Hinweis: Dieser Artikel ist ein Beitrag zum ScienceBlogs Blog-Schreibwettbewerb 2016. Hinweise zum Ablauf des Bewerbs und wie ihr dabei Abstimmen könnt findet ihr hier.
Das sagt der Autor des Artikels, Joachim Wagner, über sich:
Nachdem ich auch bereits letztes Jahr meinen Wettbewerbsbeitrag erst wenige Minuten vor Ablauf der Frist einreichen konnte, führe ich diese “Tradition” hier nun fort. Diesmal ist es aber schlicht der Tatsache geschuldet, daß mir ein passendes Thema erst ein paar Tage nach Florians “10 Tage Aufruf” eingefallen ist, und somit die Zeit recht knapp wurde. Mit diesem Artikel möchte ich an meinen letztjährigen Beitrag anschließen. Den Text habe ich etwas “einfacher” formuliert und den Schwerpunkt mehr auf die Bilder gelegt, ursprünglich waren es sogar 234 Photos. Aufgrund des Zeitmangels konnte ich auch von den verbliebenen 74 Aufnahmen nicht alle optimal Bildbearbeiten. Dafür möchte ich mich entschuldigen. Ich selbst würde mich als Laie mit nicht nachlassendem Interesse auf dem Gebiet der Astrophysik bezeichnen.
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Eine kleine Auswahl an astronomischen Büchern früherer Zeit
Als ich im Sommer 2011 auf einem Flohmarkt einen alten Halblederband von Buschicks „Sternenkunde“ (1) aus dem Jahre 1927 fand und günstig erwarb, ahnte ich noch nicht, dass dies nur der Auftakt einer Sammlerleidenschaft für alte Bücher zum Thema Astrophysik sein sollte.
Da ich in hierin u.a. auf jene hochinteressante und im Widerspruch zur geltenden Wissenschaftsgeschichte stehende Angelegenheit bezüglich der Namensgebung des Zwergplaneten Pluto stieß – die ich in meinem letztjährigen Science Blog-Beitrag „Ex-Planet Pluto – wie er (nicht) zu seinem Namen kam“ beschrieben hatte – galt es nun, nach weiteren Belegen und Quellen zu suchen.
Was lag näher, als mich zunächst einmal nach allen relevanten Titeln in dem bei Buschick abgedruckten Literaturnachweis umzusehen? (1b)
Anfangs war mein Interesse daher primär die Suche nach weiteren Hinweisen auf den Namen „Pluto“ in anderen Büchern vor 1930.
Allerdings fand ich zunehmend Gefallen an dem Stil, in welchem die Autoren damals ihre Werke verfassten und den Büchern als solchen selbst (in den frühen Neunzigern des vergangenen Jahrhunderts arbeitete ich u. a. auch als Buchrestaurator – alte Bücher haben es mir schon immer angetan).
Weiter war es auch eine wissenschaftsgeschichtliche Zeitreise: Je weiter zurück die Erscheinungsdaten der Bände lagen, desto mehr unterschied sich die dort dargestellte Weltsicht von der heutigen.
Bücher aus dem 19. Jahrhundert wurden naturgemäß alle vor der Relativitäts- und Quantentheorie verfaßt, die bekanntermaßen erst ab 1905 – und da auch nur einem Fachpublikum – bekannt wurden. Nichts desto trotz bemühten sich die Autoren, das damals als Faktum geltende Wissen bestmöglich zu vermitteln.
Zum einen erstaunte mich, wie ausführlich sie – teilweise selbst heutige (Populär-)Wissenschaftliche Bücher in den Schatten stellend – verfasst wurden.
Zum anderen, mit welche liebevollem und beherzten Schreibstil sie die damaligen – und zumindest in meinem Fall – heutige Leser zu fesseln vermögen.
Sicher sind viele Dinge längst überholt, widerlegt, mitunter sogar vergessen, aber einiges hat nach wie vor auch heute seine Gültigkeit.
Manchmal änderte sich von Auflage zu Auflage der Inhalt erheblich – die Wissenschaftswelt war damals (wie heute) permanenten, schnell aufeinanderfolgenden Paradigmenwechseln ausgesetzt, und freudig berichteten die Autoren über die neusten, oft diametral den vorherigen Ansichten widersprechenden Erkenntnissen.
Immer lag es den Verfassern am Herz, bei den Lesern Interesse zu wecken, sie auf Reisen in den Kosmos und die Tiefen des Weltenraumes zu nehmen. Oft warnten sie auch vor Scharlatanen, Irrglauben oder schlicht vor Ignoranz einem wissenschaftlichem Weltbild gegenüber.
Es kam aber auch vor, dass sich einige Autoren in, aus heutiger Sicht sehr komische, zum Teil längst in Vergessenheit geratene pseudowissenschaftliche Gefilde verirrten.
Es scheint, als habe sich sich seit über hundert Jahren nichts geändert, was dies betrifft.
Bevor ich die Bücher im einzelnen in chronologischer Folge im Bild vorstelle (immer Buchdecke samt Rücken, teils erste Seite des Inhaltsverzeichnisses und ausgesuchte Vorworte oder auch besondere Illustrationen), möchte ich einige mir von Interesse erscheinende Bände kurz näher beschreiben.
Dass manche Abbildungen verzerrt oder verfärbt sind, ist dem Alter der Bücher geschuldet und der Tatsache, dass ich sie schonend abphotographierte, weil ein Einscannen häufig nicht ohne Beschädigung möglich gewesen wäre.
„Die Sternenwelten und ihre Bewohner“ von Joseph Pohle (meine Ausgabe von 1906 ist die fünfte überarbeitete Auflage – die Erstauflage erschien bereits 1884). (3)
Hier begegnet dem Leser, abgesehen von einem sehr poetischen Stil…
„Nichts Feierlicheres, Weihevollerers, man möchte beinahe sagen Heiligeres gibt es, als die grenzenlose Stille einer sternhellen Nacht. Kein Hauch von flirrenden nebeln und aufsteigenden Dünsten trübt rings den klaren Horizont. … Das leidige Getümmel in den Straßen der Stadt ist seit Stunden verschollen. Nur das liebliche Rauschen der Zweige im nahen Walde und das dumpfe Plätschern der Berggewässer schlägt geheimnisvoll an unser Ohr… „ (4)
… eine sehr umfangreiche Darlegung der der damals aktuellen astrophysikalischen Erkenntnisse, wie beispielsweise die im Textteil sehr gut erläuterten Spektren, hier sogar in einer Farbabbildung (5).
Im zehnten und vorletzten Kapitel „Metaphysische Erwägungen zugunsten des ausserirdischen oder kosmischen Lebens“ verläßt der Verfasser dann die exakte Wissenschaft, um im letzten Kapitel dann „Die Mehrheit bewohnter Welten vor dem Richterstuhle des Christentums“ endgültig in der Metaphysik angelangt zu sein.
„Entschuldigend“ kann man sagen, dass hier 433 Seiten Astrophysik 67 Seiten Metaphysik gegenüberstehen.
Ähnlich ist es bei Max Valiers „Der Sterne Bahn und Wesen“ – hier exemplarisch die Erstauflage von 1924. (6)
Vom Kapitel „Der Botschaft der Strahlung“, in dem über optische Gesetze, das sicht- und unsichtbare Spektrum und Beobachtungsmöglichkeiten nebst Erklärung der Funktionsweise von Fernrohren berichtet wird, bis zum Abschnitt „Die Wunder des Himmels“, in dem die Erde, der Mond und das Planetensystem nebst Fixsternen ausführlich erläutert werden, um sich dann im letzten Drittel in der damals aufkommenden Welteislehre „Die Lösung der Rätsel im Lichte der Welteislehre“ komplett zu verirren.
Ebenso im Schatten der Welteislehre steht Hanns Fischers „Der Mars, ein Uferloser Eis-Ozean“ ebenso von 1924.(7)
Das Vorwort kommt es noch relativ wissenschaftlich daher:
„Die glänzendste Himmelserscheinung, welche unser rätselhafter Nachbarstern, der Mars, nur einmal während des ganzen 20. Jahrhunderts bieten wird, trifft am 23. August dieses Jahres ein. Zahlreiche Rohre werden auf ihn gerichtet sein, und Tausende werden auf die Antworten der Marsmenschen warten, wenn die ebenso kühlen wie einbildungskräftigen Amerikaner ihre Anblinkversuche beendet haben.
Ihre Erwartungen können aber nur einer Enttäuschung weichen.
Die Marsmenschen werden schweigen…
Warum sie es vorziehen, die Erde keines Wortes oder Blickes zu würdigen – das habe ich in diesem Büchlein erzählt.
Hier wurde der Mars aller seiner Geheimnisse entkleidet, nicht etwa nur für den Sternenfreund, sondern auch für den Sachgelehrten.
Denn obwohl die Lösung des Marsrätsels mit Hilfe der Welteislehre bereits seit Jahren bekannt ist, weiß selbst Svante Arrhenius in seinem neusten Buche nichts von diesen Dingen.“ (8)
Es ist schon so, dass, wie Fischer schreibt, das genannte Marsrätsel (dem damaligen Wissenstand entsprechend) zumindest ansatzweise gelöst war, jedoch eben unter völliger Auslassung der Welteislehre, die vom wissenschaftlichen Standpunkt aufs Glatteis führt und ungebremst an der Realität vorbei schlittert.
Exemplarisch hier als Gegenstück Robert Henselings „Mars – Seine Rätsel und seine Geschichte“ aus der Reihe der damals schon sehr populären Buchserie „Kosmos, Gesellschaft der Naturfreunde“ nur ein Jahr später, also 1925. (9)
Im Vorwort wird dies deutlich gemacht:
„Diese Arbeit wirbt nicht für irgendeine Auffassung über den Planeten Mars, sondern sie bemüht sich, so anschaulich wie möglich das zusammenzustellen, was dem Leser einen Einblick in die Geschichte und den gegenwärtigen Stand der Marsforschung vermitteln kann“.
Sehr genau wird die Marsbahn erläutert, der mit den damaligen Fernrohren schon gut zu beobachtende Wechsel der Marsjahreszeiten, die beiden Marsmonde, wie man den Mars am Sternenhimmel finden kann, die Geschichte der Marsforschung und die „Marsoberfläche und ihre Deutung“.
Hier wird vor allem sehr detailliert dargelegt, wie es zu den wohlbekannten „Kanälen“ auf dem Mars durch reine Beobachtungsfehler kommt:
„… Danach handelt es sich um einen optisch-physiologischen Vorgang, nämlich um ‘Kontrastlinienbildung’.“ (S.75)
Sehr selbstkritisch – im Gegensatz zu den Texten der Autoren der Welteislehre – geben die abschließenden Zeilen:
„Auch ein Eingehen auf die verschiedenen Versuche, die Gesamtheit der Marsbeobachtungen einheitlich auszudeuten, wie sie von Arrhenius, Flammarion, Lowell, A. Baumann u. a. Angestellt worden sind, müssen wir uns versagen. Der Aufmerksame Leser wird die Überzeugung gewonnen haben, dass alle solche Versuche heute noch verfrüht sind und jedenfalls nicht ohne eine ausführliche kritische Würdigung, zu der hier kein Platz ist, wiedergegeben werden könnten.“ (S.78).
Als Letztes möchte ich noch einen Vergleich zwischen zwei verschiedenen Auflagen eines der damaligen Standardwerke, nämlich Littrows „Die Wunder des Himmels“ (erstmals 1834 und letztmalig 1963 in elfter Auflage erschienen) bringen:
Hier wird deutlich, wie sich nicht nur der Inhalt, sondern vor allem auch das Äußere der Bücher mit der Zeit gewandelt hat.
Während die mir vorliegende vierte Auflage von 1910 ein wahrer Koloss, durchgehend illustriert, überreich mit einem rundum laufendem Farbschnitt in Blau mit gelben Sternen verziert, einer prächtigen mehrfarbigen Decke und Jugendstilvorsatzpapier sowie einer großen beigelegten Sternenkarte versehen ist (10), kommt die zehnte Auflage von 1939 eher schlicht daher. (11)
Inhaltlich gibt es aus damaliger Perspektive nichts zu bemängeln, mach aktuelle Bücher zu diesem Thema eher dürftig aussehen läßt, was Umfang, Tiefe und Aufmachung angeht.
Wenn man sich zusätzlich vor Augen führt, welchen Stellenwert Bücher vor hundert und mehr Jahren hatten, dann kommen einem heutige, zwar mit Hochglanzbildern überreich versehene Editionen, gelegentlich eher unzureichend und oberflächlich vor. Bücher waren und sind Schätze, die man sich nicht schnell und nebenbei besorgt, um sie dann ungelesen ins Regal zu stellen.
Es war eine andere Welt damals, aber wenn man sich dieser Bücher annimmt und darin einliest, wird klar, dass diese keinesfalls eine an Wissenschaftlichkeit und Interesse ärmere oder gar primitivere war.
Hier nun im Bild die einzelnen Bände der Sammlung:
1.
1893 Prof. Dr. Titus: Sternenzelt
2.
1895 Ueber: Kosmogonie (vom Standpunct [sic!] christlicher Wissenschaft nebst einer Theorie der Sonne und einigen darauf bezüglichen Philosophischen Betrachtungen)
3.
1904 Camille Flammarion: Spaziergänge in der Sternenwelt
4.
1906 Dr. Joseph Pohle: Die Sternenwelten und ihre Bewohner (3), (4), (5)
5.
1907 Svante Arrhenius: Das Werden der Welten
6.
1908 Svante Arrhenius: Die Vorstellung vom Weltgebäude im Wandel der Zeiten – Das Werden der Welten – Neue Folge
7.
1910 Wilhelm Bölsche: Stunden im All
8.
1910 Joseph Johann von Littrow: Die Wunder des Himmels (vierte Auflage) (10)
9.
1913 Prof. Dr. Joseph Plaßmann: Himmelskunde
10.
1914 Dr. Fritz Kahn: Die Milchstrasse
11.
1914 Prof. Dr. Ludwig Zehnder: Der ewige Kreislauf des Weltalls
12.
1919 Svante Arrhenius: Der Lebenslauf der Planeten
13.
1920 Bruno H. Bürgel: Aus fernen Welten
14.
1920 Bruno H. Bürgel: Aus fernen Welten (spätere Auflage)
15.
1921 Svante Arrhenius: Die Vorstellung vom Weltgebäude im Wandel der Zeiten
16.
1923 Dr. Otto Ule: Die Wunder der Sternenwelt
17.
1924 Max Valier: Der Sterne Bahn und Wesen (6)
18.
1924 Hans Fischer: Der Mars ein uferloser Eis=Ozean (7) (8)
Der folgende kleine Band gehört wider Erwarten sehr wohl zu den wissenschaftlichen Büchern:
Aus der Einführung:
“will man die Astrologie begreifen und ihren Wert und Unwert beurteilen, so muß man ihre geistesgeschichtliche Entstehung betrachten und sich mit den Grundzügen des modernen astronomischen Weltbildes vertraut machen…”
“Vorbetrachtungen.
Wesen und Quelle der Astrologie
Die Astrologie ist tot. Ihre Quelle ist unsterblich.
Was heute noch unter den Namen “Astrologie” lebt, ist ein blutloses Wesen und hat keine Zukunft mehr…”
19.
1924 Robert Henseling: Werden und Wesen der Astrologie
20.
1925 Dr. Friedrich Becker: Eine Fahrt durch die Sonnenwelt + Aus den Tiefen des Raumes
21.
1925 Bruno H. Bürgel: Weltall und Weltgefühl
22.
1925 Robert Henseling: Mars – Seine Rätsel und seine Geschichte (9)
23.
1926 Svante Arrhenius: Erde und Weltall (12)
24.
1926 Hans Wolfgang Behm: Planetentod und Lebenswende
25.
1926 Max Valier: Der Sterne Bahn und Wesen (zweite, erweiterte Auflage)
26.
1927 Dr. R. Buschick: Sternenkunde und Erdgeschichte (1a)
27.
1927 Dr. R. Buschick: Sternenkunde und Erdgeschichte (zweite Auflage) (1b)
28.
1927 Robert Henseling: Einführung in die Astronomie – Geschichte/Umriss Planetensystem
29.
1927 Robert Henseling: Sonne und Sternall
30.
1927 Dr. H. H. Kritzinger: Spaziergänge durch den Weltenraum
31.
1928 Prof. Dr. J. Hopmann: Weltallkunde
32.
1928 Prof. Dr. Oswald Thomas: Himmel und Welt
33.
1929 Simon Newcomb: Astronomie für Jedermann
34.
1931 Robert Henseling: Welteninseln
35.
1939 Robert Henseling: Der neu entdeckte Himmel
36.
1939 Joseph Johann von Littrow: Die Wunder des Himmels (zehnte Auflage) (11)
Abschließend möchte ich noch Svante Arrhenius zitieren, dessen Worte damals wie heute unverändert Gültigkeit besitzen:
„Die Astronomie nimmt eine ganz besondere Stellung unter den Naturwissenschaften ein. Physik, Chemie und die biologischen Wissenschaften werden als Grundlagen unserer gegenwärtigen Kultur allgemein anerkannt; der Astronomie wird aber meistenteils eine derartige Bedeutung nicht zugesprochen. Was hat man davon, wenn man weiß, daß irgendein Stern hundert oder tausend Billionen Meilen weit von der Sonne entfernt ist, oder wie die Gestirne sich entwickelt haben?
Die Astronomie ist aber niemals so unnütz gewesen, wie vielfach geglaubt wird, und sie ist es auch heute nicht.“ (12)
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