Wir haben im Standardmodell also Kraftteilchen und Materieteilchen. Oder “Bosonen” und “Fermionen”, wie es in der Physik heißt. Diese beiden Arten von Teilchen beschreiben nicht nur sehr unterschiedliche Dinge, sind haben auch unterschiedliche Eigenschaften. Das, worin sie sich unterscheiden, ist der Spin: Eine der hinterhältigsten Größen in der Teilchenphysik. Es ist – selbst für die Quantenmechanik – erstaunlich schwer sich vorzustellen, was das sein soll. “Spin” heißt ja erstmal nur so viel wie “Drehung”. Und meistens beschreibt man den Spin der Elementarteilchen anschaulich auch so, als würde sich da irgendwas drehen. Sich ein kleines Elementarteilchen vorzustellen, das sich um seine Achse dreht, ist nicht schwer. Aber es ist auch falsch, denn die Teilchen sind keine kleine Kugeln und sie drehen sich auch nicht. Für den quantenmechanischen Spin gibt es keine Entsprechung in der normalen Welt. Diese Größe ist tatsächlich nur rein mathematisch verständlich.
Wir bleiben aber trotzdem erst mal bei der – falschen – Vorstellung von sich drehenden kleinen Kugeln. Der Spin würde dann angeben, in welche Richtung die Rotationsachse zeigen kann. Wie in der Quantenmechanik üblich kann das nicht einfach irgendeine Richtung sein. Die Werte sind gequantelt, d.h. sie können nur ganz bestimmte Größen haben und nur die; Werte dazwischen sind nicht möglich. Elektronen oder Quarks können zwei verschiedene Richtungen für ihren Spin haben; bei anderen Teilchen können es weniger oder auch mehr sein.
Klassifiziert man die Teilchen anhand der möglichen Werte für den Spin, erhält man zwei verschiedene Gruppen. Alle Materieteilchen haben in der Sprache der Quantenmechanik einen halbzahligen Spin, d.h. ihr Spin lässt sich als ein halbzahliges Vielfaches des Planckschen Wirkungsquantums beschreiben, einer der Fundamentalkonstanten in der Physik. Die Kraftteilchen und auch das Higgs-Teilchen haben einen ganzzahligen Spin. Der Unterschied zwischen Kraft und Materie; zwischen Fermionen und Bosonen liegt also in den Werten, die der Spin annehmen kann.
Und jetzt sind wir auch bei der großen Symmetrie angekommen. Die Supersymmetrie schlägt vor, dass Fermionen und Bosonen gar nicht so deutlich voneinander getrennt sind wie wir das wahrnehmen. Jedes Fermion sollte ein Partnerteilchen haben, dass in allen Eigenschaften identisch ist – bis auf den Spin. Gleiches gilt für die Bosonen. Es ist ein bisschen so wie bei Materie und Antimaterie: Ein Elektron und sein Antiteilchen, das Positron sind auch komplett identisch und unterscheiden sich nur in der entgegengesetzen elektrischen Ladung. Genau so sollte es für jedes Fermion ein identisches Teilchen geben, das einfach nur einen anderen Spin hat. Oder anders gesagt: Jedes Fermion muss ein passendes Boson als supersymmetrischen Partner haben und jedes Boson ein entsprechendes Fermion. Oder noch einmal anders gesagt: Für jedes Materieteilchen gibt es ein zugehöriges Kraftteilchen und umgekehrt.
Die Supersymmetrie hebt also den Unterschied zwischen Kraft und Materie auf und erlaubt eine viel allgemeinere und umfassendere Beschreibung der Teilchenwelt. Diese einfachere Beschreibung erkauft man sich aber durch eine deutliche Vergrößerung des Inventars, das durch die Supersymmetrie mit einem Schlag verdoppelt wird. Sie sagt jede Menge neue Teilchen und Kräfte vorher. Von denen wir bisher noch absolut nichts beobachtet haben.
Wären die supersymmetrischen Teilchen wirklich bis auf den Spin exakte Kopien ihrer normalen Partner, dann müssten wir sie schon längst entdeckt haben. In Teilchenbeschleunigern können wir Teilchen aller Art produzieren. Es hängt nur davon ab, wie viel Energie bei den Kollisionen dort freigesetzt wird. Wenn die Energie größer als die zugehörige Masse eines Teilchens ist, dann kann es bei den Kollisionen entstehen. Und Energien die ausreichen um Quarks, Elektronen und all die anderen Teilchen des Standardmodells zu erzeugen, können wir schon längst produzieren. Wir sehen aber trotzdem immer nur die bekannte Welt, nie hat sich etwas von der Supersymmetrie gezeigt.
Das bedeutet, dass die Supersymmetrie falsch ist. Oder aber, dass die Supersymmetrie gebrochen wurde. Gebrochene Symmetrien sind in der Physik ebenfalls nicht unbekannt. Ein schönes Beispiel ist immer der Übergang von Wasser zu Eis: Im flüssigen Wasser können sich Teilchen in alle Richtungen bewegen und haben jede Menge Freiheit. Sinkt die Temperatur, dann friert das Wasser und die Bewegung wird radikal auf die Kristallstruktur des Eises eingeschränkt. Die ursprüngliche Symmetrie der freien Bewegung existiert nicht mehr. Genau so – nur ein wenig komplizierter – kann man sich auch die Welt der Teilchen und Kräfte vorstellen. Früher, als es im Universum kurz nach dem Urknall noch enorm heiß war, waren die Symmetrien noch exakt vorhanden (Ich habe in Folge 70 bei der Beschreibung des Higgs-Feldes und der kosmischen Inflation ein wenig mehr dazu gesagt). Aber als der Kosmos dann abkühlte, brach die Symmetrie und die unterschiedlichen Teilchen und Kräfte die wir heute sehen, kristallisierten quasi heraus.
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