Wenn man sieht, wie viele Menschen auf irgendwelchen absurden Horrormeldungen unseriöser Medien über angebliche Asteroideneinschläge, angebliche Weltuntergänge durch “Blutmonde”, “Wandelplaneten” etc hereinfallen, dann wird klar, dass hier noch großer Nachholbedarf bei der astronomischen Grundbildung herrscht. Ein eigenes Schulfach zur Astronomie gibt es nur in wenigen Bundesländern. Umso wichtiger wäre es, die Astronomie in den anderen naturwissenschaftlichen Fächern zu behandeln. Vor allem auch, weil kaum ein Fach so gut geeignet ist, Faszination für (Natur)Wissenschaft zu erzeugen wie die Astronomie. Um so tragischer ist es, wenn genau in diesem Bereich gekürzt werden soll. Aber genau das ist passiert gerade in Baden-Württemberg.
Deswegen möchte ich heute einen Gastbeitrag von Markus Pössel, Leiter am Haus der Astronomie in Heidelberg, veröffentlichen. Und vielleicht wollt ihr nach der Lektüre ja auch die gemeinsame Stellungnahme unterzeichen; bis Freitag ist es noch möglich, etwas an den geplanten Kürzungen zu ändern. Es wäre schön, wenn man bis dahin die Marke von 1000 Unterschriften noch erreichen könnte.
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In Baden-Württembergs Schulen sah es für die Astronomie bislang gut aus:
Ein Wahlfach in der gymnasialen Oberstufe gab es beispielsweise, und im
Physikunterricht im Gymnasium standen für alle physikalische Weltbilder
mit Paradebeispiel Sonnensystem auf dem Plan. Als Besonderheit gab es das
Verbundfach “Naturwissenschaft und Technik”, in dem sich Themen aus dem
Bereich “Erde und Weltraum”, aber zum Beispiel auch der Klimawandel
interdisziplinär behandeln ließen.
Ab 2016 bekommt Baden-Württemberg neue Bildungspläne. Die Entwürfe sind
seit Mitte September öffentlich – und in punkto Astronomie einigermaßen
schockierend: Das Verbundfach “Naturwissenschaft und Technik” ist jetzt
ganz auf technische Anwendungen ausgerichtet. Lehrer, mit denen ich über
das Haus der Astronomie im Kontakt bin, sagen uns, dass sie keine rechte
Möglichkeit sehen, ihre astronomischen Inhalte – oft mit viel Engagement
entwickelt und umgesetzt – in dem neuen Rahmen unterzubringen. Der Trend
setzt sich fort: Der Bereich Weltbilder in der Physik ist gestrichen, und
auch in Geografie müssen Schüler in Zukunft nichts mehr über die Stellung
der Erde im Sonnensystem wissen. (Zum Wahlfach Astronomie und zum
2-stündigen Physikkurs mit Schwerpunkt Astrophysik liegen noch keine
Vorschläge vor.)
Der Lichtblick: Noch sind das Entwürfe. Es folgt ein Anhörungsverfahren.
Bis zum 30. Oktober (diesen Freitag!) sind noch Rückmeldungen ans
Kultusministerium möglich. Auf Anregung einer Reihe unserer Partnerlehrer
(insbes. Sven Hanssen aus Stuttgart) hat das Haus der Astronomie einen
Offenen Brief verfasst (aktueller Stand: 650+ Unterschriften), der für die
Astronomie in den Bildungsplänen eintritt. Ich hänge den Text unten an;
wer unterzeichnen möchte, kann das gerne direkt hier in einem
Google-Formular tun:
Den offenen Brief pro Astronomie in Baden-Württemberg unterzeichnen
Wichtig wäre auch, dass das Kultusministerium Baden-Württemberg direkt
Rückmeldung von Lehrer/innen, Eltern, Schüler/innen, aber auch allgemein
an der Astronomie Interessierten bekommt. Das geht über dieses Formular
des Ministeriums:
Rückmeldeformular des Kultusministeriums Baden-Württemberg zu den Bildungsplänen
Wie gesagt: Rückmeldungen sind noch bis zum Freitag, den 30.10. möglich;
gegen Freitag Mittag machen wir dann auch unseren Offenen Brief
sendebereit und schicken ihn ein. Wir sind für jede Unterstützung – von
innerhalb oder außerhalb Baden-Württembergs – dankbar! Astronomie ist die
ideale Einstiegswissenschaft, um Schüler/innen für die Naturwissenschaften
ganz allgemein zu interessieren. Diese Chance sollte Baden-Württemberg
sich nicht vergeben.
Text des Offenen Briefs:
Gemeinsame Stellungnahme: Naturwissenschaften im Bildungsplan 2016
Grundlagenforschung liefert fundamentales Basiswissen über unsere Welt:
von unserer Einbettung in die Welt der Lebewesen (Evolution) bis zu
unserer Verortung auf einem eher kleinen Planeten im großen, weitgehend
lebensfeindlichen Weltall.
In den Bildungsplanentwürfen 2016 wurden Verweise auf unsere Stellung im
Kosmos im Vergleich mit der Version von 2004 so gut wie komplett entfernt.
Die Grundstruktur des Sonnensystems in der Geographie, Weltbilder und
Modelle (mit Beispiel Sonnensystem) in der Physik, ein Bewusstsein für die
Stellung des Menschen im System Erde und Weltall in NwT wurden ersatzlos
gestrichen.
Das bedeutet verpasste Chancen für die Leitperspektiven nachhaltige
Entwicklung (BNE) und Toleranz und Akzeptanz von Vielfalt (BTV), die sich
kaum eindringlicher vermitteln lassen als mit dem Blick auf die Erde als
Planet in den Weiten des Alls. Die zentrale Rolle des “Raumschiffs Erde”
in der Bildersprache des Umweltschutzes ist alles andere als ein Zufall.
Was der in Baden-Württemberg geborene Astronaut Alexander Gerst 2014 von
der Internationalen Raumstation ISS aus an Bildern aufgenommen und über
soziale Medien verbreitet hat, zeigt eindrücklich, wie die Ländergrenzen
beim Blick aus dem All verschwinden – und was wir Menschen bei aller
Verschiedenheit gemeinsam haben.
Ermöglichte “Naturwissenschaft und Technik” (NwT) im Bildungsplan 2004 als
echtes Verbundfach die Möglichkeit, in den Betrachtungsbereichen Mensch,
Umwelt, Erde und Weltraum und Technik komplexe wissenschaftliche Themen
interdisziplinär zu behandeln, ist es in der Version 2016 radikal auf die
Technik und ihre Anwendungen zusammengestrichen worden. Was engagierte
Lehrerinnen und Lehrer in den letzten zehn Jahren für NwT an
Unterrichtseinheiten z.B. zu Astronomie oder Klimawandel entwickelt haben,
ist nur noch eingeschränkt nutzbar, im schlimmsten Falle Makulatur.
Kontext ist für das Lernen naturwissenschaftlicher Themen entscheidend.
Der neue Bildungsplan erschwert Unterricht in denjenigen Kontexten, die
Studien zufolge für Schülerinnen und Schüler am interessantesten sind
(u.a. menschlicher Körper, Astronomie). Vor allem Schülerinnen werden
dadurch benachteiligt: Für sie ist der Kontext “technische Anwendungen”,
entlang dessen der Bildungsplanentwurf NwT strukturiert ist, nachweislich
besonders unattraktiv.
Wir, die Unterzeichnenden, begrüßen sehr, dass es zu den Bildungsplänen
Rückmeldungsmöglichkeiten und ein Anhörungsverfahren gibt, und bitten die
zuständigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Kultusministerium
dringend:
- Nehmen Sie den inhaltlichen Kompetenzbereich wissenschaftliche
Weltbilder / Erde und Weltraum wieder in die Bildungspläne für NwT,
Physik, Geographie und Sachkunde auf – im Sinne der Leitprinzipien BNE und
BTV. - Schaffen Sie im Bildungsplan NwT Raum für Kontexte wie Astronomie
und Klimawandel, die für Schülerinnen und Schüler gleichermaßen
interessant sind und Schülerinnen nicht benachteiligen. Stellen Sie
Bestandsschutz für erfolgreiche bisherige Unterrichtskonzepte sicher. - Lassen Sie im Bildungsplan NwT die Wissenschaften gleichberechtigt
neben die Technik treten, damit NwT wieder ein echtes Verbundfach
wird.
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