was eventuell vorhandene intelligente Aliens für Sachen bauen würden mit denen sich ein Stern verdunkeln lässt. Oder ob sie das überhaupt tun würden. Und daher auch keine Ahnung, wie die durch die Anwesenheit von Aliens verursachte Helligkeitsänderung eines Sterns aussehen würde. Sie kann im Prinzip beliebig ausfallen, weswegen die Hypothese der Aliens auch immer auf jedes beliebige Phänomen anwendbar ist. Was die Hypothese allerdings auch ein wenig wertlos macht, wenn man damit irgendwas erklären will…
Ja, wir wissen noch nicht genau, wieso sich dieser spezielle Stern so verhält wie er das tut. Aber aus der Unwissenheit zu folgern, dass nur Aliens die Ursache sein können, ist weder logisch noch wissenschaftlich sinnvoll. Aber verlockend…
Und hier sind wir wieder beim Gegensatz zwischen Konservativismus und Offenheit. Einerseits muss man in der Wissenschaft konservativ sein. Man darf nicht jedem Wunsch und jeder neuen Idee sofort und blind vertrauen sondern sollte immer zuerst darüber nachdenken, ob nicht das bestehende Wissen ausreichend ist, um die gemachten Beobachtungen zu erklären. Im aktuellen Fall des sich seltsam verdunkelnden Sterns ist das so. Die beteiligten Wissenschaftler kommen in ihrer Arbeit zu dem Schluss, dass man die Helligkeitsschwankungen durch Staub erklären könnte, der von einem auseinanderbrechenden Kometen stammt. Wir wissen, das Kometen existieren; auch bei anderen Sternen. Wir wissen, das Kometen ihren Sternen nahe kommen und dabei zerbrechen können. Wir wissen, das dabei jede Menge Staub entsteht und das dieser Staub einen Stern verdunkeln kann und zwar auf eine Art und Weise die ungefähr so aussehen würde wie das, was man beobachtet hat. Es lässt sich in diesem Fall zwar nicht mit absoluter Sicherheit belegen, dass tatsächlich ein Komet der Grund für die Helligkeitsänderung ist. Aber es ist eine plausible Hypothese die sich komplett im Rahmen des bestehenden Wissens bewegt und keine zusätzlichen oder außergewöhnlichen Annahmen benötigt.
Wären Wissenschaftler aber ausschließlich konservativ, dann gäbe es keinen Fortschritt. Wenn man immer nur im schon Bekannten für Erklärungen sucht, dann kann man nichts völlig neues entdecken. Man muss sich also auch gleichzeitig eine gewisse Offenheit bewahren. In diesem Fall heißt das, dass Aliens zwar eine enorm unwahrscheinliche aber nicht völlig unmögliche Hypothese darstellen. Die man also auch nicht komplett verwerfen muss; zumindest nicht dann, wenn es keine unangemessen großen Ressourcen verbrauchen würde. Was nicht der Fall ist; der Stern wird so oder so weiter beobachtet und wenn man bei der Auswertung der Daten diese Hypothese im Hinterkopf behält, ist niemandem geschadet. Astronomen suchen auch so oder so im Rahmen zum Beispiel des SETI-Projekts nach Spuren außerirdischer Zivilisationen. Und wenn man das macht, dann ist es völlig angebracht, diesem Stern spezielle Aufmerksamkeit zu widmen. So lange man sowieso keine Idee hat, wo es sich allgemein zu suchen lohnt und wo nicht, ist dieses Zielobjekt so gut bzw. sogar noch besser als irgendein anderes. Die Wissenschaftler die sich mit den Helligkeitsänderungen des Sterns beschäftigt haben, sehen das genau so und entsprechende Beobachtungen im Rahmen von SETI sind schon geplant.
Aber wie gesagt: Nur weil man diese Beobachtungen macht, folgt daraus erst mal gar nichts. Am wenigsten die Existenz von Aliens. Wenn die Astronomen einerseits in ihrer wissenschaftlichen Arbeit festhalten, dass die Helligkeitsänderungen des Sterns am besten durch die Existenz eines auseinderbrechenden Kometen erklärt werden können, andererseits aber auch darüber nachdenken, ob man von dort Botschaften einer außerirdischen Zivilisation empfangen kann, dann tun sie genau das, was alle Forscher idealerweise tun sollten: Konservativ und offen für Neues zu sein!
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