Wie viele Monde hat unsere Erde? Dumme Frage, könnte man meinen: Einen, und der heißt “Der Mond”! Und diese Antwort ist natürlich auch richtig. Aber irgendwie auch nicht so ganz. Denn wenn man sich die Sache genauer ansieht, dann wird die Sache schon ein wenig komplizierter. Da ist zum Beispiel der Asteroid Cruithne.

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Sternengeschichten Folge 156: Cruithne und die anderen Begleiter der Erde

Wie viele Monde hat unsere Erde? Dumme Frage, könnte man meinen: Einen, und der heißt “Der Mond”! Und diese Antwort ist natürlich auch richtig. Aber irgendwie auch nicht so ganz. Denn wenn man sich die Sache genauer ansieht, dann wird die Sache schon ein wenig komplizierter.

Da ist zum Beispiel der Asteroid Cruithne. Der hat einen Durchmesser von 3,3 Kilometern und wurde am 10. Oktober 1986 entdeckt. Obwohl er eigentlich schon 1983 entdeckt wurde, aber es hatte ein wenig gedauert bis feststellte, dass es sich in beiden Fällen um den gleichen Himmelskörper handelt. Die Umlaufzeit von Cruithne um die Sonne beträgt 364 Tage. Das ist ziemlich fast genau so lang, wie auch die Erde für eine Runde um die Sonne braucht. Und das bedeutet, dass auch die Umlaufbahnen von Cruithne und Erde sich sehr ähnlich sein müssen.

Schematische Darstellung koorbitaler Bahnen (Bild: gemeinfrei)

Schematische Darstellung koorbitaler Bahnen (Bild: gemeinfrei)

Genau das ist der Fall. Wenn zwei Himmelskörper gleich lang für eine Umrundung der Sonne brauchen, dann befinden sie sich in einer sogenannten “1:1 Resonanz”. Man nennt sich auch “koorbitale Objekte”. Die Trojaner-Asteroiden, die ich in Folge 31 der Sternengeschichten vorgestellt habe, sind genau solche Objekte. Diese Himmelskörper befinden sich immer 60 Grad vor oder hinter dem Planeten, mit dem sie sich die Umlaufbahn teilen. Bei Cruithne ist das allerdings anders. Er hat zwar die gleiche Umlaufzeit wie die Erde, im Gegensatz zu unserem Planeten aber eine ganz anders geformte Umlaufbahn. Der Orbit der Erde ist fast kreisförmig; die Bahn von Cruithne sehr stark exzentrisch, also viel langgestreckter. Während die Erde im Durchschnitt 150 Millionen Kilometer von der Sonne entfernt ist und sich dieser Abstand im Laufe der Zeit kaum ändert, bewegt sich Cruithne während eines Umlaufs zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Merkur hin und her. Außerdem ist die Bahn um 20 Grad gegenüber der Erdbahn geneigt.

Trotz dieser Unterschiede stehen Erde und Cruithne in einer ganz speziellen Wechselwirkung. Von der Perspektive der sich bewegenden Erde aus betrachtet befindet sich der Asteroid für etwa 190 Jahre lang näher an der Sonne als unser Planet und danach ebenfalls 190 Jahre lang ein kleines Stückchen weiter weg. Befindet er sich außerhalb der Erdbahn, dann ist er wenig langsamer als unser Planet so dass die Erde ihn einholen kann. Die beiden kommen sich immer näher; die Distanz wird aber nie geringer als 12 Millionen Kilometer. Es besteht also keinerlei Gefahr einer Kollision. Die nahe Begegnung der Erde sorgt für einen Austausch von Gravitationsenergie und Cruithne nimmt einen sonnennäheren Orbit ein. Für die nächsten 190 Jahre entfernt sich der Asteroid von der Erde aus gesehen, bis das ganze Spiel wieder von vorne beginnt.

Cruithne wird manchmal als “zweiter Mond” der Erde bezeichnet. In diesem Fall ist das aber definitiv nicht richtig, denn der Asteroid steht zwar in einer sehr speziellen dynamischen Beziehung mit unserem Planeten, umkreist aber unabhängig von ihm die Sonne. Cruithne ist auch nicht der einzige Himmelskörper auf den das zutrifft.

1998 wurde der Asteroid 1998 UP1 entdeckt. Er braucht für einen Umlauf um die Sonne ebenfalls 364 Tage, seine Bahn ist um 33 Grad gegenüber der Erdbahn geneigt und er pendelt zwischen den Bahnen von Venus und Mars hin und her. Er ist knapp 300 Meter groß und ebenfalls ein koorbitales Objekt in einer 1:1 Resonanz. Und auch hier besteht keine Gefahr einer Kollision; der Abstand zur Erde ist immer ausreichend groß.

Im Jahr 2000 fand man den knapp 150 Meter großen Asteroid YORP mit einer Umlaufzeit von 369 Tagen. Auch er ist ein koorbitales Objekt unseres Planeten und vor allem für seine besondere Rotation bekannt. YORP dreht sich alle 12 Minuten um seine Achse. Und wie Messungen die in den Jahren zwischen 2001 und 2005 gemacht wurden zeigen, erhöht sich diese Rotationsdauer ständig. Grund dafür ist der sogennante Yarkovsky-O’Keefe-Radzievskii-Paddack-Effekt oder abgekürzt: der YORP-Effekt, nach dem der Asteroid auch benannt wurde und über den ich in Folge 112 der Sternengeschichten schon gesprochen habe. Die asymmetrische Erwärmung des Himmelskörpers sorgt dafür, dass sich eine Rotationsgeschwindigkeit ganz langsam verändert und immer schneller wird.

Bewegung von 2002AA29 von der Perspektive der sich bewegenden Erde aus gesehen: Er folgt einer Hufeisenbahn (Bild: NASA, public domain)

Bewegung von 2002AA29 von der Perspektive der sich bewegenden Erde aus gesehen: Er folgt einer Hufeisenbahn (Bild: NASA, public domain)

Das nächste koorbitale Objekt wurde im Jahr 2002 entdeckt und heißt 2002 AA29. Er braucht 361 Tage für einen Umlauf um die Sonne und ist nur ein paar Dutzend Meter groß. Im Gegensatz zu den Umlaufbahnen von Cruithne, 1998 UP1 und YORP ist seine Bahn fast kreisförmig und liegt fast komplett innerhalb der Erdbahn. Man vermutet, das es sich um ein Bruchstück handeln könnte, das bei der Kollision eines Asteroiden mit der Erde oder dem Mond ins All geschleudert wurde. Von allen bekannten koorbitalen Objekten hat 2002 AA29 die erdähnlichste Umlaufbahn. Im Laufe von 95 Jahren nähert er sich ihr bis auf knapp 5 Millionen Kilometer an. Dann dauert es weitere 95 Jahre, bevor es eine weitere nahe Begegnung von knapp 5 Millionen Kilometer gibt, die aus der anderen Richtung erfolgt. Eine solche Umlaufbahn nennt man “Hufeisenbahn” und man kann sie bei koorbitalen Objekten oft beobachten.

Die Erde hat noch ein paar weitere solcher sogenannter “Quasi-Satelliten” oder “Erdbegleiter”. Echte “Monde” sind es aber nicht. Das gilt auch für den 2010 entdeckten Asteroid 2010 TK7. Seine Umlaufdauer um die Sonne beträgt 365,2 Jahre, ist mit der der Erde also fast identisch. Seine Bahn ist allerdings um 20 Grad gegenüber der Erdbahn geneigt und der Asteroid befindet sich die meiste Zeit über innerhalb der Erdbahn. Im Gegensatz zu 2002 AA29 oder auch Cruithne, die sich von der Erde aus gesehen mal von vorne und mal von hinten zu nähern scheinen und zwischen diesen beiden Punkten hin und her pendeln, nimmt 2010 TK7 allerdings keine Hufeisenbahn ein. Aus der Perspektive der Erde kann man den 300 Meter großen Himmelskörper fast immer in der gleichen Position sehen: Der Asteroid befindet sich immer ein Stück vor der Erde auf ihrer Bahn und läuft um den sogenannten Lagrangepunkt L4 herum, ist also ein Trojaner der Erde. Der kleinste Abstand zwischen Erde und 2010 TK7 beträgt 20 Millionen Kilometer; eine Kollision ist also nicht möglich.

All diese koorbitalen Begleiter der Erde sind nicht nur rein astronomisch sehr interessant sondern geben auch gute Ziele für Raummissionen ab. Die meisten anderen Asteroiden findet man weit entfernt in den Asteroidengürteln zwischen den Bahnen von Mars und Jupiter oder weit hinter dem fernen Neptun. Die erdnahen Asteroiden, die oft in geringer Distanz an unserem Planeten vorbei fliegen tun das sehr schnell und für eine Raumsonde ist es schwierig, diesen Geschwindigkeitsunterschied auszugleichen. Beziehungsweise es ist teuer, weil man dafür jede Menge Treibstoff benötigt.

Bei den Quasi-Satelliten ist das anders; zumindest dann, wenn ihre Bahn nicht zu stark gegenüber der Erdbahn geneigt ist, so wie im Fall von 2002 AA29. Sie könnte man auch mit sehr viel weniger Ressourcen erreichen und sie geben daher ideale Ziele für Forschungsmissionen oder gar bemannte Raumflüge zu Asteroiden ab. Und abgesehen davon, das man nie genug über Asteroiden wissen kann, sollten wir diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen. Wenn diese Himmelskörper schon so nett sind, uns auf unserem Weg um die Sonne zu begleiten, dann sollten wir ihnen zumindest einen kleinen Höflichkeitsbesuch abstatten…

Kommentare (16)

  1. #1 bikerdet
    20. November 2015

    @ Florian :

    Seitdem ich Deiner Buchempfehlung (Baxter : Das Multiversum : Zeit) gefolgt bin, finde ich immer wieder Hinweise auf ‘Cruithne’ . Ist das ‘selektive Wahrnehmung’ oder schreibst Du aktuell mehr über diese Objekte ??

  2. #2 Florian Freistetter
    20. November 2015

    @bikerdet: Naja, ich lass mich auch gern von den Büchern inspirieren, die ich lese. Die Idee, einen Podcast über Cruithne zu machen, hab ich bekommen, als ich das Buch gelesen habe. Aber selektive Wahrnehmung gibts natürlich auch… Wo stand denn nochwas über Cruithne?

  3. #3 Heljerer
    20. November 2015

    Cruithne: Wie wird das denn ausgesprochen?

  4. #4 Heljerer
    20. November 2015

    Hat sich erledigt. Hab’s in der engl. Wikipedia gefunden: Cruithne (/kruːˈiːnjə/[2] or /ˈkrʊnjə/)

  5. #5 bikerdet
    20. November 2015

    @ Florian :
    Ich recherchiere gerade an einem Vortrag im Sternwartenverein über die Trabanten. Da stößt man alle Naselang auf Cruithne.
    Ich tippe aber doch eher auf ‘selektive Wahrnehmung’. So wie man nach den Kauf eines neuen Autos praktisch nur noch dieses Modell im Straßenverkehr sieht …

  6. #6 Robert Tusch
    Hamburg
    20. November 2015

    Moin,

    Bei dem Asteroid 2010 TK7 hat sich aber ein Fehler eingeschlichen oder braucht der wirklich 365,2 Jahre?

    Gruß Robert

  7. #7 Florian S.
    20. November 2015

    @FF:
    Du schreibst die Rotationsdauer von YORP erhöht sich ständig. Steht das nicht im Widerspruch zum Ende des Absatzes, wo du schreibst, dass die Rotationsgeschwindigkeit schneller wird?

  8. #8 bitmess
    OH MY GOOD !!!
    20. November 2015

    Die Erde ist ein Zwergplanet. Sie hat ihre Umlaufbahn nicht freigeaeumt !

    🙂

  9. #9 Florian Freistetter
    20. November 2015

    @Robert: Nein, das ist ein Tippfehler.

  10. #10 Artur57
    20. November 2015

    Nun sagt das dritte Kepler’sche Gesetz ja, dass :

    Die Quadrate der Umlaufzeiten zweier Planeten verhalten sich wie die Kuben der großen Bahnhalbachsen.

    Demnach müsste Cruithne eine wesentlich längere Umlaufdauer haben. Aber dies ist eben keine normale Ellipse um die Sonne, es ist ein echtes Dreikörpersystem mit der Erde als durchaus maßgeblichem Mitspieler. Hier gibt es sehr anschauliche Animationen.

    Also wenn ich das richtig sehe, sind das heute gleich mehrere stabile Lösungen des Dreikörperproblems. Wo man lange dachte, die Lagrange-Punkte seien die einzigen.

    Beziehungsweise ja nicht ganz: es gibt immer noch diese Periodizität mit 380 Jahren. Und das hat man schon herausgefunden, trotz der bislang kurzen Beobachtungszeit? Da ist die Himmelsmechanik aber schon sehr weit.

  11. #11 Jens
    23. November 2015

    Hat die Erde diese koorbitalen Objekte eingefangen oder könnten es auch Bruchstücke aus der Zeit der Kollision der Erde mit Thea sein?

  12. #12 Alderamin
    23. November 2015

    @Jens

    Theoretisch könnte da Material von der Kollision sein, ich weiß aber nicht, ob das wahrscheinlich ist.

    Ich hab’ neulich in Bild der Wissenschaft gelesen, dass man annimmt, bei der Kollision der Erde mit Theia sei eine Menge Material aus dem Erde-Mond-System weggeschleudert worden, zum Teil bis in den Asteroidengürtel, wo es über kurz oder lang mit anderen Asteroiden mit hoher Geschwindigkeit kollidieren müsste. Daran könne man solche Meteoriten, die man dann auf der Erde fände, erkennen, und an diesen das genaue Alter des Mondes genauer bestimmen (die Proben vom Mond lieferten teilweise widersprüchliche Ergebnisse).

    Gefunden hat man freilich nocht nichts, aber man sollte die bisherigen Meteoritenfunde darauf hin untersuchen, ob sie nicht Bruchstücke der Erde-Theia-Kollision sein könnten, dann hätte man ursprünglicheres Material, als auf dem Mond oder der Erde zu finden ist.

    Also schwirrt da draußen noch Material von der Kollision herum, aber die Frage ist, ob auch welches in der Nähe der Erdumlaufbahn geblieben ist, oder ob nicht doch eher Asteroiden von außen dorthin gelangt sind. Weiß ich nicht.

  13. #13 AmbiValent
    27. November 2015

    Wären langfristig stabile Umlaufbahnen um die Erde herum eigentlich möglich, oder würden die Gravitationskräfte von Erde, Sonne und Mond dafür sorgen, dass Objekte auf Umlaufbahnen früher oder später entweder mit Erde oder Mond zusammenstoßen oder aus der Umlaufbahn um die Erde geworfen werden?

    (Die Gasriesen des Sonnensystems haben alle viele Monde, deren Masse ist aber viel geringer als die des Planeten, den sie umkreisen, während die Erde einen eher großen Mond hat. Und bei Pluto gibt es mehrere Monde, die kleineren kreisen aber alle deutlich außerhalb des großen Monds Charon)

  14. #14 Florian Freistetter
    27. November 2015

    @AmbiValent: “Wären langfristig stabile Umlaufbahnen um die Erde herum eigentlich möglich”

    Doch, die gäbs schon. Aber halt nicht überall. Und “langfristig” ist auch Ansichtssache. Ein paar Millionen Jahre gehen locker 😉

  15. #15 bitmess
    30. November 2015

    Der Mond ist ein Zwergplanet, denn er hat seine Umlaufbahn nicht freigeraumt.
    Da haben wir nochmal Glueck gehabt 🙂

  16. #16 Florian Freistetter
    30. November 2015

    @Bitmess: “Der Mond ist ein Zwergplanet, denn er hat seine Umlaufbahn nicht freigeraumt.”

    Der Mond ist ein Mond, denn sowohl Planeten als auch Zwergplaneten sollten die Sonne umkreisen und nicht irgendwas anderes.