Wenn Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen aufeinander treffen, dann streitet man sich gerne mal darüber, welche Wissenschaft denn nun die “beste” ist. Und wenn diese Streitigkeiten meistens nicht sehr ernst gemeint sind, sind sie doch interessant. Kann man denn überhaupt feststellen, ob eine Wissenschaft “besser” ist als die andere?
Wer das versucht, argumentiert dann meistens mit dem Tätigkeitsfeld der jeweiligen Forschungsrichtung. Physik sei dann zum Beispiel “besser” als die Biologie, weil die Forschungsobjekte der Biologie aus den Forschungsobjekten der Physik bestehen. Oder Chemie sei “besser” als Biologie, weil biologische Vorgänge immer auch chemischen Reaktionen beruhen. Und so weiter. Und am Ende kommt dann meistens die Mathematik und erklärt, dass ohne sie sowieso überhaupt keine Wissenschaft möglich ist und sie deswegen die beste und wichtigste von allen ist.
So wie auch in diesem schönen Video, in dem sich Physik, Chemie, Biologie und Mathematik musikalisch ob ihrer Wichtigkeit “bekämpfen”:
(Hmm – ich vermute mal angesichts des Titels und der Outfits, dass die Musik auf der Filmmusik von “Star Wars” basiert? So gut kenn ich mich mit Star Wars dann aber doch nicht aus…)
Ein nettes Video und jede Wissenschaft hat gute Argumente. Und natürlich stellt sich auch hier die Mathematik wieder über alle anderen. Das kann ich natürlich nachvollziehen, immerhin bin ich selbst Himmelsmechaniker; ich betreibe also mathematische Astronomie und bin ein großer Fan der Mathematik. Und auch Galileo Galilei hat mit seiner vielzitierten Aussage recht: “Das Buch der Natur wurde in der Sprache der Mathematik geschrieben”. Ohne Mathematik kann man keine Naturwissenschaft betreiben und insofern kann man ihre Bedeutung auch kaum überschätzen.
Trotzdem habe ich immer ein wenig Bauchweh, wenn man die Mathematik mit den anderen Naturwissenschaften zusammen wirft. Denn Mathematik selbst ist ja keine Naturwissenschaft. Mathematik ist eine Formalwissenschaft. Und eine Formalwissenschaft ist eine Wissenschaft, die sich mit der Analyse von formalen Systemen beschäftigt. Also, vereinfacht gesagt, mit einem Satz an Symbolen und Regeln die erklären, wie diese Symbole zu manipulieren sind. Das ist nicht nur in der Mathematik der Fall, sondern auch beispielsweise in der Grammatik oder der Informatik. Auch in der Logik oder in Teilen der Rechtswissenschaften findet man solche formale Systeme und wenn man sie untersucht, betreibt man Formalwissenschaft. Die Mathematik hat – vorerst – nichts mit der Realität zu tun. Wie ich schon in dieser Buchbesprechung geschrieben habe: In der Mathematik existiert alles, sofern es keinen logischen Widerspruch erzeugt. Und die Mathematiker probieren herauszufinden, was sich alles aus den vorgegebenen Regeln logisch widerspruchsfrei folgern lässt.
Erst wenn man Phänomene aus der Realität mithilfe mathematischer Symbole ausdrückt, wird die Mathematik zu einem Werkzeug der Naturwissenschaft. Die muss sich aber eben immer auch an der Natur messen. Hier gilt nicht: Alles was man sich vorstellen kann und was funktioniert muss auch existieren. Naturwissenschaften sind Wissenschaften, die empirisch arbeiten. In den Naturwissenschaften wird beobachtet, gemessen und experimentiert. Und der Wert einer Hypothese wird an ihrer Übereinstimmung mit den empirisch gewonnenen Fakten gemessen.
Formal- und Naturwissenschaft sind zwei völlig unterschiedliche Systeme. Und wenn sie auch massiv voneinander profitieren und die Naturwissenschaft ohne die Mathematik nicht existieren könnte, ist es doch nicht angebracht, sie mit den gleichen Maßstäben zu messen. Die Mathematik ist wichtig und steckt in allen Naturwissenschaft – aber sie steht nicht über ihnen. Das würde implizieren, dass Physik, Biologie, etc irgendwie aus der Mathematik folgen oder in ihr enthalten wären, was ganz offensichtlich Unsinn ist.
Übrigens: Auch die Astronomie ist eine Naturwissenschaft (obwohl ich schon Leute fälschlicherweise erklären gehört habe, sie wäre eine Formalwissenschaft, da sie mit ihren Forschungsobjekten ja nicht direkt experimentieren kann…). Und zumindest in diesem Video wird sie offensichtlich als Teil der Physik betrachtet (das entnehme ich zumindest dem Text). Dem kann ich als Astronom natürlich überhaupt nicht zustimmen 😉
Und wenn man schon eine Wissenschaft als die “beste” oder “wichtigste” definieren will, dann kann das doch logischerweise nur die Astronomie sein. Immerhin ist ihr Forschungsgebiet das gesamte Universum! Zeitlich und räumlich umfasst die Astronomie mit ihrer Forschung alle anderen Naturwissenschaften. Alles andere sind nur Spezialfälle 😉
Aber gut – ich will den Streit über die “beste” Wissenschaft nicht weiter anfachen. Das Universum ist groß (wie die Astronomie herausgefunden hat!) und es ist genug davon für alle Forschungsrichtungen da. Die Vertreter der verschiedenen Disziplinen laufen nicht Gefahr, einander irgendetwas “wegzuforschen”. Und – wie ja auch am Ende des Videos gesungen wird – nur gemeinsam wird man zu einem umfassenden Verständnis des Kosmos kommen.
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