Gründe für die im Wesentlichen nicht vorhandene Wissenschaftsvideoszene in Deutschland gäbe es noch viele. Zum Beispiel die mangelnde Förderung der Öffentlichkeitsarbeit. Bei Projektanträge, Bewerbungen und anderen Gelegenheiten zur Beurteilung einer akademischen Karriere spielt immer noch hauptsächlich die wissenschaftliche Publikationsliste eine Rolle. Je mehr Fachaufsätze veröffentlicht worden sind, desto besser stehen die Chancen auf eine erfolgreiche Universitätslaufbahn. Engagement in Lehre oder Öffentlichkeitsarbeit hat bestenfalls keinen Einfluss, schlimmstenfalls schadet man damit seiner eigenen Karriere. Dabei gäbe es auch in Deutschland genug Forscherinnen und Forscher die nicht nur willens sondern auch fähig wären, Wissenschaft der Öffentlichkeit zu präsentieren. Aber sie können sich dieses Engagement nur selten leisten, wenn sie im gegenwärtigen System wissenschaftlich arbeiten wollen. Vor allem dann nicht, wenn es sich um einen zeitlich und technisch so aufwendigen Weg wie die Produktion von qualitativ hochwertigen Internetvideos handelt.
Sieht man sich an, wie Wissenschaft in den klassischen Medien – also zum Beispiel den Zeitungen oder dem öffentliche-rechtlichen Fernsehprogramm – präsentiert wird, dann hat man auch immer noch sehr oft das Gefühl, dass neue Wege nicht wirklich erwünscht sind. Wissenschaft scheint hierzulande immer noch viel zu oft als etwas angesehen zu werden, das kompliziert und schwer verständlich zu sein hat. Etwas, das nur von honorigen Experten präsentiert werden darf und etwas, über das sich auf keinen Fall leicht und locker (oder gar humorvoll!) plaudern lässt (was natürlich nicht stimmt).
Ein Blick in den englischsprachigen Raum zeigt allerdings, dass das nicht nur möglich ist, sondern hervorragend funktioniert und eine große Anzahl an Menschen begeistern kann. Dieses Potential wird in Deutschland leider verschenkt. Ansätze sind zwar vorhanden: Zum Beispiel einige Produktionen unter Beteiligung von Harald Lesch (der allerdings bei genauerer Betrachtung auch wieder nur das klassische Klischee des dozierenden Professors bedient). Oder der YouTube-Kanal des Wissenschaftsjournalisten Lars Fischer („Wir werden alle sterben“), auf dem aber mittlerweile leider kaum noch neue Videos veröffentlicht werden. Genau so wie bei den Videos von „Kurzgesagt“, die sich bei ihren grafisch aufwendigen Produktionen nicht nur stark an den englischsprachigen Vorbildern orientiert haben sondern mittlerweile selbst hauptsächlich auf englisch veröffentlicht werden (und bei fast 850.000 Abonnenten mit der internationalen Konkurrenz durchaus mithalten können).
Klar ist aber auch: Es ist noch jede Menge Luft nach oben! Auf Dauer wird die Gruppe an Menschen, die man mit den klassischen Methoden der Wissensvermittlung erreichen kann, immer kleiner werden. Irgendwann müssen Forscher und Forschungseinrichtungen sich dazu durchringen, auch das Medium der Wissenschaftsvideos nicht nur ernst zu nehmen sondern auch einen Weg finden, es seinen Möglichkeiten entsprechend zu nutzen. Die Menschen ändern sich ebenso wie ihr Umgang mit den Medien. Ob sie will oder nicht: Die Wissenschaftskommunikation muss sich anpassen.
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