Unsere Milchstraße ist nicht einfach nur ein Haufen von Sternen. Also im Prinzip schon – aber diese Ansammlung von etwa 300 Milliarden Sonnen hat durchaus Struktur. In verschiedenen Regionen unserer Galaxie herrschen unterschiedliche Bedingungen und der größte Unterschied besteht zwischen der Scheibe und dem Bulge.
Ganz vereinfacht kann man sich die Milchstraße wie eine flache Scheibe vorstellen, in deren Mitte ein Kugel eingebettet ist. Die Scheibe hat einen Durchmesser von circa 100.000 Lichtjahren und ist knapp 3000 Lichtjahre dick. Die Kugel in der Mitte, der Bulge, hat einen Durchmesser von etwa 16.000 Lichtjahren. Unsere Sonne befindet sich in der Scheibe, ungefähr 26.000 Lichtjahre vom Zentrum und dem Bulge entfernt. In den Städten der Erde wollen viele Menschen gerne im Zentrum wohnen und nicht irgendwo abseits. In der Milchstraße können wir aber froh über unseren Platz in den “Vororten” sein. Denn ein Planet irgendwo im Bulge wäre wesentlich ungemütlicher als unsere Erde. Es könnte auch schwer sein, überhaupt einen Planeten zu finden, selbst einen, der ungemütlich ist: Amerikanische Astronomen haben kürzlich die Häufigkeit von Planeten im Bulge der Milchstraße untersucht und sind zu keinem sehr optimistischen Befund gekommen.
In der Scheibe der Milchstraße sind die Sterne vergleichsweise weit voneinander entfernt. Proxima Centauri, der sonnennächste Stern, ist 4,2 Lichtjahre weit weg – unsere Sonne hat also genug Platz für ihre Planeten und all die anderen kleinen Himmelskörper, die sie umkreisen. Im Bulge sieht die Sache ganz anders aus. Hier stehen die Sterne wesentlich dichter beieinander. Das würde zwar für einen spektakulären Blick auf den Nachthimmel sorgen – anstatt weniger kleiner Lichtpunkte mit viel Dunkelheit dazwischen würde man dort unzählige hell leuchtende Sphären verschiedenster Größe und Farbe sehen – aber einem auch nicht viel Zeit lassen, die Schönheit zu genießen. Die Menge an kosmischer Strahlung, die von den Sternen erzeugt wird, macht die Gegend ziemlich ungesund für uns Menschen. Supernova-Explosionen sind in der spärlich besiedelten Scheibe nur für ein paar nahe Nachbarn des sterbenden Sterns verheerend. Im Bulge dagegen stehen die Sterne so dicht, dass die Zerstörung eines davon negative Auswirkungen auf eine große Menge Sterne in der Umgebung hat. In der Scheibe kommt es extrem selten vor, dass sich zwei Sterne wirklich nahe kommen. Im Bulge dagegen sind solche nahe Begegnungen zwischen Sternen mit all ihren gravitativen Störungen wesentlich häufiger.
Das galaktische Zentrum ist also ein unruhiger, ungemütlicher und lebensfeindlicher Ort. Ein Ort, an dem es nicht nur unwahrscheinlich ist, das dort Leben auf Planeten enstehen kann, sondern auch ein Ort, an dem Planeten selbst viel seltener entstehen könnten. Denn damit sich Planeten um einen Stern herum bilden können, braucht es die richtigen Bedingungen und das richtige Material. Wenn ein Stern entsteht, muss danach eine ausreichend große Scheibe aus Gas und Staub übrig bleiben, in und aus der sich Planeten bilden können. Das ist in der Scheibe normalerweise kein Problem. Im Bulge können Supernova-Explosionen oder nahe Begegnungen zwischen Sternen aber dafür sorgen, dass das Material der Staub- und Gasscheibe schnell verschwindet. Auch die Zusammensetzung des Materials unterscheidet sich, da es von der Art und Häufigkeit der Supernova-Explosionen und der Menge der kosmischen Strahlung beeinflusst wird.
Kurz gesagt: In unterschiedlichen Regionen der Milchstraße herrschen komplett unterschiedliche Bedingungen was die Planetenentstehung angeht. Wie die sich aber konkret auswirken, ist noch nicht völlig verstanden. Je nach Abstand zum galaktischen Zentrum könnten unterschiedliche Arten von Planeten bzw. Planeten generell in unterschiedlicher Häufigkeit entstehen. Wenn wir in den nächsten Jahren (unter anderem dank der GAIA-Mission) einen halbwegs brauchbaren Überblick über die planetare Population unserer Milchstraße bekommen, werden wir mehr darüber wissen. Aber auch jetzt kann man schon ein paar gute Hinweise bekommen.
Matthew Penny von der Ohio State University und seine Kollegen haben in einer kürzlich veröffentlichten Arbeit (“Is the Galactic bulge devoid of planets?”) einen interessanten Ansatz verfolgt. Sie haben die Technik des Mikrogravitationslinseneffekts benutzt, um mehr über die Anzahl der Planeten im Bulge der Milchstraße zu erfahren. Das Konzept der Gravitationslinse ist eigentlich simpel: Seit Albert Einstein wissen wir, dass Masse den Raum krümmt und Lichtstrahlen der Krümmung des Raums folgen. Große Massen können also den Weg eines Lichtstrahls verändern, genau so wie es die Elemente eines optischen Instruments tun. Gravitation kann wie eine Linse wirken und Dinge sichtbar machen, die sonst nicht zu sehen werden. Stellen wir uns vor, wie beobachten einen ganz normalen Stern. Diese “Quelle” sendet Licht in alle Richtungen aus und ein Teil davon trifft die Erde, wo es von den Astronomen beobachtet werden kann. Nun kann es vorkommen, dass sich irgendwo zwischen uns und der Quelle ein weiterer Himmelskörper – zum Beispiel ein weiterer Stern; es kann aber auch ein Planet sein – durch unser Sichtfeld schiebt. Diese “Linse” verzerrt nun den Raum und lenkt einen Teil der Strahlung der Quelle zu uns, der uns normalerweise nicht erreichen würde: Das Licht der Quelle wird kurzfristig heller.
Das ist der Mikrogravitationslinseneffekt und er wurde in der Vergangenheit schon erfolgreich eingesetzt, um Planeten bei anderen Sternen zu entdecken. Denn wenn die Linse aus einem Stern besteht, der von einem Planeten umkreist wird, können beide den Raum verzerren und so zu einer ganz charakteristischen Veränderung des Lichts der Quelle führen. Natürlich muss man Glück haben, wenn man so ein Ereignis beobachten will. Aber man kann dem Glück ein wenig nachhelfen, wenn man möglichst viele Quellen, also Sterne, beobachtet. Und wenn es irgendwo viele Sterne auf einem Haufen gibt, dann im Bulge! Sucht man bei Sternen des Bulges nach einem Mikrogravitationslinseneffekt, hat man nicht nur gute Chancen, Planeten zu entdecken. Man kann vor allem auch Planeten entdecken, die sich irgendwo zwischen Bulge und der Erde befinden. Die Linsen können nicht nur wie die Quellen im Bulge selbst sein, sondern irgendwo dazwischen. Der Mikrogravitationslinseneffekt bietet also eine wunderbare Möglichkeit, Planeten in unterschiedlichen Abständen zum Bulge zu entdecken und herauszufinden, ob es da irgendwelche interessanten Unterschiede gibt.
Im Prinzip zumindest. Denn wenn man damit auch feststellen kann, ob es irgendwo Planeten gibt, ist es doch ziemlich knifflig zu bestimmen, wie weit entfernt sich der Planet bzw. der Stern den er umkreist befindet. Die Beobachtung des Mikrogravitationslinseneffekts gibt darüber keinen direkten Aufschluss; diese Information muss mit anderen Methoden gewonnen oder abgeschätzt werden und die sind nicht immer genau. Aber das heißt nicht, das man gar nichts heraufinden kann. Matthew Penny und seine Kollegen haben sich dem Problem mit einer Computersimulation genähert. Sie haben ein Modell entwickelt, dass die Entstehung von Planeten in verschiedenen galaktischen Regionen simuliert und einerseits Annahmen enthält, wie gut sich Planeten mit dem Mikrogravitationslinseneffekt detektieren lassen; andererseits aber auch deren Entfernungen berücksichtigt. Mit diesem Modell lässt sich vorhersagen, was man beobachten können sollte – was sich dann mit dem vergleichen lässt, was man bis jetzt tatsächlich beobachtet hat. Das ist noch nicht enorm viel; die Datenbank die Penny und seine Kollegen benutzt haben, enthält 31 durch den Mikrogravitationslinseneffekt entdecke Planeten. Aber es reicht, um ein paar interessante Aussagen machen zu können.
Dieses Diagramm aus der Arbeit zeigt, wie so ein Vergleich aussehen kann:
Die grauen Balken im oberen Bild bzw. die schwarze Linie im unteren Bild gibt die beobachtete Anzahl von detektierten Planeten bei einem gewissen Abstand von der Erde ab. Die rote Linie zeigt, was laut Modell zu erwarten wäre (und die gelbe, was das Modell für Planeten nur in der Scheibe vorhersagt). Man erkennt gut, dass Modell und Beobachtung nicht übereinstimmen. Penny und seine Kollegen haben genau analysiert, welche Gründe es dafür geben könnte. Der Unterschied lässt sich zum Verschwinden bringen, wenn man das Modell anpasst, so dass im galaktischen Bulge deutlich weniger Planeten entstehen als in der Scheibe. Man muss den Faktor der Planetenentstehung um mehr als die Hälfte verringern, um die Kurven in Einklang zu bringen.
Das könnte bedeuten, dass Planeten im Bulge tatsächlich viel seltener sind in der Scheibe. Penny und seine Kollegen weisen aber auch darauf hin, dass andere Interpretationen möglich und vermutlich auch wahrscheinlicher sind. Die Entfernungsbestimmung der bekannten Planeten ist nicht sehr exakt und es würde reichen, sie bei einigen wenigen Sternen/Planeten zu korrigieren, um Modell und Beobachtung besser übereinstimmen zu lassen. Und natürlich ist es immer möglich, dass die Realität der Planetenentstehung im Modell ungenau abgebildet wurde. Wir lernen immer noch ständig neues über die Bildung von Himmelskörpern und wissen nicht immer, wo man die Dinge gefahrlos vereinfachen kann und wo nicht. Aber immerhin haben Penny und seine Kollegen demonstriert, dass man mit einem Modell wie dem ihren prinzipiell in der Lage ist, die Beobachtungsdaten zu interpretieren und abzugleichen um so einen Überblick über die unterschiedlichen Populationen der Planeten in unserer Milchstraße zu gewinnen.
Wenn wir in den nächsten Jahren immer mehr konkrete Daten sammeln, werden Modell dieser Art immer wichtiger werden. Und irgendwann werden wir auch verstehen, wie sehr sich das galaktische Zentrum wirklich von den ruhigen Vororten der Milchstraße unterscheidet.
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