Die Gegenerde! Versteckt sich auf der anderen Seite der Sonne vielleicht noch ein Zwilling unseres Planeten den wir bisher übersehen haben? Immerhin haben sich darüber schon die alten Griechen Gedanken gemacht. Und irgendwo müssen die ganzen UFOs ja her kommen, oder?
Und wie immer gibt es weiter unten eine Transkription des Podcasts.
Die Folge könnt ihr euch hier direkt als YouTube-Video ansehen oder direkt runterladen.
Den Podcast könnt ihr unter
abonnieren beziehungsweise auch bei Bitlove via Torrent beziehen.
Am einfachsten ist es, wenn ihr euch die “Sternengeschichten-App” fürs Handy runterladet und den Podcast damit anhört.
Die Sternengeschichten gibts natürlich auch bei iTunes (wo ich mich immer über Rezensionen und Bewertungen freue) und alle Infos und Links zu den vergangenen Folgen findet ihr unter https://www.sternengeschichten.org.
Und natürlich gibt es die Sternengeschichten auch bei Facebook und bei Twitter.
Transkription
Sternengeschichten Folge 180: Die Gegenerde
Seit Jahren sind Astronomen auf der Suche nach der “zweiten Erde”. Damit meinen sie einen Himmelskörper der einen anderen Stern umkreist und auf dem ähnlich lebensfreundliche Bedingungen herrschen wie auf unserem Planeten. Mit der “Gegenerde” hat das allerdings nichts zu tun. Mit diesem Begriff wird zwar auch ein Planet wie unsere Erde bezeichnet. Der soll sich aber nicht bei einem anderen Stern befinden, sondern in unserem Sonnensystem. Auf der gleichen Umlaufbahn wie die Erde, nur von uns aus gesehen immer genau hinter der Sonne und damit unsichtbar.
Heute taucht die Gegenerde meistens in den Geschichten von UFO-Fanatiker und Pseudowissenschaftlern auf. Sie hat aber eine lange Geschichte, die bis mindestens ins 5 Jahrhundert vor unserer Zeit zurück reicht. Damals hat sich der griechische Philosoph Philolaos damit beschäftigt.
Philolaos war ein Anhänger der Lehren von Pythagoras, der ja nicht nur grundlegende und bis heute gültige mathematische Erkenntnisse schuf, sondern auch eine seltsame, auf einer Art Zahlenmystik basierende Sekte. Diese Pythagoräer sahen sich in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts vor unsere Zeit dem Unmut der Bevölkerung ausgesetzt und ihre Versammlungsstätten wurden angegriffen. Man erzählt sich, dass Philolaos einer von nur zwei Überlebenden dieser Unruhen war.
Ob das stimmt, ist unklar genau so wie vieles andere aus seinem Leben. Wir wissen aber, dass er eine recht interessante Vorstellung über den Aufbau des Kosmos entwickelt hat. Im Mittelpunkt des Universums stellte sich Philolaos ein “Zentralfeuer” vor. Mit dem modernen heliozentrischen Weltbild hat das allerdings nichts zu tun, denn das Zentralfeuer war nicht mit der Sonne identisch. Aber immerhin war in Philolaos’ Weltbild die Erde in Bewegung und zwar um dieses Zentralfeuer rund herum. Außerhalb der Erdbahn bewegten sich – in dieser Reihenfolge – der Mond, die Sonne, der Merkur, die Venus, der Mars, der Jupiter und der Saturn und ganz außen schloss die Sphäre der Fixsterne das kleine Universum des Philolaos ab.
So weit, so gut und ordentlich. Aber Philolaos hatte ein Problem. Gemäß der damals herrschenden Vorstellung waren die Himmelskörper alle “ätherische” Objekte, also quasi wolkenartih und leicht; ohne große Masse und Gewicht. Auf die Erde konnte das aber nicht zutreffen, denn jeder konnte auf den ersten Blick sehen, dass hier alles voll mit Land, Bergen, Ozeanen und anderen massiven und festen Objekten ist. Wenn die Erde also schwer ist, dann kann die Masse des Universums nicht im Zentralfeuer konzentriert sein. Der Schwerpunkt und der Mittelpunkt des Kosmos wären nicht identisch und das störte Philolaos. Also ging er davon aus, dass es noch eine zweite, schwere Erde auf der anderen Seite des Zentralfeuers geben musste, die das Gewicht unserer Erde ausgleicht.
Diese Gegenerde oder “Antichthon” war aber für uns nicht zu sehen. Denn Philolaos ging außerdem davon aus, dass unsere Erde eine flache Scheibe ist. Die eine Seite, auf der wir leben, ist vom Zentralfeuer ab- und der Sonne und den anderen Himmelskörpern zugewandt. Die unbelebte und unbewohnte Rückseite weist dagegen immer in Richtung Zentralfeuer. Das ist der Grund, warum wir dieses Zentralfeuer nicht sehen können und auch der Grund, wieso die Gegenerde für uns unsichtbar ist.
Aristoteles war mit Philolaos’ Kosmologie nicht einverstanden. Er war der Meinung, dass die Erde selbst sich im Mittelpunkt des Universums befinden müsse. Sie würde dort unbewegt verharren und alles andere müsse sich um sie herum bewegen. Wie sonst könnte man die Tatsache erklären, dass Objekte nach unten fallen? Laut Aristoteles hatte jedes Ding im Universum seinen natürlichen Ort. Und – von den ätherischen Himmelskörpern die aus einer ganz besonderen Materie bestehen sollten mal abgesehen – dieser Ort sei eben der Mittelpunkt des Universums. Der befindet sich im Zentrum der Erde und deswegen würde sich alles dorthin bewegen wollen und nach unten fallen.
Im 16. und 17. Jahrhundert verstanden die Menschen dann schon besser, wie das Sonnensystem tatsächlich funktioniert. In seinem Mittelpunkt befindet sich die Sonne und die Erde umkreist sie genau so wie alle anderen Planeten auch. Das Wort “Antichton” wurde zwar weiterhin verwendet; jetzt aber meistens für die noch eher unbekannte südliche Hemisphäre unseres Planeten.
Und die Gegenerde hinter der Sonne? Auch die verschwand noch nicht völlig. Im 18. Jahrhundert untersuchte der französische Mathematiker Joseph-Luis Lagrange die Bewegung der Himmelskörper und fand, dass der von der Erde aus gesehen genau hinter der Sonne liegende Punkt tatsächlich besonders ist.
Er entdeckte die heute nach ihm benannten fünf Lagrange-Punkte (über die ich in Folge 31 der Sternengeschichten schon mehr erzählt habe). Betrachten wir die Erde und die Sonne dann heben sich an diesen fünf Punkten alle wirkenden Kräfte genau auf. Himmelskörper die sich genau in einem der Lagrange-Punkte befinden, können dort bleiben, ohne von äußeren Störungen beeinflusst zu werden. Zwei dieser Punkte liegen in unmittelbarer Umgebung der Erde; einer zwischen Erde und Sonne der andere auf der der Sonne abgewandten Seite der Erde. Zwei weitere Punkte befinden sich entlang der Erdbahn, immer 60 Grad vor beziehungsweise hinter dem Planeten. Der letzte Lagrange-Punkt, der offiziell “L3” genannt wird, liegt aber tatsächlich genau auf der gegenüberliegenden Seite der Erdbahn; direkt hinter der Sonne.
Zumindest theoretisch könnte dort ein Planet existieren, den wir nicht sehen. Theoretisch. In der Praxis ist es aber trotzdem unmöglich und zwar aus den folgenden Gründen. Lagrange hatte seine Rechnungen nur im Dreikörperproblem durchgeführt, also alle Himmelskörper außer Sonne und Erde ignoriert. Seine Lösungen sind daher auch nur Näherungslösungen die in der Realität so nicht existieren. Denn da existieren ja all die anderen Planeten mitsamt den gravitativen Störungen die sie ausüben. Diese Störungen würden auch die Gegenerde beeinflussen, selbst wenn sie sich direkt in L3 befinden würde. Im Laufe der Zeit würde sie den Lagrange-Punkt verlassen und damit nicht nur für uns sichtbar werden sondern vermutlich früher oder später mit uns kollidieren. Das würde nur ein paar Millionen Jahre dauern; unser Planet hat aber schon 4,5 Milliarden Jahre lang ohne Besuch einer Gegenerde überlebt.
Dank der Störungen all der anderen Planeten im Sonnensystem steht die Sonne auch nicht komplett still sondern wackelt immer ein wenig hin und her. Nicht viel, aber doch so sehr, dass eine potentielle Gegenerde immer wieder mal kurz hinter ihr auftauchen und für uns sichtbar werden würde. Die Gegenerde würde natürlich auch selbst gravitative Störungen ausüben. Diese Störungen würden die Bewegung der Erde beeinflussen und die der anderen Planeten. Wenn es sie gäbe, dann würden wir das merken. Wenn wir die zukünftige Position der Planeten vorausberechnen und dabei die Gegenerde nicht berücksichtigen, müssten wir ständig Fehler bei den Rechnungen machen und die vorhergesagen Positionen würden nicht mit den realen Positionen übereinstimmen. Das ist aber nicht der Fall; die Planeten sind alle dort, wo sie auch sein sollen. Das gleiche gilt für die Raumfahrzeuge, die wir durchs Sonnensystem schicken. Raumsonden, die zum Beispiel in Richtung Venus fliegen – wie “Venus Express” im Jahr 2005 – würden von der Gravitationskraft der Gegenerde so sehr gestört werden, dass sie ihr Ziel nicht erreichen könnten. Sie haben es aber erreicht – und auch unterwegs nichts gesehen, was wie eine zweite, unbekannte Erde aussieht.
So faszinierend die Idee einer Gegenerde auch sein mag: Es kann sie nicht geben. Abgesehen davon, dass es extrem unwahrscheinlich ist, dass sich während der chaotischen Phase der Planetenentstehung zwei identische Himmelskörper auf der gleichen Umlaufbahn um die Sonne bilden würden, hätten wir schon längst gemerkt, dass da noch eine zweite Erde ihre Runden zieht. Die Gegenerde kann es weiterhin nur in der Science-Fiction-Literatur geben – oder den wirren Ideen der Pseudowissenschaftler.
Kommentare (18)