Im Frühjahr habe ich über vielversprechende Hinweise auf neue Elementarteilchen geschrieben, die demnächst am großen Teilchenbeschleuniger des Europäischen Kernforschungszentrums CERN entdeckt werden könnten. Ich habe außerdem darauf hingewiesen, dass alle Physikerinnen und Physiker sehr intensiv auf so eine Entdeckung warten. Nicht nur, weil es generell cool ist, etwas Neues zu entdecken. Sondern weil irgendeine neue Entdeckung dringend nötig ist. Mit dem Nachweis des Higgs-Teilchens im Juli 2012 hatte man die letzte offene Vorhersage des Standardmodells der Teilchenphysik bestätigt.
Das war gut. Das war notwendig. Aber danach stellte sich die Frage, wie es weitergeht. Das Standardmodell – das ich hier ausführlicher erklärt habe – ist eine höchst erfolgreiche Theorie zur Beschreibung der Elementarteilchen und ihrer Wechselwirkungen. Aber es ist auch klar, dass es nicht das letzte Wort in Sachen in Physik sein kann. Trotz aller Erfolge bleiben viele Bereiche, die damit nicht erklärt werden können. Dunkle Materie, Neutrinos, etc. Die Physik braucht etwas Neues. Und die theoretischen Physiker haben auch jede Menge Ideen. Zu viele Ideen; denn solange es keine konkreten Daten gibt, kann man natürlich über alles mögliche spekulieren. Als der große Beschleuniger LHC im Jahr 2009 aktiviert wurde, erhoffte man sich weit mehr als nur den Nachweis des Higgs-Teilchens. Man wollte vor allem irgendetwas Neues entdecken um endlich zu wissen, in welche Richtung sich die Physik in den nächsten Jahrzehnten entwickeln sollte. Welche Theorien kann man verwerfen; welche soll man weiterverfolgen?
Das, was jetzt passiert ist, nennen manche Wissenschaftler das “Alptraum-Szenario”: Man hat zwar das Higgs entdeckt, aber sonst nichts. Keine neuen Teilchen; keine Bestätigung der Supersymmetrie (der bisher favorisierten Theorie die das Standardmodell erweitern soll); keine neuen Effekte: Gar nichts.
Am Ende meines Artikels aus dem Frühjahr habe ich geschrieben:
“Wenn am LHC neue Teilchen entdeckt werden, dann wird das zurecht als großer Durchbruch gefeiert werden. Das erste Mal seit Jahrzehnten werden wir etwas entdecken, das über das Standardmodell hinaus geht; das vom Standardmodell nicht vorhergesagt wurde. Wir werden Hinweise erhalten, wie der weitere Weg der Teilchenphysik aussehen wird. Wir werden (hoffentlich) erkennen, wie wir ein paar der verbliebenen ganz großen Probleme der Physik lösen können. Und vielleicht werden wir das schon sehr bald tun können. Vielleicht aber auch nicht. Es ist genau so gut möglich, dass die beobachteten Schwankungen einfach wieder verschwinden. “
Genau das ist nun passiert. Die neuen Daten haben gezeigt, dass es sich bei den Hinweisen auf die neuen Elementarteilchen nur um statistische Schwankungen gehandelt hat die verschwanden, als mehr Informationen gesammelt werden konnten. Das war zwar nie auszuschließen, aber die Physiker scheinen doch damit gerechnet zu haben, dass sich am Ende die Hinweise zu einem echten Nachweis entwickeln. Immerhin gab es mehr als 500 Fachartikel, die schon über die Eigenschaften dieser neuen Teilchen spekulierten (das Ding hatte sogar eine eigene Wikipedia-Seite). Jetzt steht man wieder da, wo man auch schon früher war.
Die theoretische Physikerin Sabine Hossenfelder schreibt in einem sehr lesenswerten Artikel:
“Particle physicists are still playing today by the same rules as in 1973.”
Und meint damit vor allem die Überzeugung der meisten Physiker, die Welt der Elementarteilchen wäre von einer sogenannten “Naturalness” dominiert. Damit ist – sehr vereinfacht – gemeint, dass eine über das Standardmodell der Teilchenphysik hinausgehende Theorie von Parametern und Naturkonstanten beschrieben werden sollte, die alle in etwa die gleiche Größenordnung haben. Das ist im wesentlichen auch ein ästhetisches Argument und damit ist die Physik ja bisher immer recht gut gefahren. “Richtige” Theorien waren bis jetzt meistens immer auch irgendwie “schön” oder “elegant”. Und – in Abwesenheit konkreter Beobachtungsdaten – haben sich die Theoretiker bei der Suche nach neuen Hypothesen auch immer gerne an “Schönheit” und “Eleganz” orientiert.
Aber es kann genau so gut sein, dass das Universum nicht schön, elegant oder “natürlich” ist. Nur weil wir das gerne so hätten muss sich der Kosmos noch lange nicht daran halten. Momentan scheint es eher so zu sein, als würde sich das Universum überhaupt nicht darum kümmern, was wir wollen. Es hat keine Lust, uns irgendwelche neuen Informationen zu präsentieren. Und vielleicht bleibt das auch so? Ich denke zwar nicht, dass wir erst Teilchenbeschleuniger galaktischer Größe bauen müssen, um etwas Neues zu finden. Ich denke eigentlich, dass der LHC früher oder später doch noch eine Entdeckung machen wird, mit der wir heute nicht rechnen. Aber es kann gut sein, dass das dann auch eine Entdeckung ist, die wir so eigentlich nicht wollten. Eine Entdeckung, die nicht in unsere bisherige Vorstellung von der Entwicklung der Teilchenphysik passt.
Aber eigentlich ist es ja auch genau das, worum es in der Wissenschaft geht! Ja: Der eine oder andere Wissenschaftler wird sich ärgern, wenn er die eigene Hypothese nicht bestätigen kann. Die eine oder andere Forscherin wird sich ärgern, wenn sie langgehegte Ideen über die Physik der Zukunft aufgeben muss. Und es wird vielleicht noch ein wenig dauern, bis sich die wissenschaftliche Community dazu durchringen kann, bei der Suche nach neuen Modellen völlig neue Wege zu gehen und die zu verlassen, die sie die letzten Jahrzehnte beschritten hat. Aber am Ende wollen alle nur eines: Das Universum verstehen! Und wenn das mit den derzeitigen Methoden nicht geht, wird man sich andere ausdenken! Da kann der Kosmos noch so zickig sein – früher oder später wissen wir mehr als wir heute wissen!
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