Wann werden wir Menschen endlich den Weltraum besiedeln? Nun, wenn es nach Gerard O’Neill gehen würde, wären wir schon längst dabei. Und hätten riesige Raumstationen gebaut, in denen zehn- bis hunderttausende Menschen eine neue Heimat abseits der Erde finden könnten. Wie genau diese Pläne aussehen, erfahrt ihr in der aktuellen Folge des Sternengeschichten-Podcastst.
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Transkription
Sternengeschichten Folge 195: Die Weltraumkolonien des Gerard O’Neill
375.000 Kilometer von der Erde befindet sich eine große Raumstation. Zwei große Zylinder, jeder 8 Kilometer im Durchmesser und 32 Kilometer lang sind die Heimat von einigen Zehntausend Menschen die dort völlig unabhängig von der Erde leben. In der Umgebung der Raumstation befinden sich andere mit einem ähnlichen Design und zwischen ihnen herrscht ein reger Verkehr von Menschen und Handelsgütern. Ab und zu fliegt man auch zurück zur Erde um dort nach dem Rechten zu sehen. Aber die Mehrheit der Menschen lebt im Weltall und sieht keinen Grund, auf den Planeten ihres Ursprungs zurück zu kehren.
Klingt wie Science-Fiction. Und ist natürlich auch nicht real. Aber es war die Realität einer Zukunft, wie man sie sich in der Vergangenheit vorgestellt hat. Eine Zukunft, die auch heute noch vorstellbar ist. Sie basiert auf der wissenschaftlichen Arbeit des amerikanischen Physikers Gerard O’Neill.
O’Neill wurde am 6. Februar 1927 in New York geboren. Nach der Schule ging er zur Armee und wurde dort als Radartechniker ausgebildet. Für Raumfahrt hat er sich schon als Kind interessiert, sich dann aber nach seiner Zeit als Soldat für ein Studium der Hochenergiephysik entschieden. Gerard O’Neill arbeitete an der Princeton Universität und beschäftigte sich mit der noch jungen Technik der Teilchenbeschleuniger. Er hatte die Idee, spezielle Beschleunigerringe zu bauen, in denen Teilchen nicht zur Kollision gebracht sondern “aufbewahrt” werden können. Bis dahin schickte man meistens einfach einen Strahl aus Teilchen auf ein fixiertes Zielobjekt um so Kollisionen zu erzeugen. Mit den gespeicherten Teilchen könnte man zwei Teilchenstrahlen miteinander zusammenstoßen lassen und sie die Informationsausbeute erhöhen.
1965 führte er gemeinsam mit seinen Kollegen so ein Experiment auch durch und ließ Teilchen aus zwei Strahlen mit Energien von 600 Mega-Elektronenvolt zusammenstoßen. Das waren die höchsten Kollisionsenergien die bis dahin erreicht waren und halfen unter anderem dabei die Größe von Elektronen zu bestimmen.
Aber so wichtig die Arbeit von Gerard O’Neill in der Teilchenphysik auch war: Heute ist er vor allem für seine Ideen zur Raumfahrt und zur Kolonialisierung des Weltraums bekannt. O’Neill hatte sich von Anfang an für das Apollo-Programm der USA interessiert und sich auch selbst als Astronaut beworben. Dieses Ziel hat er zwar nicht erreicht – aber sich nicht abhalten lassen, sich weiter mit dem Thema zu beschäftigen. In einem Seminar, dass er 1969 an seiner Universität diskutierte er mit seinen Studenten über den Zweck der Raumfahrt. Er stellte ihnen die Frage: “Ist die Oberfläche eines Planeten wirklich der beste Platz für eine expandierende technologische Zivilisation?”. Die Studenten arbeiteten diese Aufgabe aus und O’Neill ließ sich davon inspirieren. Er begann nun auch selbst über die Frage einer möglichen Besiedelung des Weltalls zu forschen.
Wo sollte man leben, wenn nicht auf der Oberfläche eines Planeten? In künstlichen Strukturen – aber wie sollen die aussehen und wie müssen sie beschaffen sein, damit sie Menschen vernünftige Bedingungen bieten? 1970 schrieb O’Neill eine wissenschaftliche Arbeit mit dem Titel “Die Kolonialisierung des Alls” in der er seine Ergebnisse vorstellte. Es dauerte aber vier Jahre, bis er eine Fachzeitschrift fand, die bereit war, seinen Aufsatz zu publizieren.
Angesichts dessen, was O’Neill vorschlug, ist die Skepsis nicht ganz unverständlich. Er machte drei grundlegende Design-Vorschläge, die er “Inseln” taufte. Insel 1 besteht aus einer rotierenden Kugel mit einem Durchmesser von 512 Metern. Die Menschen würden dann in der Äquatorialregion im Inneren dieser Kugel leben wo die Rotationskräfte die Erdanziehungskraft simulieren würden. Insel 2 ist mit 1600 Metern Durchmesser mehr als doppelt so groß wie Insel 1. Das, was heute als “O’Neill-Zylinder” bekannt ist, ist aber Insel 3: Hier handelt es um zwei große Zylinder, mit jeweils einem Durchmesser von 8 Kilometern und einer Länge von bis zu 32 Kilometern. Im Inneren eines Zylinders wechseln sich transparente Streifen mit Streifen ab, auf denen Menschen leben können.
Um eine erdähnliche Schwerkraft simulieren zu können, müssten diese Zylinder sich circa 28 Mal pro Stunde um ihre Achse drehen. Das Innere der Zylinder wäre mit einer Menge von Luft gefüllt, die der Hälfte des auf der Erde auf Meeresniveau spürbaren Luftdrucks entspricht. Das wäre für die Bewohner am Anfang vielleicht gewöhnungsbedürftig, würde aber die nötige Stärke und Dicke der Zylinderwände reduzieren. Außerdem wäre das ausreichend Luft um die Bewohner vor kosmischer Strahlung zu schützen – und es wäre sogar genug, damit sich im Inneren des Zylinders eigene Mini-Wettersysteme ausbilden können.
Licht würde mit großen Spiegeln durch die transparenten Teile der Zylinderwände reflektiert. Je nachdem wie die Spiegel eingesetzt werden, lassen sich so Tag oder Nacht simulieren. Die O’Neill-Zylinder würden allerdings nicht in der Umgebung der Erde kreisen so wie zum Beispiel die Internationale Raumstation ISS. In der Nähe der Erde würde die dünne Restatmosphäre unseres Planeten für eine langsame aber stetige Abbremsung sorgen und man müsste die Position der Zylinder ständig korrigieren, was entsprechende Triebwerke und Treibstoff nötig macht.
O’Neill schlug stattdessen vor, die Kolonien in den sogenannten Lagrangepunkten zu platzieren. Von denen habe ich ja schon in Folge 31 der Sternengeschichten gesprochen; es handelt sich dabei um Punkte, an denen ein Himmelskörper kräftefrei existieren kann. In den Lagrangepunkten des Erde-Mond-Systems beispielsweise heben sich die wirkenden Gravitations- und Zentrifugalkräfte genau auf. Ein Objekt, dass sich exakt in den Lagrangepunkten befindet, bleibt auch dort ohne das man einen entsprechend Antrieb bräuchte. In der Theorie zumindest; in der Realität sind nur zwei der Lagrangepunkte stabil gegenüber den vielen kleinen äußeren Störungen die auf so ein Objekt wirken. Diese beiden Punkte, die Lagrangepunkt L4 und L5 genannt werden, findet man entlang der Umlaufbahn des Mondes um die Erde aber immer genau 60 Grad vor beziehungsweise hinter dem Mond. In der Nähe dieser Punkte könnte man eine große Raumstation “parken” und die Position ohne großen Einsatz von Energie und Treibstoff halten.
Das große Problem bei den O’Neill-Zylindern ist aber natürlich das Material: Woher sollen all das Baumaterial und all die anderen Ressourcen kommen, die man benötigt? O’Neill war klar, dass es nicht funktionieren würde, all das mit Raketen von der Erde ins Weltall zu schaffen. Stattdessen schlug er vor, zuerst zum Mond zu fliegen – etwas, was die USA ja damals gerade intensiv betrieb. Dort könnte man sich die nötigen Rohstoffe beschaffen und sie dank der geringen Schwerkraft mit großen elektromagnetischen “Kanonen” direkt in Richtung L4 oder L5 schießen. Auch für so ein Gerät entwickelte O’Neill Ende der 1970er Jahre erste Prototypen. Bei so einem elektromagnetischen Katapult oder Massenbeschleuniger nutzt man kurze und kräftige Stromimpulse um mit der elektromagnetischen Kraft entsprechende ebenfalls magnetische Geschosse zu beschleunigen.
O’Neill hoffte auch, diese Methode irgendwann verwenden zu können, um Material direkt von der Erde ins All zu schießen um so die teuren Raketen einsparen zu können. Aber über das Versuchsstadium kam sein Weltraum-Massenbeschleuniger nicht hinaus. Genau so wie seine O’Neill-Kolonien. Die Internationale Raumstation die seit einigen Jahren die Erde umkreist hat nichts mit O’Neills großen Visionen zu tun. Aber auch wenn es Visionen sind, sind es doch keine reinen Fantastereien. Es wäre sehr aufwendig und sehr teuer, einen O’Neill-Zylinder oder auch nur die kleinere Insel-1-Version seiner Kolonie zu bauen. Aber es stünde zumindest kein prinzipielles Problem im Wege. Im Gegensatz zu anderen Science-Fiction-Konzepten wie Überlichtgschwindigkeitsantrieb, Beamen, Reisen durch Wurmlöcher oder ähnliches sind die wissenschaftlichen Grundlagen von Gerard O’Neills Weltraumkolonien im Wesentlichen verstanden.
Gerard O’Neill starb am 27. April 1992 und wenn er auch die Realisierung seiner Ideen nicht erlebt hat, hat er es am Ende zumindest doch noch ins All geschafft. 1997 wurde ein Teil seiner Asche mit einer Rakete ins Weltall gebracht. Ein Begräbnis auf einer seiner großen Raumstationen wäre ihm aber vermutlich lieber gewesen. Aber bis die riesigen Zylinder von O’Neill wirklich durchs All schweben wird noch viel Zeit vergehen. Wenn es überhaupt je passiert. Aber passieren könnte es!
Natürlich, es müssten jede Menge sehr wichtige Details erforscht und geklärt werden. Es wäre ein immenser Aufwand, auch nur ansatzweise etwas von dem zu realisieren was O’Neill sich vorgestellt hat. Aber es wäre machbar. Wenn wir es wollen. In diesem Fall steht uns nicht die Physik im Wege sondern nur wir selbst. Die Kolonialisierung des Weltalls wäre möglich, wenn wir es denn nur wollen. Bis jetzt wollen wir es aber leider noch nicht stark genug…
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