Es war eine Frage, die mir nach dem erste direkten Nachweis von Gravitationswellen oft gestellt wurde: “Hat das jetzt auch irgendetwas mit der dunklen Materie zu tun?”. Und die Antwort darauf lautet eigentlich: Nein, gar nicht. Gravitationswellen sind ein Phänomen, das völlig unabhängig von dunkler Materie existiert. Gravitationswellen gibt es, selbst wenn es die dunkle Materie nicht geben würde. Trotzdem haben sich kürzlich einige Wissenschaftler Gedanken darüber gemacht, ob da vielleicht doch ein Zusammenhang bestehen könnte. Und ob die kürzlichen gemessenen Gravitationswellen eventuell doch Rückschlüsse auf die Natur der dunklen Materie liefern könnte.
Denn das ist ja das, worum es bei der Forschung zur dunklen Materie hauptsächlich geht: Herauszufinden, woraus sie besteht. Dass sie vorhanden ist, ist mehr oder weniger unumstritten; entsprechende Beobachtungen hat man seit den 1930er Jahren immer und immer wieder gemacht. Egal ob man die Sache aus einem astronomischen, einem kosmologischen oder einen teilchenphysikalischen Blickwinkel betrachtet: Man kommt immer übereinstimmend zu dem Befund, dass eine Art der Materie im Universum existiert, die sich grundlegend von der “normalen” Materie unterscheidet (Ich habe das übrigens hier sehr ausführlich erklärt).
Eine der Favoriten Hypothesen zur Natur der dunklen Materie sind die sogenannten WIMPs: Weakly Interactive Massive Particles; also eine noch nicht nachgewiesene Art von Elementarteilchen, die nicht elektromagnetisch sondern nur gravitativ wechselwirken (so wie es zum Beispiel auch bei den Neutrinos der Fall ist). Bis jetzt hat man diese Teilchen allerdings noch nicht nachgewiesen und Forscher machen sich daher auch Gedanken über Alternativen.
Wie Simeon Bird von der John Hopkins University in Baltimore und seine Kollegen. Sie haben den Nachweis der Gravitationswellen am LIGO-Observatium zum Anlass genommen darüber zu spekulieren, ob die dunkle Materie aus schwarzen Löchern bestehen könnte (“Did LIGO detect dark matter?”). Die Gravitationswellen deren Nachweis man dort Mitte Februar bekannt gegeben hat, wurden ja von zwei kollidieren schwarzen Löchern verursacht. Das stellen Bird und seine Kollegen auch nicht in Frage. Aber sie erklären, dass solche schwarzen Löcher genau das sein könnten, aus dem die dunkle Materie besteht.
Diese Idee erscheint naheliegend: Dunkle Materie kann man nicht sehen. Schwarze Löcher kann man nicht sehen. Wieso sollten schwarze Löcher also nicht die dunkle Materie bilden?
Nun – einmal, weil man schwarze Löcher doch sehen kann. Zumindest indirekt, über ihren gravitativen Einfluss. Wenn überall im Universum schwarze Löcher zwischen den Sternen sitzen würden, würde man das trotzdem merken. Weil sie mit ihrer Gravitationskraft die Bewegung dieser Sterne beeinflussen zum Beispiel. Aber auch, weil sie durch die von ihnen verursachte Krümmung des Raumes Lichtstrahlen ablenken und als sogenannte “Gravitationslinsen” wirken können. Nach solchen Effekten wird schon lange und regelmäßig gesucht und wir hätten bemerkt, wenn da jede Menge schwarze Löcher existieren würden.
Aber, wie Bird und seine Kollegen in ihrer Arbeit anmerken: Diese Einschränkungen gelten nur für bestimmte Massenbereiche. Schwarze Löcher mit genau der richtigen Masse; nicht zu klein und nicht zu groß, könnten unbemerkt geblieben sein. Schwarze Löcher mit einer Masse zwischen 10 und 100 Sonnenmassen wären als Bestandteil der dunklen Materie derzeit nicht komplett auszuschließen.
Bleibt ein zweites Problem: Schwarze Löcher kommen nicht einfach aus dem Nichts! Sie müssen irgendwie entstehen und die schwarzen Löcher um die es hier geht, entstehen aus den Überresten großer Sterne. Sterne, die sich aus ganz normaler Materie gebildet haben. Wir wissen allerdings, dass es deutlich mehr dunkle als normale Materie geben muss. Wenn die dunkle Materie tatsächlich nichts anderes ist als schwarze Löcher, die aus ehemaligen Sternen entstanden sind, dann gibt es ein Problem. Dann müsste das Universum früher viel mehr Sterne und damit viel mehr normale Materie enthalten haben, als die kosmologischen Modelle zulassen. Modelle, die übrigens wunderbar mit den Beobachtungsdaten übereinstimmen. Alles was wir über die Entwicklung des Universums wissen und beobachten sagt uns, dass so viel Materie nicht vorhanden war.
Bird und seinen Kollegen geht es in ihrer Arbeit allerdings nicht um schwarze Löcher, die irgendwann aus sterbenden Sternen entstanden sind. Sie haben sich mit primordialen schwarzen Löchern beschäftigt. Das sind schwarze Löcher, die beim Urknall selbst entstanden sind und keine Sterne als Vorläufer brauchen. Ob es diese Variante von schwarzen Löchern gibt, wissen wir nicht. Aber wenn es sie gäbe, könnten sie für die Beobachtung von LIGO verantwortlich sein.
Bird und seine Kollegen haben abgeschätzt, wie oft primoridiale schwarze Löcher mit Massen die zur LIGO-Beobachtung passen, miteinander kollidieren würden. Wenn solche Kollision ständig passieren würden, dann hätte LIGO während seines Beobachtungslaufes mehr als nur ein Ereignis registrieren müssen. Wäre das Ereignis extrem selten, dann ist es auch extrem unwahrscheinlich, das LIGO gerade diese eine Kollision beobachtet hat. Aber die Berechnung von Bird und seinen Kollegen zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit genau zu der beobachteten “Häufigkeit” passt (wenn man bei einem Ereignis überhaupt von “Häufigkeit” sprechen kann).
Ich bin ein wenig skeptisch, was diese Arbeit angeht. Nicht, dass sie schlecht gemacht oder prinzipiell zweifelhaft wäre! Solange wir nicht genau wissen, woraus die dunkle Materie besteht, solange kann man nicht ausschließen, dass es sich dabei um primordiale schwarze Löcher handelt. Aber nach Möglichkeit sollte man sich bemühen, bei der Erklärung von Phänomenen nicht allzu viele spekulative Hypothesen auf einmal zu inkludieren. Die Beobachtung von LIGO lassen sich gut durch die Kollision zweier schwarzer Löcher erklären. Zweier schwarzer Löcher, deren Entstehung sich ebenfalls gut im Rahmen der bestehenden Theorien zur Sternentwicklung verstehen lässt (siehe dazu zum Beispiel hier). Stattdessen eine hypothetische Art von schwarzen Löchern als Erklärung heranzuziehen und dann auch noch daraus abzuleiten, dass die dunkle Materie aus diesen hypothetischen Objekten besteht, ist ein klein wenig viel auf einmal… Mal ganz abgesehen davon, dass es auch nicht unbedingt einfach wäre, eine “dunkle primordiale Schwarze-Loch-Materie” mit dem Rest der kosmologischen, astronomischen und teilchenphysikalischen Theorien und Erkenntnisse zu vereinbaren.
Wir werden einfach abwarten müssen, wie sich die Sache entwickelt. Die Gravitationswellenastronomie hat gerade erst begonnen! In den nächsten Jahren und Jahrzehnten werden wir mehr als genug neue Daten sammeln. Sowohl was die Beobachtung der Gravitationswellen angeht als auch den Nachweis bisher unbekannter Partikel in teilchenphysikalischen Experimenten. Sollte zwischen den kollidieren schwarzen Löchern und der dunklen Materie tatsächlich ein Zusammenhang bestehen, werden wir es früh genug bemerken. Ich würde allerdings nicht viel Geld darauf setzen, dass das wirklich die Antwort auf die Frage nach der Natur der dunklen Materie ist…
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