Elektronen sind Elementarteilchen. Zusammen mit den up- und down-Quark machen sie den Großteil der Materie aus, die uns im Alltag unterkommt. Und natürlich sind Elektronen stabil. Wären sie es nicht, dann würde sich die Materie ständig auflösen und das ist ganz offensichtlich nicht der Fall. Aber: Sind sie wirklich stabil? Wie sieht es auf sehr langen Zeitskalen aus? Besteht vielleicht doch die Chance, dass die Elektronen irgendwann zerfallen?
Eine interessante Frage, die Teilchenphysiker kürzlich wieder ein wenig genauer beantworten konnten. Bevor ich aber erkläre, wie die Antwort aussieht und warum man sich damit überhaupt beschäftigt, sollte man das Wort “zerfallen” noch ein bisschen näher betrachten. Wenn ein Elektron zerfällt, heißt dass dann nicht, dass es kein Elementarteilchen sein kann?
Nicht unbedingt. “Zerfall” bedeutet in der Teilchenphysik nicht unbedingt zwingend, dass sich ein Objekt in seine Bestandteile auflöst. Wenn in den großen Beschleunigern Teilchen zur Kollision gebracht werden und bei diesen Kollisionen neue Teilchen entstehen, dann bedeutet das ja auch nicht, dass diese neuen Teilchen irgendwo in den kollidieren Teilchen drin gesteckt sind.
Es geht um Energie. Seit Albert Einstein wissen wir ja, das Energie und Masse im Prinzip das selbe sind. Wenn im Beschleuniger Teilchen kollidieren, wird die Energie, die ihrer Masse entspricht gewissermaßen freigesetzt und neue Teilchen können aus dieser Energie heraus entstehen. Und so ist es auch bei einem Teilchenzerfall. Das Elektron hat eine bestimmte Masse die einer bestimmten Energie entspricht. Sollte es instabil sein, dann heißt das nichts anderes als das diese Energie irgendwann aufhört, ein Elektron darzustellen und stattdessen andere Teilchen entstehen.
Das geht aber natürlich nicht beliebig! Es gelten jede Menge quantenmechanische Naturgesetze die diese Art des Teilchenzerfalls bestimmen. Da ist zum Beispiel die Energieerhaltung: Die Teilchen, die beim Zerfall eines Elektrons entstehen können zusammen nicht mehr Masse/Energie haben als das ursprüngliche Elektron. Neben der Energie muss aber auch die elektrische Ladung erhalten bleiben. Das Elektron ist elektrisch negativ geladen. Und die Ladung aller aus einem etwaigen Zerfall entstehenden Teilchen muss zusammengenommen ebenfalls negativ und genau so stark sein wie die des Elektrons.
Genau das ist auch der Grund, warum man davon ausgeht, dass das Elektron nicht zerfallen kann. Denn alle bekannte Teilchen die eine geringere Masse haben als das Elektron (zum Beispiel Neutrinos), sind elektrisch neutral. Es gibt für das Elektron also keinen bekannten Weg zu zerfallen, ohne dabei die Ladungserhaltung zu verletzen.
Zumindest nicht innerhalb des derzeitigen Standardmodells der Teilchenphysik. Dieses Modell ist enorm erfolgreich bei der Beschreibung der Teilchenwelt – aber wir wissen, dass es nicht umfassend genug ist. Es gibt einige Phänomene, die es nicht beschreiben kann (die Existenz der dunklen Materie, die Masse der Neutrinos, etc) und deswegen wird es irgendwann erweitert werden müssen. Vielleicht tauchen in dieser Erweiterung dann auch Teilchen oder neue Naturgesetze auf, die einen Zerfall von Elektronen erlauben.
Es lohnt sich daher, nach zerfallenden Elektronen zu suchen. Würde man so einen Vorgang beobachten, wäre das ein deutlicher Hinweis auf neue Physik jenseits des Standardmodells. Aber man kann schlecht ein Elektron unter ein Mikroskop legen und dann ein paar Milliarden Jahre lang abwarten, ob sich etwas tut. Deswegen nutzt man für solche Experimente die Statistik. Teilchenzerfälle sind zufällige Ereignisse. Sie finden nicht nach Fahrplan statt: Beträgt die durchschnittliche Lebensdauer eines Teilchens zum Beispiel 5 Minuten, dann ist das eben nur ein Durchschnitt. Manche dieser Teilchen werden schon nach 5 Sekunden zerfallen; manche werden 5 Jahre überleben.

Der Borexino-Detektor (Bild: Public Domain)
Betrachtet man nun also sehr, sehr viel Elektronen, dann sollte man zumindest ein paar finden, die eine sehr kurze Lebensdauer haben; selbst wenn Elektronen im Durchschnitt enorm lange stabil sind. Genau das haben Wissenschaftler am Borexino-Experiment in Italien getan (“A test of electric charge conservation with Borexino”). Der Borexino-Detektor dient eigentlich dem Nachweis von Neutrinos. Er besteht aus einem großen, unterirdischen Tank der mit einer speziellen Flüssigkeit gefüllt ist. Wenn Neutrinos mit Atomen dieser Flüssigkeit wechselwirken, entsteht ein Lichtblitz der mit entsprechenden Detektoren aufgezeichnet werden kann.
Die Flüssigkeit im Borexino-Detektor besteht aber auch vor allem aus sehr, sehr vielen Elektronen. 10 hoch 32 ungefähr; oder 100 Quintillionen (falls jemand was mit dieser Zahl anfangen kann). Und wenn auch nur eines dieser Elektronen zerfallen sollte, entsteht dabei ebenfalls ein ganz spezifischer Lichtblitz, den die Detektoren sehen könnten. Nach genau so einem Signal haben die Wissenschaftler in den Daten gesucht, die am Borexino-Detektor zwischen Januar 2012 und Mai 2013 aufgezeichnet wurden. Und haben nichts gefunden!
Das bedeutet nicht, dass Elektronen stabil sind. Aber es bedeutet, dass ihre durchschnittliche Lebenszeit mindestens 66 Quadrilliarden Jahre beträgt. Also 66.000.000.000.000.000.000.000.000.000 Jahre. Oder anders gesagt: 4,7 Trillionen Mal länger als die bisherige Lebensdauer des gesamten Universum! Wenn Elektronen instabil sind, dann sind sie es also auf eine sehr stabile Art und Weise 😉
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