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Das sagt der Autor des Artikels über sich:
Ich heiße Peer Sylvester, bin Lehrer für Mathematik und Chemie in Berlin und blogge regelmäßig über Brettspiele auf www.spielbar.com.
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Von wichtigen Neuntklässlern und mehrfachen Fragen
1948 wurden (Amerikanische) Neuntklässler gefragt: „Bist du eine sehr wichtige Person?“ und 12% antworteten mit „Ja“.
1989 wurden erneut Neuntklässler gefragt und 80% der Jungen und 77% der Mädchen antworteten mit „Ja“.
Natürlich liegt das daran, dass die Jugend von heute sich viel wichtiger nimmt, was sich ja auch in den Sozialen Netzwerken und so wiederspiegelt und überhaupt…
… oder auch nicht.
Tatsächlich hat sich in den 40 Jahren eher die Interpretation der Frage geändert, als die Antwort. Die Frage lautete im Original: „Are you a very important person?” Mitte der letzten Jahrhunderts war die Bedeutung: “Wichtig für andere”.
Heutzutage, wird den Kindern in den USA aber verstärkt beigebracht, dass sie sich selbst nicht herabsetzen sollen, dass sie sich eben selbst wichtig nehmen sollen. Auch sie sind wichtige Bestandteile der Gesellschaft – Hier wird „wichtig“ eben im Sinne von „nicht unwichtiger als andere“ verstanden. Ein zwar kleiner Bedeutungswechsel, aber eben anscheinend ein wichtiger.
Das kleine Umformulierungen große Wirkung haben können, weiß ein guter Statistiker. Das bekannteste Beispiel ist, dass ein Großteil von Befragten von einem wichtigen medizinischen Eingriff Abstand nehmen würden, wenn „eine 10%ige Chance besteht, den Eingriff nicht zu überleben“, aber eine Mehrheit derselben Befragten einen Eingriff vornehmen würden, wenn „die Überlebenswahrscheinlichkeit über 90% besteht“.
Da Befragungen oft die einfachste und nicht selten auch die einzige Untersuchungsmethode darstellen, ist dies ein ernsthaftes Problem. Zum Glück ist die Lösung relativ einfach: Man fragt mehrmals dasselbe, mit leicht unterschiedlichen Formulierungen. Und siehe da: Auch bei der eingangs erwähnten Studie wurden mehrere Frage zum Ego der Schüler gestellt und die zitierte Frage ist die einzige mit einer nennenswerten Änderung. Mit anderen Worten: Die hohe Anzahl an „Ja“-Stimmen liegt tatsächlich an der neuen Interpretation und nicht an der Verrohung der Jugend.
Das mehrmalige Stellen derselben Frage (in verschiedenen Formulierungen) hat noch einen weiteren Vorteil: Man siebt Zufallsantworten aus. Nicht jeder, den man einen Fragebogen in die Hand drückt, wird diesen gewissenhaft beantworten. Nicht einmal wenn dieser kurz ist und nur aus drei Fragen besteht. Ich habe keine konkreten Zahlen, aber es kommt durchaus nicht ganz selten vor, dass Fragebögen offensichtlich zufällig gekreuzt wurden (Ich habe schon so manche Studie ausgewertet und noch nie einen kompletten Datensatz ohne Zufallskreuzungen gesehen). Stellt man nur die zwei Fragen, die einen wirklich interessieren, verfälscht ein solcher Bogen das Ergebnis – außer man hat eine Menge an Fragebögen zum Auswerten. Was natürlich der Optimalfall wäre, aber nicht immer möglich ist, z.B. wenn man die Meinung einer Schulklasse zu einer Unterrichtsstunde abfragen will.
Letztlich will ich auf das hier hinaus: Mir begegnen immer wieder Fragebögen -von Schülern, Studenten, aber auch Referendaren oder Kollegen, die irgendetwas untersuchen wollen. Der absolut überwältigen Mehrheit der Fragebögen sieht man an, dass sie so kurz wie möglich gehalten werden. Das ist ein natürlicher Impuls: Einerseits ist ein kurzer Fragebogen schneller auszuwerten, andererseits ist ein Befragter leichter zu Kooperation zu Überreden, wenn das Ankreuzen nur wenige Sekunden in anspruch nimmt (insbesondere wenn man nicht überlegt…). Aber das ist eine Milchmädchenrechnung, denn der Nutzen eines Bogens sinkt eben entsprechend. Und je wichtiger eine Studie, desto sicherer sollten die Erkenntnisse doch sein, oder? Sonst bekommt man zwar eine Antwort, aber nicht unbedingt eine auf die Frage passende…
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